Von Luca D’Alessandro — Interview mit Michael Reinboth: Als «Germany’s first address for triphop and jazzy grooves» bezeichnete einst das italienische «Acid Jazz Magazine» die Münchner Plattenfirma Compost Records. Zu Recht: Seit der Gründung im Jahr 1994 setzt das Independent-Label Massstäbe im Bereich der elektronischen und jazzigen Musik.
Compost Records lebt, wie so manches Label seiner Art, mit bescheidenen Mitteln und Möglichkeiten. Immerhin weiss es diese zu nutzen: Mit Exponenten wie Jazzanova, Trüby Trio und Minus 8 führt es ein Repertoire, auf das andere Labels neidisch sein können. Stolz wird dieses am 10. Oktober, anlässlich des fünfzehnten Geburtstags, mit einer riesigen Fete in der Muffathalle in München präsentiert. Auf der Bühne stehen die Crème de la Crème aus den eigenen Reihen und namhafte Gäste, mitunter der britische Star-DJ Gilles Peterson, ein langjähriger Freund des Labels.
ensuite — kulturmagazin hat sich mit Labelmanager Michael Reinboth auf Zeitreise begeben und mit ihm auf eine ereignisreiche, wenn auch finanziell bittere Vergangenheit zurückgeblickt.
ensuite — kulturmagazin: Michael Reinboth, seit fünfzehn Jahren behauptest du dich mit deinem Label Compost Records im Musikbusiness. Bist du nicht müde?
Michael Reinboth: Nein, obwohl ich zu fast neunzig Prozent mit administrativen Tätigkeiten eingedeckt bin: Ich erledige die Buchhaltung, bereite die Verträge mit den Musikern vor und stelle die Rechnungen. Ich stärke mich in den wenigen Momenten, in denen ich kreativ sein darf. In diesen merke ich, dass ich meinen Job liebe. Trotzdem: Weitere fünfzehn Jahre schaffe ich vermutlich nicht mehr. Der Kampf um die Finanzen ist auf Dauer zu anstrengend.
Ist es um Compost so schlecht bestellt?
Tagein tagaus kämpfe ich mit meinem Team ums Überleben. Mit den bescheidenen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, müssen wir die Promotionsaktivitäten auf ein Minimum beschränken. Ein Teufelskreis, denn ohne Werbung lassen sich keine CDs verkaufen. Vor fünf Jahren war das Problem nicht so gegenwärtig wie heute, erst in den letzten drei Jahren hat sich die Situation zugespitzt.
Inwiefern?
Wir haben zwei Vertriebspleiten überlebt.
Ging es dabei um eigene Vertriebe?
Nein, es waren Firmen, die unsere Ware auf den Markt bringen sollten, uns aber plötzlich nicht mehr bezahlen konnten. Ihnen blieb nur der Konkurs als Ausweg, und diesen bekamen wir zu spüren. Was die Wahl eines Vertriebspartners angeht, sind wir heute vorsichtiger. Auch planen wir nicht auf mehrere Jahre hinaus, sondern entscheiden uns kurzfristig für ein Projekt. Schliesslich wissen wir auch nicht, ob wir in ein paar Jahren auf dem Markt noch präsent sein werden. Fünfzehn Jahre haben wir zwar geschafft, trotzdem: Das Finanzielle drückt.
Ist das bei kleinen Labels nicht grundsätzlich der Fall?
Ich gehe davon aus, dass andere Kleinlabels genauso auf die Kosten achten müssen wie wir es tun. Major Labels haben es da anders, na ja, ich will nicht sagen besser, denn auch sie sind einem Druck ausgesetzt. Allerdings betreiben sie eine ganz andere Investmentpolitik und können von Zeit zu Zeit einen Big Seller, sprich einen Musiker mit internationalem Renommee, anheuern. Dieser bringt dem Label ziemlich viel Geld ein, mit der Folge, dass andere Künstler nicht mehr zwingend rentabel arbeiten müssen. In unserem Fall ist es wichtig, dass jeder Musiker sich halbwegs im Rahmen der Verkaufszahlen rechnet.
Compost Records ist bekannt für Stile wie Elektro, R&B und Jazz. Bei der aktuellen Pop-Songwriting-Produktion mit der schwedischen Sängerin Siri Svegler scheint das Label von dieser Schiene abgedriftet zu sein. Verkauft sich Pop besser?
Was die Stile betrifft, waren wir schon immer ein offenes Label. Blickt man zurück auf die Gründerjahre, hatten wir nebst Future Jazz und House auch Gitarrenbands im Repertoire. So gesehen sind wir mit Siri Svegler keineswegs vom Weg abgekommen, wir haben uns lediglich auf unser Leitbild besonnen: die Offenheit. In den letzten vier Jahren haben wir unsere Bandbreite stilistisch ausgebaut.
