Von Simone Weber — In den letzen Jahren wurde die Strickmode wieder entdeckt. Lange Zeit galten Strickkleider-Träger als Körnchenpicker, schräge Öko-Freaks oder Anthroposophen-Extremisten. Diese Schublade wurde inzwischen aufgeräumt. Zum Glück. Nun traut die Bevölkerung sich wieder, Strick zu tragen. Er gehört inzwischen auf die Laufstege wie Zwölfzentimeter-Absätze und Magermodels. Die Strickkunst ist eine der ältesten Techniken zur Herstellung von unterschiedlichsten Stoffen, allem Anschein nach ist sie sogar älter als die Weberei. Stricken – dies dürfte allgemein bekannt sein – funktioniert nach dem Prinzip der Maschenbildung, die sehr wahrscheinlich aus einer Flechttechnik abgleitet wurde.
Möglicherweise wurden die ersten Strick-waren mit Hilfe von zu Nadeln geformten Knochen oder Holzstücken gefertigt. Wie das Stricken an und für sich funktioniert lernt heute jedes Kind. «Ineschtäche, umeschlah, dürezieh und abelah». Mit anderen Worten: Durch eine auf der linken Nadel liegende Schlinge wird mit einer zweiten Nadel eine neue Schlinge gezogen und als so genannte Masche auf diese Nadel gehoben.
Wahrscheinlich geriet die Kunst des Strick-ens im Laufe der Zeit in Vergessenheit. Erst im Mittelalter wurde in Italien wieder gestrickt, was aufgrund der bis heute erhaltenen Handschuhe von Papst Clemens dem Fünften überliefert ist. Natürlich waren damals nicht nur die Italiener des Strickens mächtig, sondern ebenso die Spanier – und allem Anschein nach auch die Urvölker Amerikas. Auf der anderen Seite des Atlantiks soll ein peruanischer Handschuh Beweisstück der Kunstfertigkeit sein. Auf unserem Kontinent schaffte es die Strickerei von Italien über die Alpen bis in die Schweiz. Natürlich vollzog sich die Verbreitung auch in andere Windrichtungen, so dass gestrickte Gegenstände im ganzen Gebiet Europas bald keine Seltenheit mehr waren.
Im 16. Jahrhundert erfand der Engländer William Lee die erste Strickmaschine. Als Student verliebte er sich in ein hübsches Mädchen. Sie heirateten bald. Weil er als Prediger nicht viel Geld nach Hause brachte, musste seine Angetraute dazu verdienen. Sie strickte Strümpfe. Weil er es anscheinend schlecht verkraftete, zu sehen wie streng seine Liebste arbeiten musste, wollte er ein Gerät erfinden, das schneller stricken konnte, als die Hände seiner schönen Frau. Schon bald konnte er den ersten funktionierenden Handkulierstuhl präsentieren. Dieser Apparat strickte sechsmal schneller als die geübte Hand seiner Frau. Die nützliche Erfindung verbreitete sich in diverse Länder Europas, wo sie interessanterweise hauptsächlich von Männern bedient wurde.
Bald wurden Strickerzünfte gegründet und das Handwerk gewann eine immense Bedeutung. Es wurden Teppiche gestrickt, Strümpfe, Handschuhe und Mützen. In der Biedermeierzeit kamen Tischdeckchen, Tagesdecken fürs Bett und Vorhänge dazu. Aus dünnem Zwirn und mit feinen Nadeln strickte man auch zart gemusterte Babyhäubchen. Es wurden gemusterte Beutel gestrickt, in die man Perlen einarbeitete, so dass keine Maschen mehr erkennbar waren, nur noch wundervolle Perlenmuster.
Nachdem in der Mode die Röcke über den Füssen endeten, waren gestrickte Strümpfe aus weisser Baumwolle besonders gefragt. Sie wurden mit Stickereien und Spitzenmustern verziert, und an gut sichtbaren Stellen sogar die Initialen verewigt. Gegen Ende des 19. Jahr-
hunderts wurden in den Modezeitschriften immer öfter Anleitungen zum Stricken von Röckchen, Umhängen und warmer Wäsche veröffentlicht. Dreissig Jahre später diente Strickware in erster Linie als Wärmespender für kalte Wintertage. Gross im Rennen waren Socken, Puls- und Kniewärmer, Kappen und Schals. Strümpfe wurden nun mehr fast ausschliesslich industriell hergestellt.
Seither war Strickmode immer wieder angesagt. Mal sportlich, mal elegant, mal weit, mal eng. Momentan sind besonders kurze Strickkleider beliebt, und Ponchos oder Capes. Selbst im Sommer wird Strick getragen, Longshirts und kurze Jäckchen aus leichten Garnen. Das Besondere an Strickkleidern sind die Muster, je nach Wolle sind sie fein oder grob und robust. Besonders schön und beliebt sind Zopf- oder Lochmuster. Natürlich ist die Farbpalette für Strickmode unbegrenzt, meist sieht man jedoch erdige Töne wie grau, beige oder braun, oder auch schwarz. Es sind aber nicht nur die unbegrenzten Möglichkeiten an Mustern, Farben und Materialien, die Strickkleider so fabelhaft machen. Die Dehnbarkeit von Strickstoffen garantiert den perfekten Sitz für unterschiedlichste Körperformen. Auch sonst ist Strick wandelbar. Je nach Kombination wirken gestrickte Kleidungsstücke elegant, sportlich oder gemütlich. Strickmode liegt im Trend und edle Wollstoffe wie Kaschmir oder Angora sorgen für Eleganz und Exklusivität. Das Öko-Image von Strickklamotten ist mittlerweile völlig überholt und klischeehaft.
Foto: zVg.
ensuite, September 2011