Von Antonio Suárez Varela und Luca D’Alessandro — Ihre Musik ist die perfekte Mischung aus rhyth-musbetontem Fusionjazz und brasilianischen Traditionen. Wie kaum eine andere brasilianische Sängerin ihrer Generation, mit Ausnahme vielleicht von Flora Purim, hat sie die Essenz von Jazz, Funk und Bossa Nova in eine packende Formel aus energiegeladenem, harmonischem und groovigem Pianojazz aufgelöst und zu ihrem unverkennbaren Markenzeichen gemacht. Ihr perkussives Pianospiel harmoniert bestens mit einer souligen Altstimme, die nur so sprüht vor brasilianischer Lebensfreude. Groove und Rhythmus bilden das Fundament. «What I like in music is the groove. I’m very close to rhythm. So a song that grooves is a very important one», sagt sie.
Obwohl Tânia Maria im Alter von 26 Jahren aus dem nordbrasilianischen São Luís in die weite Welt auszog, ist sie doch ganz und gar Brasilianerin geblieben. Sie verliess Brasilien 1974, um in Europa ihre musikalische Vision zu verwirklichen. In ihrer Heimat verstand man ihre Liebe zum Jazz nicht. Dieses «Abenteuer» ist nun, nach über vierzig Jahren Musikkarriere und über zwanzig Studioalben, «teilweise», wie sie sagt, «in Erfüllung gegangen». Tânia Maria hat mit jedem Album neue Genres für sich entdeckt und ihrem musikalischen Konzept einverleibt und ist trotzdem über all die Jahre ihrem Stil treu geblieben. Den kommerziellen Durchbruch schaffte sie 1983 in New York mit dem funkigen Hitalbum «Come With Me», ihrer ersten Annäherung an die Popmusik, ein Erfolg, mit dem sie überhaupt nicht gerechnet hatte und wofür sie 1984 eine Grammy-Nominierung in der Sparte «Best Jazz Vocal Performance, Female» erhielt.
Tânia Maria hat mit zahlreichen renommierten Künstlern wie Steve Gadd, Eddie Gomez oder Anthony Jackson zusammen gearbeitet. Seit den Achtzigern spielt sie regelmässig mit Bassist Marc Bertaux. Die Zusammenarbeiten entstanden meist eher zufällig aus Begegnungen und Kontakten während der Konzerttourneen. Sie macht keine eigentliche Karriereplanung. Die Vergangenheit interessiert sie nicht, sie schaut stets nach vorn und hofft, dass «das Beste von Tânia Maria noch kommen wird». Obwohl ihre Musik beeinflusst ist von Samba, Choro und Frevo aus der brasilianischen Tradition ist der Jazz ihr stärkster Einfluss geblieben. Thelonius Monk ist für sie die grösste Referenzfigur. Daneben ist sie ein grosser Fan von Perkussionist Airto Moreira und bewundert die Jazzharmonik von Bill Evans. Trotzdem ist sie Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen und übernimmt Elemente der elektronischen Musik und des Hip-Hop.
Auf der Bühne geht Tânia Maria Corre Reis in der Musik vollständig auf; man merkt ihr die sechzig Lenze gar nicht an. Die erfrischende Präsenz und Art korrespondiert mit ihrer positiven Lebenseinstellung. Die Natur und die Träume bezeichnet sie als wichtigste Quellen ihres Schaffens. Die Songtexte sind oft inspiriert von Dingen, die sie im Alltag beobachtet hat und von Dingen, die in naher Zukunft kommen werden. Die lyrische Botschaft ist zukunftsbejahend. Sie versteht nicht, weshalb Menschen so Angst haben vor der Zukunft. «Ich denke, dass vieles besser wird, weil wir immer besser Bescheid wissen über alles. Die Dinge werden klarer. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Meine Texte drücken genau das aus, es gibt immer eine Hoffnung. Es wird immer etwas geben, das uns retten wird. Ich mag es nicht, negativ zu denken.»
Tânia Maria lebte in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre in Frankreich, zog 1981 in die Vereinigten Staaten, bevor sie in den Neunzigern wieder nach Paris zurückkehrte. Auf die Frage, wo es sich besser lebt als Künstlerin, sagt sie: «Es kommt darauf an. Wenn du jung bist, dann in den USA. Wenn du älter wirst wie ich, dann ist es besser in Europa.» Wenn man das rastlose Leben liebt, dann sei Amerika nach wie vor das Nonplusultra, doch sobald man mehr Zeit und Raum für sich beansprucht, sei es besser in Europa. Genau das gibt ihr die europäische Kulturmetropole Paris seit nunmehr über fünfzehn Jahren. Sie schlägt dort ihre Zelte auf, wo sie die besten Bedingungen für ihre Kunst vorfindet. Mit einem leichten Seufzer gesteht die Mutter zweier Kinder, dass sie sich irgendwie trotzdem als Heimatlose fühlt. Die wahre Heimat ist die Bühne: «Home is the place where I’m playing. It’s the place where I prefer to be, on stage. And in my private life, if I didn’t find my home, it’s my home that will going to find me.» Und was vermisst sie von Brasilien, wenn sie auf den Weltbühnen unterwegs ist? «Everything!», ruft sie und lacht. «I miss the sense of happiness. We have a kind of happi-ness that is unique because you don’t need to have money, you just need to have time and a couple of beers.»
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2009