Von Sonja Wenger — Manche Leute würden David Wozniak (Patrick Huard) einen Tagedieb nennen. Während den 42 Jahren seines Lebens hat er sich erfolgreich dem Erwachsenwerden widersetzt, und ausser Fussball, seiner T‑Shirt-Sammlung oder dem – erfolglosen – Kultivieren eines Hanfgartens interessiert ihn eigentlich wenig. Seinen Job als Fahrer der Familienmetzgerei in Québec macht er mehr schlecht als recht, und zwischendurch hetzten ihm seine Gläubiger üble Schlägertypen auf den Hals, da er bei ihnen mit 80’000 Dollar in der Kreide steht.
Doch erst als ihm seine Freundin Valérie (Julie Le Breton) eröffnet, dass sie schwanger sei, und ihn aufgrund seiner Reaktion gleich in den Wind schiesst, entschliesst sich David, sein Leben zu ändern. Allerdings versinkt er mit seinen wohlmeinenden aber ungeschickten Bemühungen nur noch tiefer im Schlamassel seines Lebens. Und da schlimmer bekanntlich immer geht, steht eines Tages auch noch ein Anwalt in seinem Wohnzimmer, der ihm eröffnet, dass gegen ihn soeben eine Sammelklage eingereicht worden sei.
Der Grund: Vor über zwanzig Jahren hatte David in der Samenspenderklinik neben seiner damaligen Wohnung regelmässig angeklopft. Aufgrund eines Irrtums wurde danach lange ausschliesslich sein Sperma verwendet, so dass David der biologische Vater von 533 erwachsenen Kindern ist. 142 von ihnen wollen nun die Identität des Mannes erfahren, den sie nur unter dem Pseudonym Starbuck kennen – nicht ohne Ironie der Name eines kanadischen Zuchtbullen, mit dessen Samen in den achtziger und neunziger Jahren weltweit hunderttausende Nachkommen gezeugt wurden.
Nachdem David seinen ersten Schock überwunden hat, stürzt sich sein bester Freund und Anwalt (Antoine Bertrand) auf den Fall, der ihm endlich die lang ersehnte Anerkennung bringen könnte. Zusammen verklagen sie die Klinik auf Schadenersatz und verlangen, Starbucks Identität zu wahren. Damit könnte David nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern auch ein neues Leben mit Valérie beginnen – so zumindest der Plan. Er hat jedoch nicht mit seiner Neugierde über «seine Kinder» gerechnet. Unter verschiedenen Vorwänden sucht er eines nach dem anderen auf und wird für einige gar zum heimlichen Schutzengel.
Davids Euphorie für seine neue Rolle wächst ins Grenzenlose. Er steht sogar kurz davor, die Klage fallen zu lassen und seine Identität freiwillig preiszugeben, als die Presse Wind von der Geschichte erhält. Plötzlich wird für David die Frage, ob Starbuck anonym bleiben soll oder kann, eine höchst öffentliche Angelegenheit.
Das Konzept der kanadische Komödie «Starbuck» erweist sich im wahrsten Sinne des Wortes als fruchtbar. Der Film ist nicht nur gespickt mit einer sensationellen Situationskomik und herrlich lebensnahen Dialogen. Er ist auch warmherzig, mit überraschenden Wendungen – etwa wenn man erfährt, wozu David das Geld für alle seine Samenspenden verwendet hat – und voller präziser Beobachtungen des Alltags, der einen über einige womöglich zu sentimentale Momente hinwegsehen lässt. Die durchs Band weg liebenswert schrulligen Nebenfiguren und ein superb spielender, knuddeliger Hauptdarsteller, der die Jovialität seiner Figur genauso gut zu schultern vermag wie dessen versteckte Intelligenz, tun das ihre, aus «Starbuck» ein erfrischend unterhaltsames, witziges, und durchaus feinfühliges Kinoerlebnis zu machen.
Regie: Ken Scott. Länge: 103 Minuten.
Foto: zVg.
ensuite, August 2012