Mit welchem Ziel?
Wir wollten mit dem Zeitgeist gehen, vielfältig und versiert bleiben, dem Ruf eines Full Spectrum Label gerecht werden; so wie es zum Beispiel in den Siebzigerjahren das Label Island Records war, welches mit dem Reggae von Bob Marley, dem Rock von Robert Palmer und dem Disco von Grace Jones reissenden Absatz fand. Dieser Full-Spectrum-Grundsatz dient uns als Vorbild. Wir nehmen neue Musiker auf und gehen mit ihnen, ganz nach dem Motto: «Wir haben uns für euch entschieden, nun stehen wir hinter euch, auch wenn ihr eine völlig neue Richtung ausprobieren wollt.»
Ihr lasst euren Künstlern die Freiheit.
Und das ist es, was uns wahrscheinlich auszeichnet. Doch auch wir erwarten von den Musikern einen gewissen Freigeist. Wir achten auf Professionalität und Flexibilität. Erst wenn all dies gegeben ist, kommt es zum Vertrag. Ich nehme als Beispiel unsere Hausmusiker, die Trüby-Trio-Jungs: Roland Appel arbeitet bei diversen Projekten mit, sowohl intern als auch extern. Er ist versiert, vielseitig und vermag von R&B bis Techno alles abzudecken. Die langjährige Erfahrung hilft ihm dabei. Sie gibt ihm die Sicherheit, sich selbst nicht zu verbiegen.
Ist diese Freiheit das Rezept, mit dem ihr die Musiker bei der Stange halten könnt? Schliesslich kommt es nicht selten vor, dass ein Künstler bei einem Kleinlabel anfängt, später aber auf ein grosses Label springt.
Wir haben einen grossen Hausstamm an Produzenten, die immer wieder Projekte bei uns machen. Ihnen ist es aber auch erlaubt, unter einem anderen Namen zu veröffentlichen. So gesehen geben wir den Musikern die Freiheit, das zu tun, wonach ihnen beliebt. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sich die Musiker bei uns für längere Zeit verpflichten.
Bei anderen Kleinlabels wird es vermutlich ähnlich zu und her gehen.
Ja und nein. Wenn ich den Vergleich machen darf mit !K7: Das Label zählt wie wir zu den Independent-Labels, baut aber kaum eine Identität mit den Künstlern auf. Es nimmt jeweils gleich mehrere Musiker und Projekte unter Vertrag, produziert und lässt sie schliesslich ihre eigenen Wege gehen. Wir hingegen versuchen mit den Künstlern etwas aufzubauen und sie zu begleiten.
Aus Schweizer Sicht sind die Compost-Produktionen mit Schweizer Künstlern besonders interessant: Erwähnt seien jene mit Minus 8 oder mit dem Jazz-Elektro-Kollektiv aus Zürich, Drumpoet.
Ja, und anfänglich arbeiteten wir eng mit dem Berner DJ und Produzenten Ferenz zusammen, gemeinsam planten wir Events in München und in der Schweiz. Seine visionären Gedanken haben mich stets fasziniert. Heute ist die Schweiz in unserem Sortiment mit Minus 8, Zwicker und den Drumpoet vertreten, deren Gründer, Alex Dallas, der Besitzer des Zürcher Elektrojazz-Labels Straight Ahead ist. Alex verfolgt eine ähnliche Philosophie wie Compost, entsprechend ergiebig ist die Zusammenarbeit mit ihm. Er hat uns beauftragt, die Labelarbeit für ihn zu übernehmen. Diese umfasst im Wesentlichen die Produktion der CDs, das Marketing, die Lizenzierung und den Vertrieb. Wir haben eine gute Beziehung zu Schweizer Künstlern.
Woher kommt das?
Was die Produktionstechnik angeht, sind die Deutschen und Schweizer weit fortgeschritten. Das Knowhow ist vorhanden und das wirkt sich positiv auf die Elektrifizierung des Jazz aus: Das Programmieren geschieht akkurat, wie ein Schweizer Uhrwerk oder ein deutsches Auto. Nicht von ungefähr ist Kraftwerk als solche deutsche Präzisionsarbeit im Bereich der elektronischen Musik apostrophiert worden. Die Schweiz und Deutschland haben diesbezüglich eine ähnliche Mentalität. Gerade wenn es um «musikalische Musik» geht, also um Jazz oder Soul im elektronischen Kontext, verstehen Deutsche und Schweizer das Handwerk am besten. Selbst innerhalb von Deutschland gibt es Disparität: Ich wage zu behaupten, dass in München eine höhere Affinität zum computerdesignten Jazz besteht als in Berlin, wo alles ein bisschen rauer oder salopper daherkommt.
