Von Anabel von Schönburg - Dass Pop Art auch ohne die Bilderflut einer wirklich grossen Stadt entstehen konnte beweist eine Sonderschau im Aargauer Kunsthaus Aarau, die ausschliesslich mit schweizerischen Pop Art-Werken bestückt ist. Nach rund fünfzig Jahren ist Pop Art wieder angesagt — so Madeleine Schuppli, Direktorin des Hauses. Das Themengebiet ist bisher kaum kunsthistorisch untersucht, jetzt kann man noch einige Künstler-Interviews machen, dabei vielleicht sogar in lange nicht geöffneten Mappen auf noch nie gezeigte Schätze treffen.
Pop Art als Begriff wurde auf dem gleichnamigen Symposium 1962 im Museum of Modern Art in New York offiziell eingeführt. Grundlegend sind die Hinwendung zur Alltagskultur, Massenmedien und technologischem Fortschritt. Auch die Schweiz war in den Sechzigerjahren im Wandel begriffen. Die internationale Pop-Ästhetik fand Eingang in die Konsumkultur, in Form von Musik, Mode und Designobjekten aus buntem Kunststoff. Und auch die jungen Schweizer Künstler wollten anders sein, anders arbeiten, andere Motive wählen und Materialien verwenden. Sie wählten moderne Sujets aus dem Alltag, der industriellen Massenproduktion oder Bilder aus Presse, Film und Television. Es gibt gewaltige Unterschiede in der Brisanz der Themen: Zwischen dem banalen Schokopudding und dem Vietnamkrieg ist inhaltlich alles vertreten, Unglücksfälle, Verbrechen und Rassenkrawalle neben Produkten wie Bier oder Cola und den Helden des Massenzeitalters, den Astronauten, Pop-Musikern und Filmstars. Als Gestaltungsmittel kamen neben neuen Farbmitteln vermehrt mechanische Reproduktionstechniken wie Siebdruck, Punktraster und Serigrafie zum Einsatz, auch vorgefertigte Fabrikate wie Leuchtmittel, Folien, Kunstharze oder ganze Alltagsgegenstände wurden verwendet. Häufig ist mit vorgefundenen Bildern gearbeitet worden, mit Plattencovern, Zeitungsausrissen, Details aus Plakaten oder Illustrationen, isoliert oder über-vergrössert zitiert.
Marc Eggers “Carscape” aus dem Jahr 1962 gilt als die erste schweizerische Pop Art-Arbeit. Das Auto, verehrtes Sinnbild der industriellen Produktion, wird im Profil gezeigt, auf einem kleinen Sockel, sonst vor neutralem Hintergrund. Egger malte verschiedene Auto-Marken und Modelle, später auch eine Serie mit Flugzeugen, auf Kombinationen von Leinwand und verspiegelter Folie. Carl Bucher lässt sich von der Thematik der Raumfahrt inspirieren und wiederholt sein Motiv in farblichen Variationen als Wandbild und Objekt. Hugo Schuhmacher gibt sich nicht nur der Automobil-Verehrung hin, er kombiniert sie in der Serie “Frauto” mit den Symbolen weiblicher Erotik. Im Siebdruckverfahren werden die Kurven und Farben von Frauen und Autos verschmolzen, beispielsweise werden statt der Brustwarzen Mercedes-Sterne aufreizend vorgestreckt.
Max Matter hingegen beleuchtet nicht nur die andere Seite des Automobilismus, auch die Konfrontation von Landschaft und Architektur, von Natur und Zivilisation, von Tradition und Moderne. Seine mit Spray-Farben auf Kellco-Platten oder beleuchteten Plexiglaskuppeln geschaffenen Landschaften gemahnen etwa der Schneisen, welche die neuen Autobahnen in die heimische Landschaft geschnitten hatten. Er kritisiert auch Überbauungen und Kampfjets, thematisiert die populäre Ikonografie der Schweizer Tourismuswerbung und wagt sich an inhaltlich schwer besetzte Motive wie das Bundeshaus, das Schloss Chillon und die Tellkapelle.
Bei Barbara Davatz Foto-Serie “Souvenirs aus dem Appenzell” leuchten traditionelle Motive in poppigen Farben, mit Eiweiss-Bindemittel von Hand koloriert auf Baryt-Abzügen. Die Nähe von Pop Art zu Volkskunst und Heimatkunst ist deutlich spürbar, allen gemein der Wunsch die alltäglichen Themen leicht verständlich in Szene setzen, eine heile Welt zu schildern. Der Galerist Bruno Bischofsberger sammelt beides und stellte schon früh Peter Stämpfli aus. Seine Galerie, die Galerie Palette und die Szene um Harald Szeemann, damals Kurator der Kunsthalle Bern, galten als Zentren des Swiss Pop. In der Galerie Beat Mäder in Bern inszenierte Urs Lüthi als neunzehnjähriger die Vernissage seiner formal strengen, abstrakten Werke, mit lautem Happening und wilder Party. Er arbeitete nach dem Studium unter anderem als Grafiker und Layouter für Werbeagenturen und das Frauenmagazin Annabelle. Auch noch einige andere der Künstler gestalteten die Umwelt gleichzeitig als Lehrer, Werbegrafiker, Plakatgestalter, Produkt- oder Möbel-Designer.
