Von Dr. Regula Stämpfli - Ganz zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine fragte DAS MAGAZIN den Sofa-Pazifisten Kluge nach dessen nicht mehr sehr klugen Meinung. Anlass war nicht der Krieg, sondern Alexander Kluges 90. Geburtstag. Resultat war ein pitoyables Schaustück nicht-jüdischer, deutscher Weinerlichkeit. Regula Stämpfli verfasste schon vor Wochen eine hammerharte Analyse des Interviews im Das Magazin, die aufgrund mehrerer technischen Verzögerungen von ensuite nicht publiziert werden konnte. Dann platzte die Heißluft- und Täter-Opfer-Umkehr-Bombe der westdeutschen Boomer-Pazifisten in Form des offenen Briefs unter der Ägide von Alice Schwarzer. Alexander Kluge gehört zu den Erstunterzeichnern. Der Soziologe Armin Nassehi, mit welchem Regula Stämpfli am 14. September 2021 in Wien einen höchst vergnüglichen Kongress zum Thema „Gesundheit“ mitgestaltete, meinte in einem Thread, der mittlerweile über 8000 Likes und fast 2000mal geteilt wurde, dass dieser #offenebrief KEINEN EINZIGEN Grund gegen die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine beinhalte. Zudem legt Armin Nassehi offen, dass er angefragt worden wäre, dieses Schmierstück auch zu unterzeichnen, dies aber aus ganz vielen Gründen nicht tat, u.a. weil der Inhalt des Briefes einer „intellektuellen Beleidigung“ gleichkäme. Regula Stämpfli schliesst sich dieser Einschätzung an und hat am 4. Mai 2022 Offenen Brief der Intellektuellen in der ZEITOnline unterzeichnet: Sie reiht sich ein bei Herta Müller, Maxim Biller und Deniz Yücel ein.
Lesen Sie hier den Artikel von Regula Stämpfli vom 12. April zum Sockelsturz von Alexander Kluge.
Alexander Kluge gibt dem DAS MAGAZIN ein unkritisches Interview. Dieses Gespräch steht für maximale Männer-Weinerlichkeit mit postmodern beliebter Opfer-Täter-Umkehr. Alexander Kluge gibt hier eine Haltung preis, die den Absturz seiner Kriegsgeneration sichtbar macht. Das Gespräch wird mit folgenden FAKE NEWS übertitelt:
«In fast allen Kriegen gilt: Wer siegt, stürzt ab». laStaempfli: «Schon mal was von 1945 gehört, Herr Kluge?»
Dieser Essay ist Hannah Arendt und ihrer Vorlesung „Über das Böse“ geschuldet.
Nach der Lektüre von Alexander Kluges Opus Magnum „Chronik der Gefühle“, wäre man vorgewarnt gewesen. Dort lässt Kluge einen alliierten Kampfpiloten, der im Roman die reale Bombardierung vom 8. April 1945 über Halberstadt in Sachsen-Anhalt nachstellt, folgende Sätze denken:
„Die Ware musste runter auf die Stadt. Es sind ja teure Sachen. Man kann das praktisch auch nicht auf die Berge oder das freie Feld hinschmeissen, nachdem es mit viel Arbeitskraft zu Hause hergestellt ist.“
Mit Verlaub, dies ist Revisionismus pur. Kein alliierter Pilot wird – dies im Unterschied zu den realen Deutschen damals, deren Zynismus präzise die Vergasung von Kleinkindern, deren Mütter und Väter, die Sterilisierung von Minderbegabten, Roma, Homosexuelle planten – derartige Sätze gedacht haben. Solcher Müll findet nur in den Tätergenerationen und deren Kinder statt, die meinen ihre Boshaftigkeit auf alle Menschen übersetzen zu müssen. Hier einmal Klartext: Die Bomben der Alliierten, die den kleinen Kluge traumatisiert haben, 80 Prozent der Bausubstanz zerstört und 2500 Deutsche, die für Hitler lebten, in Halberstadt getötet haben, halfen mit, den Hitler-Kadavergehorsam der deutschen Bevölkerung damals zu brechen. Was Kluge in seinem Roman auf den alliierten Piloten projiziert, ist mit Absicht kontextloses Philosophengelaber und zielt darauf hin, die Bombardierung der Alliierten als „umstritten“ darzustellen.
Blende zu heute: Robert Habeck führte in einer sehr bemerkenswerten Sendung bei Markus Lanz vom 30. März 2022 aus, dass das, was Journalisten und Experten im Ukraine-Krieg „Dilemma“ nennen, kein „Dilemma“ ist, weil das Ziel eindeutig ist, nämlich den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine zu stoppen. Was vorliegt sind „schwere Entscheidungen mit Konsequenzen“ wie Robert Habeck dies formuliert, aber keine Dilemmata. Die Bombardierungen der Alliierten waren „schwere Entscheidungen“ und eben auch mit entsprechenden Konsequenzen.