Verfügen Schweizerinnen und Schweizer über feinere Rezeptoren für gute Musik?
Ja. Es gibt in der Schweiz nicht so viele «crunchy» oder «dirty» Ich-mach-mal-drauflos-Bands». Die Produktionen sind meist professionell und sauber erarbeitet.
Compost Records ist bekannt für Samplerreihen wie «Glücklich I bis V» oder «Future Sounds of Jazz vol. 1 bis 11». Beide Reihen haben sich gut verkauft, einzelne CDs sind sogar vergriffen. Erstaunlich eigentlich, da Compilations in der Regel austauschbar sind.
Unsere Compilations haben eine starke musikalische Identität. Sie besitzen eine Geradlinigkeit, ohne dabei uniform zu wirken. Mit der Reihe «Future Sounds of Jazz» haben wir in den vergangenen Jahren in den Clubs eine neue Welle entfacht. Das Echo der Kritiken war gut, sowohl intellektuelle Musikzeitschriften als auch kommerzielle Magazine haben unsere Arbeit sehr geschätzt. Aufsehen erregt hat kürzlich auch die Samplerreihe «Elaste» mit ihrer Anlehnung an die Sounds der 1980er-Jahre.
Entstanden ist sie vermutlich in Zusammenhang mit der gleichnamigen Zeitschrift, welche du in den Achtzigern gegründet hast. Was ist daraus geworden?
«Elaste» war 1985 eine grossformatige New-Wave-Kulturzeitung, ein aufwendig gemachtes «Fanzine» für junge Leute, die mit Kunst, Mode, Literatur, Mode und natürlich mit Musik in Verbindung standen. Man stelle sich vor: Wir waren die erste Zeitschrift, die ein Pedro-Almodovar-Interview abgedruckt hatte. Wir waren unbedarft, haben sie ohne viel zu denken gemacht und uns kreativ ins Zeug gelegt, kaufmännisch waren wir jedoch nicht versiert. Deshalb musste die Zeitung eingestellt werden. Wir haben zu teuer und zu aufwendig produziert und hatten am Ende kein Geld mehr übrig, um die Druckrechnungen zu bezahlen.
Hat dich dieser Misserfolg von damals in Bezug auf die Führung von Compost sensibler gemacht?
Zwischen «Elaste» und Compost sind ein paar Jahre vergangen, und ich habe einiges gelernt. Das Konzept von «Elaste» war gut, lediglich das Kaufmännische hatten wir ein wenig vernachlässigt. Ein Fehler, der sich mit Compost nicht wiederholt hat, obwohl wir tagtäglich um die Geldmittel kämpfen müssen.
Und das mit unermüdlichem Einsatz. Nun gilt es zu feiern.
Ja, am 10. Oktober. Wir erwarten ein gut besuchtes Fest, die Münchner Muffathalle wird vermutlich brodeln. Nebst hauseigenen Musikern und DJs wie Roland Appel, Christian Prommer, Jazzanova oder Marbert Rocel habe ich unsere alten Freunde und jahrelangen Wegbegleiter Kruder & Dorfmeister eingeladen. Zwar produzieren sie nicht mehr bei uns, haben aber in den vergangenen Jahren viel für das Label geleistet.
«Compost hat eine neue Welle entfacht»
Der Berner DJ und Produzent Ferenz stand gegen Ende der Neunzigerjahre in engem Kontakt mit Compost Records. Der Austausch mit Labelmanager Michael Reinboth und dessen Musikerentourage hat ihn in seinen Ideen bestärkt und dazu beigetragen, dass Ferenz heute zu den bekanntesten Schweizer DJs zählt.
«Ich erinnere mich an die Zeiten, in denen das junge Label Compost Records mit den ersten Veröffentlichungen den Markt berieselte: Eine Trouvaille nach der anderen kam dabei heraus. Mich als DJ haben diese Produktionen fasziniert und zu neuen Ideen inspiriert. Compost zeugt von Innovation und Ideenreichtum, das Label ist ein musikalischer Vorreiter in Sachen Elektronik. Es hat Musikergrössen wie Jazzanova und Trüby Trio hervorgebracht und mit ihnen eine neue Welle losgerissen. Die Zeiten für Independent-Labels sind heute alles andere als einfach, umso mehr würde es mich freuen, wenn sich Compost noch lange halten kann. Musikalisch ist dies durchaus denkbar, deshalb wünsche ich Michael Reinboth und seiner Crew für die nächsten fünfzehn Jahre alles Gute.» (ld)
Bild: Michael Reinboth / Foto: A. Sandweger
ensuite, Oktober 2009