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Sommerliches Figurentheater

Von Geral­dine Capaul — Das 9. Figu­ra The­ater­fes­ti­val – Inter­na­tion­al Bien­nale des Bilder‑, Objekt- und Fig­urenthe­aters wird som­mer­lich:

«Wir wer­den som­mer­lich­er», sagt Lothar Drack, kün­st­lerisch­er Leit­er der kom­menden Aus­gabe des 9. Figu­ra The­ater­fes­ti­vals augen­zwinkernd. Damit spricht er bere­its die erste wichtige Neuerung an: Das grosse Fes­ti­val für Bilder‑, Objekt- und Fig­urenthe­ater find­et dieses Jahr nicht wie bish­er im Sep­tem­ber statt, son­dern bere­its im Juni. Vom 9. bis 13. Juni wer­den in allen The­atern in Baden und Wet­tin­gen span­nende, poet­is­che, neue, liebevolle und freche Insze­nierun­gen aus dem weit­en Bere­ich des Fig­uren- und Objek­tthe­aters zu sehen sein. Dass das Figu­ra The­ater­fes­ti­val nun bere­its im Juni stat­tfind­et, hat organ­isatorische Gründe. Bis anhin fan­den Figu­ra und Fan­toche jew­eils alle zwei Jahre alternierend satt. Nun aber wech­selt Fan­toche auf den Jahres­rhyth­mus. Das hätte bedeutet, dass in einem Monat zwei grosse Fes­ti­vals in Baden stattge­fun­den hät­ten. «Wir haben ver­schieden­ste Möglichkeit­en einge­hend geprüft», erk­lärt Drack. «Aber auf­grund der vorhan­de­nen Infra­struk­turen ein­er Kle­in­stadt und ins­beson­dere aus medi­en- und aus kom­mu­nika­tion­stech­nis­ch­er Sicht wäre das allzu aufwändig gewor­den.» Eben­falls neu ist die Leitung des Fes­ti­vals: Lothar Drack, der die drei let­zten Fes­ti­valaus­gaben als alleiniger Leit­er bewältigt hat, ist neu kün­st­lerisch­er Leit­er. Die Pro­duk­tion­sleitung übern­immt Markus Lerch.

Nun wird das 9. Figu­ra The­ater­fes­ti­val also in den Früh­som­mer ziehen. Rund 20 Insze­nierun­gen aus Bel­gien, Deutsch­land, Öster­re­ich, Frankre­ich, Hol­land, Ital­ien, Rus­s­land und der Schweiz ste­hen auf dem Pro­gramm. Som­mer­lich­er aber bedeutet vor allem, dass wiederum ein ansehn­lich­er Teil der Stücke im Freien stat­tfind­et. Rund ein Drit­tel der ein­ge­lade­nen Pro­duk­tio­nen wer­den ihre Arbeit auf der Strasse und auf öffentlichen Plätzen zeigen. Darunter find­en sich spleenige Minipro­duk­tio­nen genau­so wie attrak­tive Grossin­sze­nierun­gen. Seit seinen Anfän­gen im Jahr 1994 hat Figu­ra Stücke in den öffentlichen Raum, mit­ten in die Stadt platziert. Seit 2002 wurde diese Pro­gramm­lin­ie stark aus­ge­baut und «Figu­ra fuori» genan­nt. «Wir haben schon immer bewusst Fig­uren auf die Strassen gestellt», erk­lärt der kün­st­lerische Leit­er. «Wir wollen immer auch Pub­likum ansprechen, dem der Weg ins The­ater noch nicht zur Selb­stver­ständlichkeit gewor­den ist.» So dür­fen sich die Pas­san­ten in Baden freuen: Es kann dur­chaus sein, dass eine pack­ende Insze­nierung an einem ungewöhn­lichen Ort ihren Einkauf­bum­mel unter­bricht. Der Som­mer soll auch dazu genutzt wer­den, dass draussen –«fuori» eben – länger in den Abend hinein gespielt wer­den kann.

Auch für das Fes­ti­valzen­trum will man die som­mer­liche Atmo­sphäre nutzen. Neben dem bere­its gut etablierten Zen­trum im «Roten Turm» gibt’s mit dem The­ater Café «Roulotte» ein Ope­nair-Fes­ti­valzen­trum. Mit sein­er gedeck­ten Bühne soll es Begeg­nung­sort für Kün­stler untere­inan­der, aber auch mit den Pas­san­ten sein. «Auch damit wollen wir einen Schritt aufs Pub­likum zuge­hen», sagt Drack.

Die neunte Aus­gabe des Figu­ra The­ater­fes­ti­vals möchte mit seinem Pro­gramm eine der wohl pop­ulärsten Fig­uren aus dieser Kun­st­gat­tung, die in vie­len Län­dern zuhause ist, neu hin­ter­fra­gen: Pul­cinel­la, Polichinelle, Mr. Punch, Hans Wurst oder Kasper bzw. eben auf Schweiz­erdeutsch Chasper­li. Ganz anar­chis­tis­ch­er Rebell, fauler Par­a­sit, gewitzter Schlauberg­er oder frech­er Ben­gel wird er dem diesjähri­gen Figu­ra The­ater­fes­ti­val seine Ren­itenz erweisen, so u. a. in den neusten Arbeit­en von Com­pag­nie La Pen­due mit «Poli dégaine», Gyu­la Mol­nàr, Alexan­dra & Eva Kauf­mann mit «Kasperls Wurzeln» und Claus, Knecht & Gross­mann mit «Grete L. und ihr K». Im sel­ben Zusam­men­hang wird Sal­va­tore Gat­to erst­mals in der Schweiz zu sehen sein, prak­tisch eine Reinkar­na­tion des dreis­ten Pul­cinel­la, der seine Wurzeln in Neapel hat.

Unter den vie­len Pro­duk­tio­nen, die von der Pro­gram­m­gruppe in den let­zten Monat­en in ganz Europa auf- und in vie­len Besprechun­gen aus­ge­sucht wur­den, gibt’s für das Team u.a. ein spezielles High­light: Das weit gereiste nieder­ländis­che The­aterkollek­tiv Hotel Mod­ern kommt für zwei Vorstel­lun­gen nach Baden. Hotel Mod­ern wurde mit ihren eben­so ungewöhn­lichen wie beein­druck­enden Insze­nierun­gen «De Grote Oor­log – The Great War» und «Kamp», das dem All­t­ag in einem KZ nach­spürt, bekan­nt. Für das Ensem­ble typ­isch sind die eigen­willi­gen Darstel­lungs­for­men. Die The­ater­ma­ch­er spie­len mit viel kleinem Sam­mel­suri­um, das fürs Pub­likum mit hand­grossen Kam­eras auf Mon­i­tore über­tra­gen wird. So entste­ht eine Art Live-Trick­film mit «live» erzeugtem Sound­track – eine ein­drück­liche Arbeit, die echt unter die Haut geht. So zeigen sie im Kurthe­ater Baden am 12. und 13. Juni «The Great War», ihre erste grosse Arbeit, mit der sie bere­its rund um die Welt tourten. «Hotel Mod­ern gehören zu den gefragtesten Ensem­bles», meint Drack. «Wir ver­suchen sie schon seit Jahren nach Baden zu holen. Nun haben sie endlich zuge­sagt. Das freut uns riesig.»

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010

Artikel online veröffentlicht: 29. Oktober 2018