Alexander Kluge und viele seiner deutschen Mitdenker üben sich im Unterschied zur Begriffsstärke Habecks sowie der Urteilskraft, die sie auch bei Hannah Arendt nachlesen könnten, in einem Wellness-Pazifismus, dass Krieg immer schlecht sei und somit Täter und Opfer vom theoretischen Kluge-Konzept Krieg quasi gleichermassen betroffen seien.
Well. No.
Der Bombenhagel der Alliierten 1945 erfolgte nicht kontextlos, um den zeitgenössischen Jargon zu bedienen: Ihm gingen millionenfache Verbrechen sowie ein einzigartiger Bruch mit aller Zivilisation stehende Politik der Deutschen voran. Es ist mehr als seltsam, Alexander Kluge dies mitteilen zu müssen und noch seltsamer ist, dass er eine Position der Täter-Opfer-Gleichung auf die Ukraine anwendet. Täter-Opfer-Gleichung war vielleicht für den Grossen Krieg, den Ersten Weltkrieg, möglich, da diese Kriegsopfer alle Opfer der europäischen Aristokraten und deren imperialistischer Politik waren, aber im Zweiten Weltkrieg waren, mit Verlaub, die Täter und Opfer alles andere als gleich. Ebenso waren die Seiten im Zweiten Weltkrieg so klar wie Brühe: Die Guten waren die Amis und die Briten, die Mörder die Deutschen, die Japaner und zwischendurch standen die Sowjets, die mit Nazideutschland zunächst paktiert hatten, sich nach dem Angriff aber gegen Nazideutschland stellten und die grössten Verluste dabei tragen mussten.
Von einem Alexander Kluge und den ihn befragenden Journalisten kann man erwarten, dass hier Urteilskraft und Klarheit herrscht.
Doch alles nützt nichts: Alexander Kluge bedient Täter-Opfer-Analogien noch und noch und besonders im Hinblick auf die Ukraine. Seine Aussagen strotzen vor Demokratiemüdigkeit. Er faselt von der „Natur des Menschen“ und scheint den Unterschied zwischen Labern und Handeln ebenso wenig verstanden zu haben wie der andere öffentliche Intellektuelle Deutschlands: Richard David Precht.
Das Gespräch beginnt übrigens wie alle Alexander Kluge Interviews, der als 90-jähriger, dies nur als „fun fact“, einen elfjährigen Sohn hat, mit einem Zitat von Theodor W. Adorno: „Es macht den Eindruck, dass die Zivilisation in diesen Wochen entgleist – auf allen Seiten.“ Nein. Es ist nicht die Zivilisation, die entgleist, sondern Wladimir Putin.
Alexander Kluges Antworten zeigen verstörend, dass die seit Adolf Eichmann beliebte deutsche Metapher der institutionellen Ohnmacht nicht auszumerzen ist. Selbst nach mehreren tausend Büchern zum Thema. Auf die Frage, den Krieg zu definieren – eine sehr müßige Frage übrigens – zitiert Alexander Kluge den preußischen Militärtheoretiker und General Carl von Clausewitz – echt jetzt? Im Jahr 2022? Clausewitz statt Ruth Seifert, die soviel Kluges zur strategischen Synthese des Geschlechts geschrieben hat? Clausewitz statt Christina von Braun, die, wenn wir schon intellektuell und theoretisch werden wollen, dem interessierten Publikum etwas über Körper, Krieg und Strategie aus der Kulturgeschichte erzählen könnte. Clausewitz statt Regula Stämpfli, die mit Hannah Arendt jeden Krieg auf die Unterscheidungskraft und Handlungsoptionen untersucht? Kein Wunder krankt die deutsche Bundeswehr nicht nur an Material, sondern auch an demokratischer Widerstandskraft.!
Von Clausewitz kalauert Kluge: „Krieg ist mutativ so begabt wie das Virus“ – eine veritable hirnrissige Aussage. Es gab noch nie das Naturgesetz Krieg. Kriege finden in Wirklichkeit und damit in Wahrheit statt. Wie Kluge eine Theorie von Krieg zu formulieren kommt dem Versuch, den Pudding an die Wand zu nageln gleich, ein Vorgang, der dann poetisiert wird und die Leserin beeindrucken soll. Wenig erstaunlich, dass Alexander Kluge ebenso den antiaufklärerischen Satz bringt wie: „Strukturelle Gewalt gehört genauso zur Szenerie des Kriegs wie manifeste Gewalt von Panzern und Artillerie“ – well, nein. Wenn ich von einem Panzer überfahren werde, fühlt es sich definitiv anders an als wenn ich vom Männer-Medienkomplex der TX-Group strukturell diskriminiert und kopiert werde, ohne mich als Innovatorin zu nennen (hier ein Insidergruss an Die Tagesanzeigerin).
