Von Lukas Vogelsang — Ganze 14 Jahre lang haben sie geschuftet und im Dunkeln gebaggert. Politisch war 14 Jahre lang Krieg – genaugenommen noch viel länger. Diese Baggerei sei für nichts, wieder nichts und überhaupt. Und dann – nach dieser endlosen und namenlosen Zeit, wo kein Mineur je als Held gefeiert oder sich wirklich jemand für die Helden unter Berg interessiert hatte (ausser mobile Container-Freudenhäuser), kommt der Durchbruch.
Was für eine Sensation. Die Schweiz im Tunnelfieber: «Wir sind alles Wühlmäuse!» SF-DRS legt sich ins Zeug und geht mit über 100 Frauen und Männern an den Ort, ist vor Ort und sendet live – sogar mehrsprachig und so. Sensationell. Zu sehen kriegen wir jede Minute in der Stube oder im Büro – über jeden Kanal wird uns der Schweiss der Mineure gebracht. Der schweizerdeutsche Moderator gibt alles.
Wir sehen allerdings nicht so viel zu Hause. Die SF-Mannschaft ist vielleicht grad dabei ein paar Kabel auszulegen oder den SELECTA-Kaffeeautomaten in Betrieb zu nehmen. Der oder die im Schaltzentrum hat grad den Kurs «Wir gestalten eine Fernsehsendung, Teil 1» hinter sich und freut sich sehr auf die Aufgabe. Sie konsultiert zwischendurch das Kursmanuskript, damit sie nichts falsch macht. Das ist dann spürbar, wenn ziemlich lustlos von einer Kamera zur anderen gezappt wird, jeglicher Bildfluss und Inhalt fehlt. Aber das ist nicht so schlimm. Die PraktikantInnen an den Kameras sind auch noch am ausprobieren – es sind ja alle sehr nervös und niemand weiss so richtig, was läuft. Das mit dem Ablaufskript hat nicht ganz funktioniert: Die letzten Änderungen wurden in Zürich ins Postfächli gelegt, als die Truppe schon abgefahren war.
Aber sie geben alles. Vor allem mit der Moderation. Sie haben sich sogar ganz hübsch ins Mineuren-Tenü gestürzt und mit Helmchen sind sie gegen alles gewappnet. Jetzt stören sie eigentlich nur noch die Arbeiter, die den letzten Meter noch konzentriert und von aller Welt beobachtet schaffen sollten. Das ist nicht ganz einfach – vor allem bei diesen Schüler-Reporterfragen: «Wie geht es ihnen?», «Wie fühlen Sie sich jetzt?», «Was glauben Sie, wird jetzt passieren?» – Und dann geben diese Mineure noch so komplizierte Antworten, wie: «Jetzt passiert mal 15 Minuten gar nichts». Ja, das ist im Fernsehen eine fast unlösbare Aufgabe. Ganz toll die Reaktion vom Moderator dann: «Gut, dann beobachten wir mal ein wenig» – und das Bild zeigt eine Wand. Und da tut sich nichts. Das Schaltzentrum war dann natürlich nicht blöd und hat mit wildem Bildwechsel verschiedene Wandstellen anvisiert. Also gesehen hatte man dann nicht so viel, weil die Einstellungen viel zu kurz und irgendwie nervös waren. Hey, wir waren dabei, live am Fernsehen.
Sogar beim Gruppenfoto will der eine Moderator mit drauf und fragt wie ein kleines Kind den erst besten Mineur: «Und? Was geht jetzt in Ihnen ab?» Mit Bravour wird der Moderator vor laufender Kamera in die Wüste geschickt. Der befragte Mineur gibt bestimmt und deutlich – aber nicht unhöflich zu verstehen: «Das ist jetzt ein Gruppenbild. Das ist wohl jetzt nicht der Moment für ein Interview!». Der Moderator weicht endlich zurück – und macht sogar noch eine beleidigte Grimasse.
Aber das war lustig. Reality-TV. Weniger lustig war der Bundesrat Leuenberger, den man mit technischen Störungen live auf dem Sender stehen liess – man konnte alles hören, hatte aber das Bild von Brüssel auf dem Bildschirm. «Hallo, hallo? Ist das jetzt live? Bin ich jetzt live? Hallo?» – Als dann ein EU-Minister ein paar Grüsse in den Tunnel sandte sah man nur einen Bundesrat mit verzerrtem Gesicht, der Hand am Ohr beim Versuch, in diesem Lärm irgendwie etwas zu verstehen. Ich glaube, er hat nicht wirklich etwas gehört…
Oh, es gäbe noch viel zu erzählen. Das war so lustig. Ja, es ist immer sehr unterhaltsam, was unser professionelles Fernsehen mit über 100 Mannen und Frauen anstellen kann. Und diese Technik, sensationell.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, November 2010