Von Ruth Kofmehl - Und kaum sieht Mann sich um, hat er ein Label an der Backe. So ungefähr ist es Mich Meienberg und Matu Hügli ergangen, die heuer das 10-jährige Bestehen ihres Labels Everestrecords feiern.
Es klingt mehr nach Zufall als nach Planung, wenn die beiden zurückschauen und darüber sinnieren, wie sie eigentlich da gelandet sind, wo sie heute stehen. Angefangen hat alles mit einem Vierspur-Aufnahmegerät und der Scheibe «Holy Mud», die Meienberg damit entwickelte. Die entstandene Musik gefiel ihm, er fand, dass andere das auch hören sollten und gründete der Einfachheit halber gleich selbst ein Label. Matu Hügli zog mit seiner Veröffentlichung Elevatormusic nach und schon kamen die ersten Anfragen von Musikern aus dem Bekanntenkreis, die Ähnliches im Sinn hatten. Eines der Highlights in der Labelgeschichte ist dann auch ein frühes, nämlich der Moment, in dem Herpes ö DeLuxe sich dafür interessierten, ihr Material bei ihnen herauszubringen, und im Zuge dessen die ersten Plattenbesprechungen geschahen. Darunter stand der Name des Labels: Everestrecords. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde also den beiden klar, dass sie sich über die ihnen bis dahin unbekannte Materie des Labelwesens etwas schlau machen sollten und in den folgenden zehn Jahren haben sie das offenbar erfolgreich getan: Von null zu einem mittlerweile beachtlichen Katalog, von sehr experimenteller, düsterer Musik zu fröhlicher Pop-Electronica, von einem lokalen Netzwerk zu internationalen Kontakten — sie expandieren in alle möglichen Richtungen, aber auf eine gemütliche, bernerische Art. Die Zeit verging im Flug, sagen sie, es hat sich vieles ergeben, wir wachsen ständig, aber langsam — und bei all diesen Aussagen unterschlagen sie den immensen Zeit- und Energieaufwand, der in diesem Projekt steckt. Rund zwei Arbeitstage pro Woche schätzen sie ihren Aufwand ein, unbezahlt, versteht sich. Lohn ist die Euphorie, wenn wieder ein Projekt gelungen ist, wenn die Künstler zufrieden sind und weiter bei ihnen veröffentlichen wollen, wenn Musik entdeckt wird, die ohne Matu und Mich wohl nicht für alle hörbar ins Schwingen käme. Sagen wir es so: Es ist pure Leidenschaft.
Und diese bricht dann auch durch, wenn wir auf die Musik im Allgemeinen zu sprechen kommen. Musik bedeutet für beide enorm viel, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Matu kommt ohne Musik nach ein paar Tagen auf Entzug und braucht dann eine gute Dosis ab Vinyl oder CD. Er begeistert sich im gemeinsamen Musikprojekt, das sinnigerweise Everest heisst, für Feldaufnahmen, er ist ein Geräuschjäger und fügt daraus seine Klangbilder zusammen. Die grösste Genugtuung ist es für ihn, wenn er Musik unter die Leute bringt, also ihren kommunikativen oder sogar sozialen Wert vertritt. Mich im Gegenzug lässt sich gerne berieseln, ein kommerzieller Radiosender tut es durchaus. Dafür gehört dem Komponieren und Schaffen seiner eigenen Musik viel Raum. Er begeistert sich für das Innovative und Fortschrittliche in der Musik, dass es immer Neues gibt, neue Techniken, neue Verbindungen von Genres, die er in seine Arbeit einfliessen lässt.
Sie betonen beide, dass ihr Musikgeschmack keinesfalls deckungsgleich sei, vielmehr ist die Musik, die auf Everestrecords erscheint, die Schnittmenge davon. Eine verblüffende Übereinstimmung äussern die beiden aber doch, und zwar ist es das Auswahlkriterium für das, was bei ihrem Label erscheint: Es soll grooven! Ein recht abenteuerlicher Begriff, wenn man sich ihren Katalog anhört — sie sagen aber auch, dass es nichts mit der Taktart oder dem Musikstil zu tun hat, sondern zeigen irgendwo auf die Bauchregion und meinen: «Es muss halt so hier.» Daraus resultiert also die musikalische Bandbreite ihres Labels. Eine Mischung aus einzelnen Stücken, die auf Everestrecords erschienen sind, könnte mitunter etwas verwirrend sein: Wenn zum Beispiel nach einem klassisch anmutenden Piano-Solo ein zappendusteres Noise-Monster losrumpelt, dann in ein hüpfig fröhliches Pop-Nümmerchen mündet, um gleich darauf modern los zu jazzen und schliesslich in einem abstrakten Hip-Hop-Beat zu enden.
Was die beiden in zehn Jahren auf die Beine gestellt haben, kann sich sehen lassen und zu recht sind sie etwas stolz darauf. Es ist ja auch noch viel mehr, was im Zuge ihrer Freundschaft und dem gemeinsamen Brennen für Musik entstanden ist. Lange Zeit waren sie als Organisatoren im Dachstock tätig und bewiesen ihr goldenes Händchen mehrfach; beispielsweise Jamie Lidell zu buchen, was damals zwar ein Verlustgeschäft, aber im Hinblick auf seinen heutigen Status schlicht prophetisch war. Pio-niergeist zeigten sie auch bei der Gründung und Organisation der Contemporary Culture Convention, einer Veranstaltung rund um neue Medien, wo sich Schaffende und Konsumenten begegnen und austauschen. Sie stellen jedes Jahr eine kleine Tournee durch die Schweiz auf die Beine mit Künstlern, die bei ihrem Label veröffentlicht haben. Und vor ein paar Monaten sind sie mit anderen Kunstschaffenden zusammen in ein Grossraumbüro eingezogen, welches eigenhändig umgebaut wurde, inklusive zweier Tonstudios.
In aller Stille werkeln die Beiden unaufhörlich daran, dass Musik ihren Weg dahin findet, wo sie beglückt, erstaunt, berauscht, verwirrt, befremdet, erfrischt, entspannt, antreibt — das Leben rund macht — also zu uns.
Bild: Mich Meienberg und Matu Hügli (v.l.) / Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2009