Von Lukas Vogelsang — Warum auch in die Ferne schweifen, siehe das Unbegreifliche liegt so nah. Da flucht man verstört über die Politik von Berlusconi, über die Willkür in seiner Gesetzgebung, um vor allem sich selbst Vorteile zu verschaffen, doch in Bern liegt ein Paradebeispiel von Sauberpolitik vor der Türe. Ich spreche die Teilrevision vom Gemeindegesetz zu den präzisierten Bestimmungen zum Anzeigerwesen an. Das klingt öde und langweilig, doch das Thema betrifft alle BernerInnen, denn der Anzeiger wird zwangsverordnet in alle Briefkästen verteilt – der Kleber «Stopp Anzeiger» wird missachtet, und die sonst grün-denkende Stadt und deren umliegenden Gemeinden denken gar nicht mehr. Es gibt übrigens ein offizielles Gutachten, welches von den Gemeinden in Auftrag gegeben wurde und von der Webseite www.jgk.be.ch/site/index/agr/agr_gemeinden/agr_gemeinden_amtsanzeiger.htm runtergeladen werden kann. Darin wird eigentlich klar definiert, dass diese Zwangsverordnung Unsinn ist.
Nein, diesmal geht’s darum, dass ein neues Gesetz geschaffen werden soll, welches die unklaren oder veralteten Bestimmungen über den Amtsanzeiger regelt. Der erste Vorschlag zur Liberalisierung vom Anzeiger wurde im Januar deutlich verworfen. Amtsmitteilungen haben einen öffentlichen Charakter und müssen deswegen neutral gehalten sein – sprich, eine Amtsmitteilung ist eine Verordnung, eine neutrale Information, und darf nicht politisch, religiös oder sonst in irgendeiner Form tendenziös sein. Interessanterweise wird diese Gesetzeserneuerung gemacht, weil der Anzeiger wirtschaftlich auf einem abgesägten Ast steht. Er muss sozusagen vom «Amtes wegen» langweilig sein. Die Wohnungsanzeigen verschwinden ins Internet und was im Anzeiger an Werbung übrig bleibt, steht auf den letzten Rängen. Wer «liest» dieses Blatt? Und jetzt kommt’s: Die Berner Kulturagenda, unsere Markt-Konkurrenz, ist eigentlich Auslöser des Gesetzesdebakels, weil diese als Beilage mit dem Anzeiger vertrieben wird.
Als Beilage ist allerdings falsch, denn der Herausgeber und Verleger ist der Gemeindeanzeiger selbst, somit druckt der Anzeiger seine eigene Beilage und bezahlt natürlich auch keine Beilagetarife. Und genau das ist die hübsche Grauzone, welche ein paar findige Politiker, überraschenderweise allen voran der Grossrat Peter Bernasconi (SP) von Worb, «rasch» (dieses Wort fällt in den Grossratsdokumentationen zuviel) ausnutzen will. Im zweiten Anlauf darf der Anzeiger keine redaktionellen Teile enthalten. Dafür macht man sich pflichtbewusst stark – aber man will bewilligen, dass der Anzeiger jegliche erdenkliche Beilage führen und sich selber auch jeder erdenklichen Zeitung beilegen lassen darf.
Der Grund für diese «Toleranz» ist von Peter Bernasconi gemäss einem Interview der «Berner Zeitung» herzzerreissend erklärt: «Es sei nicht dasselbe, ob ein Artikel im Anzeiger oder in einer Beilage erscheine. Die Beilage sei ein «eigenes Element». Mit diesem Vorschlag würde das Modell legitimiert, das der Anzeiger Region Bern mit der beigelegten «Kulturagenda» begründet hat.» Und, da steht also schwarz auf weiss: «… die Kommission habe keine Regelung gewollt, welche die «Kulturagenda» oder andere bestehende Kooperationen von Anzeigern verhindern würde.»
Lesen Sie, liebe LeserInnen, diesen letzten Absatz nochmals. Bei Berlusconi ging ein Aufschrei über unseren Planeten und durch das globale Kopfschütteln vielen irgendwo ein paar Kokosnüsse zu Boden. Unsere PolitikerInnen finden es aber allem Anschein als selbstverständlich, dass ein illegales Tun, nachträglich durch ein Gesetz legitimiert werden darf. Und dies rasch, wie Peter Bernasconi immer wieder betont. Illegal ist die Aktion vom Anzeiger und der Berner Kulturagenda deswegen, weil eine Beilage beim Amtsanzeiger nur als «eigenständiges Element», als separat gedrucktes und beigelegtes, als Beilage verkauftes Element mit unterschiedlichem Herausgeber, gültig ist – und das ist momentan nicht der Fall. Die Definition, was eine Beilage sei und wie diese gebaut sein müsste, wird in der neuen Gesetzesgrundlage nicht besprochen. Mit dem neuen Gesetz erhält der Anzeiger also erst recht alle publizistischen Freiheiten, mit der offiziellen Zwangsverteilung in alle Briefkästen, mit dem amtlichen Orden, von den Berner Gemeinden und vom Gesetz gestützt, hochoffiziell zugesprochen. Prost.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, März 2009