Oft blieb Pop Art eine Phase der künstlerischen Entwicklung, etwa bei Frantz Gertsch, in der Ausstellung vertreten mit grossformatigen Silhouetten der Rolling-Stones, aus Papier ausgeschnitten und auf Pavatex aufgeklebt, er beschäftigt sich ab 1969 mit dem Fotorealismus. Urs Lüthi wurde mit seinen Selbstportraits bekannt, Emilienne Farny wendet sich dem kritischen Realismus zu und Marc Egger entdeckt die Effekte fluoreszierender Farbe für sich.
Peter Stämpfli malt seit 1969 ausschliesslich die Struktur von Autoreifen. Bei seinen Gemälden aus den Jahren 1963/64 handelte es sich noch um verschiedene, stark vereinfachte Motive, isoliert vor weissem Hintergrund. Ob Tomate, Telefon, Pudding oder Kühlschrank, alles ist neu und mit sachlicher Kühle abgebildet. Selbst wenn er ein Frauenauge malt, hat es keinen Ausdruck, es ist ganz sachlich, denn der Warencharakter aus der Werbung wird auch beim Menschen diagnostiziert. Stämpfli arbeitet auf riesigen Leinwänden, die direkt an der Wand befestigt sind. Erst nach Abschluss des Bildes wird die Leinwand auf den Keilrahmen aufgespannt, das Motiv auf den Millimeter genau ausgemittelt — ein Fehler in dieser Phase kann das ganze Werk zerstören. Weiss ist für ihn “kein verlorener Raum, es ist dieser Raum, der das Objekt zum Leben erweckt.” (PS im Gespräch mit Alfred Pacquement — Malen mit Kälte, DU 876)
Steht man nun in Aarau nahe vor dem Original erscheint das Bild plötzlich nicht mehr so kalt wie in der Abbildung: Die Hand des Künstler wird erkennbar, der Pinselstrich, der Duktus, die ersten Alterungserscheinungen des vor über fünfzig Jahren verarbeiteten Materials. Wie steht wohl der Künstler zu den kleinen Wellen in der Leinwand? Dem leichten Gelbstich der Farbe, den feinen Kratzern und Craquelé?
Nicht nur für die Berufsgruppe der Kunsthistoriker ist jetzt noch ein guter Zeitpunkt um Künstlerinterviews durchzuführen, auch Restauratoren sollten mit den Künstlern dringend noch über Materialen, Techniken und Künstlerintensionen sprechen. Denn die Materialien sind oft wilde Mischungen damals neu auf den Markt gekommener Industrieprodukte. Experimente auf Seiten der Hersteller bei der Zusammensetzung waren so normal wie die Experimente auf der Seite der Verwender. Über das Alterungsverhalten war beiden Seiten nichts bekannt. Die Bilder aus Acryl- oder Kunstharzfarben, die Polyesterbezüge auf Möbeln aus Polyäther-Schaumstoff, die Stühle aus Kunststoffschalen — das ganze Gesamtkunstwerk des zeitgenössischen Interieurs besteht aus Kunststoffen. Diese Ikonen der Pop Art werden selbst im musealen Umfeld nicht so lange überdauern wie ein altmeisterliches Ölgemälde.
Wenn auch die Materialien gealtert sind, die Themen sind heute so aktuell wie vor fünfzig Jahren: Der Warencharakter aller Dinge besteht nach wie vor. Bis hin zum Menschen, der seine Arbeitskraft gewinnbringend auf dem Markt positioniert. Auch beruht unsere Zivilisation immer noch auf dem massenhaften, durch Werbung geförderten Verbrauch von Waren. Die geistigen Waren werden immer weiter standardisiert und ebenfalls als Massenprodukt erzeugt.
Pop Art nimmt auf all das Bezug, mit Motivwahl und Technik.
Info
Swiss Pop Art 7. Mai bis 1. Oktober 2017
Die Ausstellung Swiss Pop Art zeigt rund 270 Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen, Filme und Objekte von 50 Kunstschaffenden. Der dreisprachige Katalog zur Ausstellung fasst auch die Ergebnisse der vom 8. bis 9.4.2016 abgehaltenen Internationalen Tagung zum Thema Swiss Pop zusammen.
Aargauer Kunsthaus Aarau, Aargauerplatz, Aarau
Foto: Hugo Schuhmacher Freiheit; 1971; Acryl auf Leinwand und Fahne, Sammlung Vögele Kultur Zentrum