Von Konrad Pauli — In der Kindheit gab es diese Quartierkriege — mit jenem Feuereifer ausgetragen, der Schrammen und Beulen als Auszeichnungen qualifizierte und so kleine und grössere Helden schuf. Hohheitsgebiete gab es zu verteidigen, im Rhythmus der Jahreszeiten — weil: Der Feind war überall und unberechenbar. War’s längere Zeit zu friedlich, half gelegentlich eine Provokation zu neuer Auseinandersetzung. Das Kampfdatum wurde vereinbart, auch die ungefähre Schlachtfeldzone — doch es kam vor, dass man stundenlang umsonst auflauerte und auf den Gegner wartete, was natürlicherweise die Ungeduld und Streitlust ins Unermessliche steigerte; Feiglinge waren nun die Andern, doppelt und dreifach verdienten sie den Schlagabtausch.
Die Zwölfjährigen hatten sich auf dem Hügel einer ehemaligen Burg eingerichtet und verschanzt; Weit- und Tiefblick erlaubten ungehemmte Sicht ins Feindes- und Anmarschland. Sollen sie nur kommen — war die Devise; man lag im Gras, kaute nervös am Halm, verteilte und überwachte Beobachtungssektoren — wehe, wenn sich jetzt einer eine Nachlässigkeit zuschulden kommen liesse. Die Siegesgewissheit nährte sich freilich aus dem Umstand, dass sich zu den Zwölfjährigen ein kräftiger Sechzehnjähriger gesellt hatte, von dem der Gegner nichts zu Ohren bekommen hatte. Die Nachmittagssonne kippte in eine Abendsonne, als das feindliche Heer, eine Schar von etwa einem halben Dutzend Zwölfjährigen, in Sichtweite geriet und sich langsam dem Burghügel näherte. Lockrufe, Kriegsgeschrei, reizten die Ankömmlinge, forderten sie auf zum Streit und Sturm, zur langersehnten Abrechnung. Und es kam, wie es kommen musste: Der Sechzehnjährige verhaute einen nach dem andern, dass es eine Freude war. Allerdings blieb über Wochen der Vorwurf, sich nicht an die Spielregeln gehalten zu haben. Diese freilich wurden zuvor niemals aufgestellt. Die Gewissheit, mit einer Kriegslist den Erfolg herbeigezwungen zu haben, hallte lange nach. Als heiligte der Zweck in der Tat alle Mittel.
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ensuite, Januar 2011