Von Dr. Regula Stämpli - Hanspeter Born ist studierter Anglist mit PhD, war bei SRF Washington-Korrespondent und bis 2009 Auslandredaktor für die Weltwoche. Born gilt als profiliert-exentrischer Journalist mit Haltung. Selbst seine Feinde attestieren ihm hartnäckiges Recherchieren und exzellentes journalistisches Handwerk. Dies sind mittlerweile ja rare Qualitätenin der heutigen Medienlandschaft. Mit „Ein klarer Fall“schrieb sich Born in die Liga der Aufdeckung schweizerischer Justizskandale ein. Sein 1989 publiziertes Buch „Mord in Kehrsatz“hob Hanspeter Born indie Nähe des Pulitzerhimmels, was ihn unter den neidischen Kollegen nicht beliebter machte. Kontroverse Themen sind seine Spezialität, sogar den ehrwürdigen William Shakespeare wollte er des Betrugs überführen.
Wirbel machte auch Borns Buch über den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim: „Für die Richtigkeit.“ Born kam darin zum Schluss, dass der einflussreiche Offizier Waldheim zur Nazizeit durchaus „moralische Mitverantwortung“ für die Massenmorde auf dem Balkan trage. Born beschrieb Waldheims penetrante Selbstgerechtigkeit brilliant. Ruth Beckermanns grossartiger Film „Waldheims Walzer“ aus dem Jahre 2018 zeichnet ein ähnliches Bild. Und anders als die österreichischen Journalisten, die „vor Waldheim niederknieten“(Ruth Beckermann), wagte Hanspeter Born eine durchaus kritische Einschätzung Waldheims.
Weshalb diese lange Vorrede zum Autoren statt zum Buch? Well.
Normalerweise würde ich mich nie und nimmer an eine Biografie setzen, die über den ehemaligen Bundesrat Pilet-Golaz schon im Titel mit „Staatsmann im Sturm“ urteilt. Doch ich wurde neugierig. Hanspeter Born ist ja bekannt für seine Unabhängigkeit, also her mit den 512 Seiten inklusive Personenverzeichnis und zahlreichen Originalquellen.
Borns kriminalistisches Gespür und Sprache sind beneidenswert. Der Einstieg ist der Hammer: „Noch vor Morgengrauen schreckt das Geknatter von Fliegerabwehrkanonen Clare Hollingworth aus dem Bett. Es ist Freitag, der 1. September 1939.“Natürlich will man da unbedingt weiterlesen. Und wird auch nicht enttäuscht. Über weite Strecken gelingt es Hanspeter Born den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht der Schweiz packend zu beschreiben und die Situation von damals mit neuen Quellen nahezubringen. Die grosse Sympathie indessen, die Hanspeter Born dem umstrittenen Bundesrat Pilet-Golaz entgegenbringt, wird einer kritischen Leserin trotzdem nicht verständlich. Pilet-Golaz zieht Individualismus, Bildungsdünkel und Habitus der Demokratie immer vor. Andererseits wird schnell klar, dass er für seine Politikkollegen viel zu gescheit, zu selbstsicher, zu ungeduldig ist und bei den schwerfälligen Kleingeistern der Eidgenossenschaft früher oder später anecken muss. Doch in meiner eigenen Dissertation beschreibe ich, wie unerträglich selbstgerecht auch Pilet-Golaz war. Für die Zeitgenossin Else Züblin-Spiller, „die achte Bundesrätin“, verantwortlich für die gelungenen Ernährungs- und Rationierungsmassnahmen im Krieg, war der vornehme Pilet-Golaz ein Graus. Unsäglich eitel, an Militärmanövern mit Béret,Pullover und Knickebockers erscheinend, übte er sich in einer aristokratischen Haltung, sehr typisch für einige Romands, Staaten- und Medienlenker bis heute. Dass Pilet auch noch Golaz heisst ist eine wahrhaft neckische Geschichte, nachzulesen bei Hanspeter Born.
Ja. Hanspeter Born kann recherchieren, schreiben, Weltgeist entwerfen,
doch: Es gibt Sätze, die machen jeden kritischen antifaschistischen Geist wahnsinnig. So meint Born über Pilet-Golaz: „Den Faschismus lehnt er ab, fürchtet ihn aber nicht. Hingegen ist ihm als Liberaler, Christ und Schweizer der Nationalsozialismus zutiefst zuwider“(S. 16), really?
Echt jetzt? Als Hannah-Arendt-Schülerin interessiert mich an Staatenlenker nicht, wie sie „wirklich“, d.h. „persönlich“waren, sondern nur, welche Entscheide und Handlungen sie trafen, die viel mehr überden Charakter aussagen als Interpretationen irgendeines Innenlebens. Auch bei der Beschreibung eines „Arrangements“zwischen dem Rechtsaussen-Bundesrat und den Gewerkschaftsführern Robert Bratschi und Robert Grimm scheint mehr Fantasie als Fakten eine Rolle zu spielen.
Denn schliesslich hatte Pilet noch als Nationalrat den Bundesbeamten bei Post und Eisenbahnen das Streikrecht abgesprochen.
„Staatsmann im Sturm“stützt sich auf Primärquellen und den unbearbeiteten Nachlass von Marcel Pilet-Golaz. Der Fokus auf 1940 ermöglicht es Hanspeter Born die Nähe der Schweiz zum Nationalsozialismus und zum italienischen Faschismus aus der Sicht der damaligen Schweizer Elite aufzuzeigen. Es ist eine Schrift gegen die Selbstgefälligkeit der Nachgeborenen, die Gefährlichkeit nach Hitlers Blitzkriege 1940 regelmässig zu unterschätzen. Hanspeter Born erzählt eine Schweizer Geschichte die dank diplomatischen Geschick unbeschadet durch diese stürmischen Monate kam. Born nimmt den Schöngeist Pilet-Golaz in Schutz, verteidigt ihn als klugen und standfesten Staatsmann und versucht zu belegen, dass der Waadtländer zu Unrecht als potentieller Kollaborateur und Buhmann in die Schweizer Geschichte einging. Dies gelingt Hanspeter Born bei unbelasteten Publikum sicher gut. Eine Prise Kritik gemäss der „Banalität des Bösen“, sprich die tendenziell eidgenössische Duckmäuserhaltung gegen oben zu buckeln und gegen unten treten, hätte dem Buch indessen gut getan. So ist Borns Buch ein sehr schweizerisches Buch. Es erzählt die Geschichte aus der Sicht der Regierung eines Landes, das sich zwar gerne der Demokratie rühmt, diese aber nicht durch Teilhabegerechtigkeit definiert, sondern sie im Wesentlichen als internationalen Finanzplatz für Superreiche, als globalen Handelspartner auch mit Diktaturen und als Hort für einheimische Spitzenindustrien verteidigen will *„coûte que coûte“.*
Dieses Narrativ mit klassisch rechtspopulistischen apologetischen Touch beherrscht Hanspeter Born. Es ist nicht besser oder schlechter als der linkspopulistische Ansatz, alle Kriegsrealitäten vom moralischen Hochsitz aus zu bewerten. Bei allen politischen Vorbehalten gegenüber der Wertungen von Hanspeter Born möchte ich, als begeisterte Leserin aller historischer Schunken, den „Staatsmann im Sturm“dennoch empfehlen.
Hanspeter Born, Staatsmann im Sturm, Münsterverlag 2020.