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Stefano der Grosse

Von Eva Mol­let - Ste­fano de Marchi ist ziem­lich gross. Die Augen sind grau-blau, die Brille inte­gri­ert sich unauf­fäl­lig ins Gesicht. Ste­fano dreht eine Haarsträhne zu einem Hörnchen, während er erzählt. Ste­fano ist sech­sun­dreis­sig Jahre alt und arbeit­et als Pro­duzent, Ton­tech­niker und DJ.

Mit Ste­fano über seinen Werde­gang zu sprechen, ist wie durch ein Objek­tiv schauen, welch­es sich nicht wirk­lich scharf ein­stellen lässt. «Ich war nie inter­essiert an ein­er lin­earen Arbeits­bi­ografie. Das abgeschlossene Medi­zin­studi­um, die Tätigkeit in der Forschung und als Dozent erwäh­nt Ste­fano beiläu­fig. «Bish­er wurde mir nach drei Jahren das Gle­iche tun lang­weilig.» Lieber spricht er über seinen lebenslan­gen Hunger nach Musik und die damit ver­bun­de­nen Pro­jek­te. Er ist Teil­haber der bei­den Ton­stu­dios an der Wasser­w­erk­gasse: Cen­tral Dubs und Jaguar.

Am 25. August jährt sich die Über­schwem­mung im Bern­er Mat­te­quarti­er. Das Auf­nahme- und Abmis­chstu­dio Jaguar befind­et sich im Parterre und wird über­flutet. Der Wasser­stand misst 1,50m. Heizöl ver­mis­cht sich mit Aare­wass­er. Der akustis­che Innenaus­bau und die Geräte sind zer­stört. Die analo­gen Auf­nah­megeräte sind Rar­itäten, die heute nicht mehr hergestellt wer­den. Der per­sön­liche Wert ist uner­set­zbar. Ste­fano ver­liert seine Arbeit von einem Tag auf den anderen. Das Stu­dio ist zu dieser Zeit bis in den Früh­ling des fol­gen­den Jahres aus­ge­bucht. Dieser Ver­sicherungs­fall ist bis heute nicht abgeschlossen. Zum Glück befind­et sich das Stu­dio für Mas­ter­ing und Schallplat­ten­schnitt (Cen­tral Dubs Stu­dio) im 2. Stock. Hier gibt es noch eine Rar­ität: Eine Mas­chine, die Rillen in die Mut­ter­plat­te (Dub­plate) schnei­det. Weltweit existieren unge­fähr noch 300 dieser Appa­ra­turen. Wie kommt die 500kg schwere Mas­chine von Dehli in die Schweiz? Das Stu­dio in Indi­en hat die LP-Pro­duk­tion eingestellt. Ste­fano und seine bei­den Geschäftspart­ner kaufen die Mas­chine und lassen sie nach Lon­don trans­portieren, wo sie Sean Davies prüft und ihnen das Know-how ver­mit­telt.

Zur Stammkund­schaft des Stu­dios gehören u. a. DJs, die von ihren Mix­en eine Mut­ter­plat­te her­stellen lassen. Diese lässt sich auf dem Plat­ten­teller abspie­len oder in einem Press­werk vervielfälti­gen.

LP ver­sus CD? «Schallplat­ten tönen ein­fach bess­er. Eine LP muss weniger kom­prim­iert wer­den. Der Sound ist natür­lich­er, hat mehr Wärme und Tiefe. Plat­ten aufle­gen ist sinnlich­er für den DJ als Knöpfe drück­en.»

Ste­fano wächst im Bre­it­en­rain-Quarti­er auf. Zu Hause wird Ital­ienisch gesprochen. Ste­fano denkt abwech­sel­nd in zwei Sprachen. Er nimmt Klavierun­ter­richt. Später bringt sich Ste­fano andere Instru­mente selb­st bei. «Die Musik ist stärk­er als ich. Sie zwingt mich dazu, mir für sie Zeit zu nehmen.» Der jugendliche Ste­fano kauft sich Plat­ten. Aus New York kommt der aufre­gend­ste Sound. Am stärk­sten fühlt er sich vom Hip-Hop ange­zo­gen. Er durch­wühlt die Plat­ten­lä­den auf der Suche nach Neuent­deck­un­gen und Under­ground-Sounds. Der Anteil an HipHop-Plat­ten ist damals noch spär­lich. House ist ver­bre­it­et. «Mich inter­essierten die LPs in Hüllen ohne bedruck­te Cov­ers, ohne Labels.» For­ma­tio­nen, wie Grand­mas­ter­flash, A Tribe Called Quest, Run DMC, Pub­lic Ene­my und der Wu-tang Clan sind für Ste­fano weg­weisend. Seine Plat­ten­samm­lung wächst. Er trifft eine Auswahl für seinen DJ-Kof­fer, zieht umher und fragt in Clubs, ob er aufle­gen darf. «Wenn es laut sein kann und Leute tanzen, dann füh­le ich mich wohl.»

Hip-Hop aufzule­gen, war damals noch keine Massen­ver­anstal­tung. Als der angenehme Effekt «Gage» dazukommt, organ­isieren sich Ste­fano und seine Fre­unde. Er nen­nt sich DJ B. Er bere­it­et den Auftritt vor, verteilt «Fly­ers». Mit der Zeit füllen die Hip-Hop Anlässe ganze Dis­cos. Je mehr Hip-Hop zum Massen­event wird, desto weniger inter­essiert sich Ste­fano dafür, den «Tätschmeis­ter» zu spie­len. «Und mit dem älter wer­den, wurde die Diskrepanz zwis­chen dem Pub­likum und mir immer gröss­er.»

Heute tritt er mit der Gruppe LDeeP auf die Bühne und als DJ bei Freestyle-Events. Bei let­zteren treten zwei MCs gegeneinan­der an. Wer repräsen­tiert sich bess­er und reimt bess­er ad hoc? In ein­er Bat­tle entschei­det darüber das Pub­likum oder eine Jury. Ste­fano ist Mit­grün­der und Mit­glied von LDeeP. Er pro­duziert die vier Alben. (www.ldeep.com) Die let­zte CD «Wart nume» erschien 2004. Im Stu­dio hören die MCs den Beat, schreiben spon­tan die Texte dazu und nehmen die Tracks noch am sel­ben Abend auf. Im Win­ter will Ste­fano die Band wieder zusam­men­stellen. Von LDeeP wird sich Neues hören lassen. Zusam­men mit Raphael Urwei­der arbeit­et Ste­fano bere­its an einem Solo­pro­jekt. Er möchte auch weit­er­hin mit jun­gen Hip-Hop-Tal­en­ten arbeit­en. Kür­zlich pro­duzierte er das Mix­tape eines siebzehn­jähri­gen deutschen Rap­pers namens Lunetik. «Er ist sack­stark und ver­sprüht eine enorme Energie hin­ter dem Mikro­fon.» Für Kom­merz inter­essiert sich Ste­fano über­haupt nicht. Er ist ein Mach­er. «Ich sage lieber etwas zu wenig, als zu viel.»

 www.centraldubs.com

Bild: Wikipedia
ensuite, August 2006

Artikel online veröffentlicht: 13. August 2017