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Seit jeher unterwegs: Literarische Fragmente 18

Von Kon­rad Pauli — Die Sech­sun­dachzigjährige, jung ver­heiratet, früh geschieden und Allein­erziehende von zwei Mäd­chen, im Ver­lauf des Lebens ver­schiedene Män­nerange­bote abwehrend, ver­bringt mit ein­er Gruppe ein paar Som­mertage am See. Nicht mehr gut zu Fuss, ist sie den­noch nicht gebrech­lich, kann sich bewe­gen, schmerzfrei sitzen, geniesst ihren guten Appetit. Män­ner, die um sie war­ben, ihr ern­sthafte Ange­bote macht­en, waren die falschen oder nur halb­wegs richti­gen, jeden­falls fehlte stets Wesentlich­es, das attrak­tiv genug gewe­sen wäre, sie einz­u­fan­gen. Das Übliche: Der Mann war nicht ihrem Anspruch gemäss gek­lei­det, hat­te den falschen Beruf, war zu fein oder zu grob, zu umständlich oder direkt, zu still oder zu laut — und wenn es mal ein­er in die engere Auswahl schaffte, war er ver­heiratet. Natür­lich mit der falschen Frau…

Am See sass die Frau nach­mit­tags und am Abend, wartete auf den Son­nenun­ter­gang, betra­chtete das Spiel der Schwäne, hörte auf das Rumoren der Spatzen im Gebüsch, zog das Getränk in die Länge, bloss, um vom Kell­ner nicht nochmals nach nicht vorhan­de­nen Wün­schen befragt zu wer­den. Nicht alle Wün­sche hat­te sie vergessen. Aber sie wusste, dass ihre Erfül­lung von Tag zu Tag unwahrschein­lich­er wurde. Und sie blick­te den Paaren nach auf der Prom­e­nade, junge, eng umschlun­gene Pärchen, Eltern mit Kinder­wa­gen, älteren Paaren, Hand in Hand, hörte auch, wie an Nach­bar­tis­chen geplaud­ert oder auch geschwiegen wurde, aber paar­weise, zusam­men. Und plöt­zlich tat sich ihr ein Abgrund auf, die Gewis­sheit, in zwei Tagen wieder in ihrer kleinen Vorstadt­woh­nung zu sein, im Gedanken daran, wom­öglich doch etwas ver­passt zu haben, umgeben von ihren Sachen, eingepackt in Ein­samkeit.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011

Artikel online veröffentlicht: 27. Januar 2019