Von Kondrad Pauli — In der kleinen Bucht liegt sie allein auf einem blauen Badetuch unter dem dürftigen Schatten einer halbverdorrten Kiefer. Neben ihr liegt, faltenlos ausgebreitet und in jeder Ecke mit flachen Steinen beschwert, ein zweites Tuch gleicher Farbe und Grösse. Im Verlauf des Vormittags, und schliesslich während des ganzen Tages, wechselt sie ihren Platz ans volle Sonnenlicht, verweilt nur kurze Zeit, steht wieder auf und schüttelt lange und umständlich ihr Badetuch aus, um es vom letzten Sandkorn zu befreien. Scheint dies der Fall zu sein, streicht sie mit der einen, dann der andern Hand geradezu liebevoll über das Tuch, den Rändern und Ecken entlang. Spannt es dann umständlich in der Nähe des andern und unbenutzten erneut aus, glättet die letzten Falten, legt sich wieder hin, verharrt so ein paar Atemzüge lang, und setzt die Wiederholungen fort. Halbschatten, Sonnenplatz, Ausschütteln, Glattstreichen. Zuweilen scheint es, sie werfe einen flüchtigen Blick auf das andere Tuch. Korrigiert auch da womöglich eine Unebenheit.
Schneeweisse Sandlilien blühen ringsum. Einmal fahren ihre Fingerspitzen behutsam über eine Blüte. Wird ihr im Tagesverlauf doch einmal zu heiss, geht sie die zwanzig Schritte zum türkisblauen Wasser. Bloss knöcheltief im Wasser steht sie da, wischt mit den flachen Händen ein paarmal wie zerstreut über Waden und Oberschenkel, um nach zwei Minuten wie verschreckt, als blitzten Gedanken und düstere Bilder ihr durch den Sinn, zurückzueilen durch den heissen Sand, sich, als wäre es ihr befohlen, wieder hinzulegen, vermehrt mit angezogenen Knien, im Halbschatten oder an der prallen Sonne. Wiederholt und wie in Zeitnot, auch so, als habe sie immerfort etwas in Ordnung zu bringen, streicht sie sich über die Haut, wischt über die Arme, den Nacken, den Bauch. Als lägen da Rückstände, die ihr die Entspannung und den Genuss verwehrten. Und die weissen Strandlilien schaukeln im aufkommenden Wind. In den Ästen, im spröden Laub lärmen die Zikaden. Schrill. Und mit allem fängt sie wieder von vorne an. (Später ist zu vernehmen, dass die Frau über Jahre mit ihrem Mann stets in dieser winzigen Bucht Sommerwochen verbrachte. Dabei sei der Mann vor zwei Jahren auf einem eher harmlosen Tauchgang gleich in der Nähe, den Felsvorsprüngen entlang, ertrunken).
Foto: zVg.
ensuite, August 2010