Der Interviewer, beeindruckt bei Alexander Kluges Phrasen, hakt peinlicherweise mit einer weiteren Theoriefrage nach, die Nullnummern zum gegenwärtigen Krieg bunt aussehen lassen: „Lässt der Krieg sich von demjenigen, der ihn gewollt hat, kontrollieren? „Wer glaubt, einen Krieg beherrschen zu können, irrt. Es gibt keine Kriegsherren. Der Krieg regiert immer nur sich selbst.(…) Die Zufallsketten und die Willkürlichkeiten, die er hervorbringt, sind jedem Entscheider überlegen.“ Auch hier: Schrott. Völlig falsch. Laut Alexander Kluge waren es also nicht die Deutschen, deren Eisenbahnen, deren Kalkül, präzise Planung, Experiment, deren Enteignung jüdischen Besitzes und der industriell eingerichteten Ermordung, die Krieg gegen Juden, Zivilisation, Demokratie führten, sondern ein unbenannter Herrscher mit Zufall „Krieg“.
Eine derart unkommentierte Gleichsetzung von Mord und Ermordeten, diese Legitimation durch „das System“ war so explizit nicht mehr geäussert seit Adolf Eichmanns Prozess in Jerusalem. Kein Wunder verharmlost Alexander Kluge denn auch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, denn zum Krieg gehören laut Kluge auch „(…) die Schlammperiode in der Ukraine, nach den starken Regenfällen und der Schneeschmelze des Frühjahrs“, ebenso dazu „wie die Unberechenbarkeit von Artilleriebeschuss in der Nähe von Kernkraftwerken.“
Ironie off.
Alexander Kluge ist weiter überzeugt, „Krieg ist ein falsches Mittel, um sich und seine Interessen zu realisieren“. Wie ist dies zu deuten? Hätten die Alliierten keinen Krieg gegen Deutschland, die Nationalsozialisten und Hitler führen sollen, weil sie so die Interessen nicht realisierten? Wer bringt Alexander Kluge bei, dass der Krieg der Alliierten gegen Deutschland, Europa und dem Westen fast 80 Jahre Prosperität in dieser Gegend geschenkt hat? Und mir mein Leben geschenkt, das ohne Alliierten nie hätte geboren werden dürfen?
Es gibt laut Hannah Arendt zeitgeschichtliche Ereignisse, die lassen sich nicht theoretisch, sondern nur praktisch lösen. Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Wünschbaren. Darin unterscheiden sich Demokratinnen von Nihilisten. Dass Alexander Kluge angesichts seiner Verwechslung von Anpassung mit Widerstand, meint, seine Generation hätte eine „Schutzimpfung gegen den Krieg“ erhalten, muss ihm schonend beibringen, er ist schließlich schon 90, dass das Gegenteil der Fall sei.
Seine Generation und deren Nachkommen sind weiterhin gefangen in einer kulturell deutschen Weinerlichkeit, die sich perfekt mit den digitalen Gleichmachern und Anpassung paart.
1998 hielt Martin Walser anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels eine ähnlich weinerliche Rede, in der er vor der „Drohroutine Auschwitz“ warnte. Alexander Kluges Verriss Wolodymyr Selenskis Rede vor dem Europäischen Parlament, klingt ähnlich. Sie sei, so Alexander Kluge, eine „Rede für das Kriegstheater“ gewesen und hätte keinen Bezug zur Realität. Wirklich, Herr Kluge? Ein Staatspräsident, der von Bomben, Assassinen, Panzern, dessen Volk eingekesselt wird und dessen Städte in Schutt und Asche gelegt werden, hat kein Bezug zur Realität? Kein Bezug zur Realität wie die Frauen, die fliehen, denen Alexander Kluge unterstellt, keinen Sinn von Politik zu haben und nur daran zu denken: Wie kann ich mich retten?
Nun: Unsere demokratisch gewählten Regierungen und die Ukrainerinnen kämpfen für viel mehr als dies der Anpasser Alexander Kluge und auch Richard David Precht bei Markus Lanz erkennen. In diesem Krieg stehen Europa, die Demokratien Europas und all unsere Freiheitsrechte auf dem Spiel. Deshalb ist das Gegenteil von Alexander Kluge wahr: Wir wollen, dass der russische Staatspräsident Putin diesen Krieg so schnell als möglich verliert.
Regula Stämpfli, Politphilosophin, Hannah Arendt Lectures HSG.
Link:
Grosses Interview mit Alexander Kluge – «In fast allen Kriegen gilt: Wer siegt, stürzt ab»
Offener Brief siehe Artikel im Spiegel: https://www.spiegel.de/politik/offener-brief-in-emma-das-ist-taeter-opfer-umkehr-in-reinkultur-debattenbeitrag-a-f2720094-9246–4c63-8d2e-31a661750f2a
Offener Brief von Herta Müller et al. https://www.zeit.de/2022/19/waffenlieferung-ukraine-offener-brief-olaf-scholz