Von Antonio Suárez Varela und Luca D’Alessandro — In einem Jahr feiert er seinen achtzigsten Geburtstag – der afroamerikanische Jazz-Pianist aus Pittsburgh, Pennsylvania, Frederick Russel Jones, der 1952 zum Islam konvertiert und den Namen Ahmad Jamal annimmt. Während er in den Fünfzigern und Sechzigern bei den Kritikern kaum Beachtung findet, wissen seine Zeitgenossen aus dem Jazzmilieu sehr genau über ihn Bescheid. Miles Davis äussert wiederholt seine Hochachtung für den virtuosen Pianisten und Arrangeur, bezeichnet ihn sogar als seine «grösste Inspiration». Jamal ist in den Siebzigern nicht unwesentlich an der Entwicklung des Fusion Jazz beteiligt: Er beeinflusst Musiker wie Julian Cannonball Adderley, John Coltrane und Gil Evans massgeblich.
«Ahmad Jamal ist in Bern ein gern gesehener Gast», sagt Hans Zurbrügg, Organisator des Jazzfestivals Bern, womit er nicht Unrecht hat. Wer in seinem Leben schon einmal ein paar Worte mit Jamal wechseln durfte, konnte sich vermutlich dessen Charme nicht entziehen. Die feine Art, mit Menschen umzugehen, sein Lächeln – all das ist bezeichnend für ihn. «Klar, dass ein solcher Entertainer auch am diesjährigen Jazzfestival nicht fehlen darf», so Zurbrügg.
Das Jazzfestival Bern steht kurz vor dem Abschluss: Noch bis am 21. Mai werden namhafte Musiker aus Jazz und Soul, Latin und Funk die Bühne im Marians Jazzroom betreten. Ahmad Jamal ist einer von ihnen, und er kommt nicht alleine: Begleitet wird er von James Johnson am Schlagzeug, Manolo Badrena an den Perkussionsinstrumenten und seinem langjährigen Freund James Cammack am Bass. Mit ihm teilt er die Bühne seit mehr als zwanzig Jahre.
Jamals Pfad zum Profimusiker zeichnet sich in frühen Jahren ab: Als dreijähriger Junge macht er seine ersten Fingerübungen am Klavier, «unter Anleitung meines Onkels Lawrence», sagt er später immer wieder. Schon bald bekommt er Unterricht in Klavier. Dem Abschluss an der Westinghouse High School folgen Engagements bei George Hudson, bevor er 1949 bei den Four Strings landet. Eine Zeit, die bezeichnend für Jamals Karriere ist und das vorgibt, was er in seinen darauffolgenden ruhmreichen Jahren als Pianist in diversen klassischen Klaviertrios verkörpert.
Sein Spiel ist die Symbiose aus Eleganz und Easy-Listening. Das Ausgangsmaterial setzt sich aus dem Great American Songbook und einigen Eigenkompositionen zusammen. Obwohl Jamal seiner Tradition treu bleibt, durchsetzt er seine Lieder immer wieder mit sprühenden Überraschungen und eigenständigen, gewagten Experimenten. Das zeichnet ihn aus: 1994 erhält er vom National Endowment of the Arts den American Jazz Masters Award.
Nicht selten wird er von den Kritikern mit Oscar Peterson verglichen. Zwar liegt die Publikation seines Hitalbums «Poinciana» schon mehr als fünf Jahrzehnte zurück, doch hat er seinen Ruf als markante Künstlerpersönlichkeit bis heute halten können. Dies beweist Jamal in seinem vor zwei Jahren erschienenen Album «It’s Magic».
Nachgefragt
ensuite — kulturmagazin hat Ahmad Jamal im Vorfeld der Konzertreihe im Marians Jazzroom kontaktiert: Ein Kurzgespräch über Freundschaft, Philosophie und dem Geschenk des Allmächtigen.
ensuite — kulturmagazin: Ahmad Jamal, in einem Jahr werden Sie die nächste Dekade Ihres musikerfüllten Lebens einläuten: Sie werden achtzig. Und noch immer spielen Sie voller Leidenschaft. Woher nehmen Sie nur die Energie?
Ahmad Jamal: Jeden Tag, den ich gesund erleben darf, inspiriert mich und gibt mir Energie für neue Abenteuer.
Sie leben nach der Philosophie des Carpe Diem, Nutze den Tag.
Ja, absolut. Im Leben muss man alles erleben und ausprobieren. Was ist, wenn ich eines Morgens nicht mehr aufstehen könnte? Wäre schade, wenn ich in diesem Moment noch unerfüllte Träume hätte. Ich bin kein Mensch, der tagein, tagaus an die Zukunft denkt. Ich schaue vielmehr, dass ich meine Taten Schritt für Schritt umsetzen kann.
Bis vor drei Jahren waren Sie mit einem Trio unterwegs, das Sie für mehr als zwanzig Jahre begleitet hat: Das Ahmad Jamal Trio, bestehend aus Ihnen am Klavier, Ihrem langjährigen Freund James Cammack am Bass und Idris Muhammad am Schlagzeug. Wie wichtig ist Freundschaft in einer Jazzband?
In einer Band ergeben sich Freundschaften automatisch. Eine Band, deren Mitglieder sich nur als Kameraden sehen, ist nicht echt. Count Basie zum Beispiel war mit Freddy Green in einer Band. Sie waren unzertrennlich. James Cammack und ich haben eine ähnliche Beziehung: Mit ihm bin ich über all die Jahrzehnte durch dick und dünn gegangen.
Viel wichtiger als James Cammack ist vermutlich Ihr Piano?
(lacht) Ja, ich bin ein Piano-Narr. Bei mir zu Hause habe ich zwei Pianos herumstehen, wenn ich könnte, würde ich Hunderte kaufen. Das Piano ist ein Geschenk des Allmächtigen. Ich könnte es weder verlassen noch mit dem Spielen aufhören. Unmöglich. Man kann nicht von etwas genug bekommen, das von ganz oben kommt. Es wäre, als ob man plötzlich von den Kirschblüten, von den Blumen – von der Natur im Allgemeinen – müde würde.
Welche Musikstile interessieren Sie nebst dem Jazz noch?
Ich verschliesse meine Ohren vor keinem Stil. Wer das tut, begeht einen grossen Fehler. In meiner Heimatstadt Pittsburgh gehört es zum guten Stil, auf jedes Genre einzugehen. Es gibt da ein ungeschriebenes Gesetz, wonach es untersagt ist, einen Unterschied zu machen zwischen europäischer, amerikanischer oder klassischer Musik. In diesem Umfeld bin ich gross geworden und es hat mich geprägt. Ich höre alles: grosse Ensembles, kleine Formationen und gesungene Musik. Ja, ich schwärme von der menschlichen Stimme – sie ist übrigens das wichtigste und älteste Instrument überhaupt. Ohne Stimme wäre dieses Interview nicht möglich.
Sie sind ein Philosoph.
Na ja. Ich philosophiere sehr gerne. Dieses Hobby beeinflusst mich positiv. Wenn nämlich die Lebenseinstellung nicht stimmt, ist das Leben nicht lebenswert. Sobald die philosophische Komponente im Leben befriedigt ist, kann alles andere folgen: Essen, schlafen, fernsehen, was auch immer: Die Philosophie muss stimmen.
Info: www.ahmadjamal.net
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2009