Von Caroline Fuchsbau-Bleichwasser — Interview mit Christoph Simon über seinen neuen Roman «Spaziergänger Zbinden»: Betrachten Sie die erste Frage als Tonbandprobe. Ihren Namen und Beruf?
Christoph Simon, Spaziergänger.
Wann und wo wurden Sie geboren?
Ich bin extraterrestrischer Herkunft. Aus dem All herabgestiegen. Für immer haben sich mir die Worte eingeprägt, die der Leiter der Pilgergruppe sprach, während wir auf die Erde zugingen, mit kleinen Flügeln an den Füssen: «Wir sind noch in der Umlaufbahn, aber da unten sehen Sie die Schweiz, sie ist von Nebelschleiern umhüllt.» Funktioniert das Tonband?
Ja. Sie bezeichnen sich als Spaziergänger.
Es gibt Hinweise in meinem Lebenslauf, dass mich Spazieren, lange bevor ich meine ersten Schritte tat, bereits ungemein faszinierte. Ein Bébé in den Bergen, das seine Nase an die Scheibe presst und sich fragt, was die Fussgänger auf dem Trottoir erleben und wieviel wohl die Zulassung kostet. Heute bin ich Schriftsteller und schreibe Bücher über Fragen, die mich auf Spaziergängen beschäftigen.
Sie haben vier Romane geschrieben und können vom Schreiben leben – fühlen Sie sich als Glückspilz?
Ich bin der Meinung, dass ich vom Spazieren leben können sollte. Ich halte meine Spaziergänge für nützlich. Solange ich vom Spazieren nicht leben kann, werde ich versuchen, den Schreibberuf zu erhalten, der mir Zeit zum Spazieren lässt.
Sie halten Ihre Spaziergänge für nützlich?
Ich glaube, dass der Anblick eines Spaziergängers die Leute beruhigt. Mein geschärfter Hör- und Sehsinn verschafft meiner Leserschaft höheren Lesegenuss.
Würden Sie Spazieren als Sucht bezeichnen?
Als nicht zu bändigende Leidenschaft. Zuweilen habe ich Angst, die Augen auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde zu schliessen und mir dadurch etwas auf dem Spaziergang entgehen zu lassen. Spazieren sorgt für Augenblickserlebnisse. Stimuliert einerseits die Phantasie, befreit andererseits von der Tyrannei der eigenen Gedanken. Die Distanz zur gegenwärtigen Umwelt verringert sich. Spazieren hält einen in Schwung und macht einem die Menschen interessanter. Ich habe mir lange überlegt, «Spaziergänger Zbinden» unter dem griffigeren Titel «Der Spaziergang – seine hygienische und soziale Bedeutung oder Die Errichtung von Spaziergänger-Reservaten» zu veröffentlichen.
«Spaziergänger Zbinden» handelt von einem alten Mann, der meint, über die Kunst des Spazierens zu sprechen, in Wahrheit aber die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner verstorbenen Emilie erzählt. Warum haben Sie Spaziergänger Zbinden geschrieben?
Um an den Niederbipper Schriftsteller Gerhard Meier zurückdenken zu dürfen und um Freude zu verbreiten. Ich versuche, in meine Texte alles an Poesie, Liebe und Geist einzubringen, wozu ich fähig bin. Was ist das?
Ein Sitzkissen. Ein Geschenk für Sie. Man hat mir gesagt, das Praktischste, was man einem masslosen Spaziergänger schenken könne, sei ein Sitzkissen.
Vielen Dank.
Das Buch: Christoph Simon, Spaziergänger Zbinden, Bilgerverlag.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010