Von Simone Weber — Wenn die schwülwarme Sommerluft unsere Füsse dick und heiss schwellen lässt, würden wir am liebsten Barfuss gehen. Über kurz gemähte Wiesen schreiten, die Knöchel im kühlen Wasser baden oder weichen, warmen, weiss schimmernden Sand zwischen den Zehen hindurch rieseln lassen. Davon träumen wir an solchen Tagen. Leider sieht die Realität meist anders aus. In der Stadt brennt der mit Hitze vollgesogene Asphalt Blasen in die nackte Fusssohle, als würde man über heisse Kohlen gehen. Zerschlagene Bierflaschen drohen uns aufzuschlitzen und alte klebrige Kaugummireste sorgen dafür, dass wir sämtliche Abfallsünden unfreiwillig mit nach Hause tragen. Auch im Büro will keiner nackte Füsse sehen. Wer aufs Sommerfeeling unter den Füssen dennoch nicht verzichten mag, der geht auf Steppengras. In der Stadt und im Büro. Das geht. Dank unseren Spanischen Freunden und Ihrer tollen modischen Erfindung, den Espadrilles.
Gemäss Wiki sind Espadrilles «leichte Sommerschlupfschuhe, deren verschlussloser Schaft aus Baumwolle oder Leinen und deren Sohle aus geknüpften Pflanzenfasern (Flachs, Hanf) besteht». Ihren Namen verdanken die Schlupfschühchen dem Espardogras, einem Steppengras, aus dem die leichte Sohle gewoben wird. Heute werden gut achtzig Prozent dieser Schuhe in Bangladesch produziert, zu einem grossen Teil in Handarbeit. Den grössten Aufwand macht die Sohle aus. Schneckenartig werden Hanf oder Sisalzöpfe mit hydraulischen Pressen in die richtige Form gebracht und anschliessend die verschiedenen Stränge zusammen genäht. Ursprünglich von Fischern und Bauern in Spanien und Südfrankreich getragen, liefen sich die Sommerschuhe in den Sechziger und Siebziger Jahren in die Herzen von berühmten Schönheiten wie Sophia Loren oder Grace Kelly, die das südländische Leben repräsentierten. Von da war der Schritt in die grosse weite Modewelt ein leichter. In unseren Breitengraden erfreuten sich die Espadrilles erstmals in den Achtzigern grosser Beliebtheit. Schnell gehörten Sie zum Sommer wie Eiskaffee, Bikini und Sonnenbrand. Zur weitreichenden Verbreitung der Espadrilles führten aber nicht nur deren cooler Look und Tragkomfort. Mitverantwortlich war der von Billigkopien aus dem asiatischen Raum ausgelöste Preissturz.
In den letzten Jahren erlebten die Espadrilles, nach einer langen Durststrecke auf der Eckbank einiger Öko-Freaks, ihre Wiedergeburt in der Modewelt. Für den erneuten grossen Erfolg der in Vergessenheit geratenen Fussbekleidung ist die neue Anti-Glitzer-und-Glamour-Modebewegung verantwortlich. Und grosse Konkurrenz der Espadrilles. Die Flipflops. Man ist ihrem rudimentären Design und dem Geschlurpfe, das sie mitverantworten, überdrüssig geworden. Espadrilles sind die beste Alternative. Auch Sie sind leicht und luftig und werden barfuss getragen. Damit schaffen Sie die beste Voraussetzung für heisse Sommertage, geschwollene Füsse zu vermeiden. Dafür bieten sie weder Halt noch Dämpfung.
Leider sind Sie wirklich nur bei sonnig warmem Wetter zu gebrauchen. Die saugfähigen Materialien fallen bei Nässe auseinander wie ein Braten ohne Schnur. Auch durch Hundehaufen waten ist mit diesen Sohlen an den Füssen keine gute Idee. Reinigen geht nicht, schon gar nicht in der Waschmaschine. Espadrilles inhalieren Düfte wie Raucher den blauen Dunst, nur dass sie sie nicht wieder freigeben.
Espadrilles werden von Männern, Frauen und Kindern gleichermassen getragen. Als klassischen Sommerschuh gibt es ihn in allen erdenklichen Farben, aber auch klassisch und etwas eleganter in Schwarz oder Weiss. Die Designer haben ihm Keilsandalen verpasst und nicht wenige Damen verlängern ihre braun gebrannten Beine so um drei bis zehn Zentimeter. Aber fair ist das nicht. Ein Espadrille ist kein Modepüpchen, sondern ein Wesen mit Tiefe und einem wahren Kern. Er sollte nicht als Pseudo-Öko-Schuh für die gute Reputation vieler Designer herhalten müssen. Er hat wirklich nichts mit der schikimiki Welt der Schönen und Reichen zu tun, auch wenn er Sophia Loren damals an den Füssen klebte.
Foto: zVg.
ensuite, August 2011