Von Walter Rohrbach - Eindrücklich! Der Regisseur Ali Samadi Ahadi zeigt die Auswirkungen und die Repression der grünen Revolution im Iran. Ein politischer Film der bewegt und unter die Haut geht, die Zuschauer in eine Welt der Unterdrückung und Unfreiheit mitnimmt. Willkommen in der Islamischen Republik zwischen Demokratie und Diktatur! Zwischen Kampf, Hoffnung, Verlust, Unsicherheit und Angst.
Fantoche 2011. Gespannt sitze ich in einem der vollbesetzten Kinosäle des Animationsfilmfestivals in Baden. Gezeigt wird die Schweizerische Premiere der iranischen Dokumentation «The Green Wave». Duscha – die künstlerische Festivalleiterin – begrüsst herzlich das zahlreich anwesende Publikum und wird ernst: Angekündigt wird das neueste Werk des Exiliraners Ali Samadi Ahadi. Sie nimmt vorneweg was den Zuschauern dieses Films gesagt werden muss: Kein leichter Film, ein Film zwischen Hoffnung und Gewalt.
Iran im Jahr 2009. Es herrscht Wahlkampf zwischen dem ultrakonservativen Mahmud Ahmadinedschad und dem konservativ-liberalen Mir Hussein Mussawi. Eine grüne Welle hat sich ausgebreitet in der Iranischen Republik – Land der schlechten Nachrichten, Land des Wirtschaftsembargos, des Atomprogramms und der internationalen Isolation. Menschenmassen bewegen sich auf die Strassen, sprechen sich aus für einen Wandel und für Reformen. Menschenrechte, Freiheit und mehr Demokratie fordern sie. Symbolisch für diese Bewegung steht die Farbe grün: Sie gilt als Farbe des Islam, als eine Farbe der Hoffnung, und ist eine der iranischen Landesfarben. Sie gilt fortan als Erkennungszeichen der Anhänger des gemässigten Präsidenschaftskandidaten Mussawi. Mit ihm verbinden die Anhänger die Hoffnung eines «anderen» iranischen Weges – fern von Repression, Unterdrückung und Willkür. Allerdings ist Mussawi keineswegs ein Neueinsteiger in die iranischen Politik, er hatte während der Jahre 1981- 1989 das Amt des Premierministers inne. Viel Sympathie verdankt der Oppositionelle der Popularität seiner Frau Zahra Rahnavard – einer Feministin, Künstlerin und ehemaligen Dekanin der Teheraner FrauenUniversität Al Azar. Die Opposition vermochte im Land einen Ausnahmezustand auszulösen, in dem viele Anhänger in den «grünen» Gewändern in den Strassen Teherans tanzten und ihre Meinung kundtaten.
Dies die Ausgangslage des 80-minütigen Dokumentarfilms von Ali Samadi Ahadi, dem in Deutschland lebenden iranisch-stämmigen Regisseur. Was nun folgt ist eine eindrückliche Nacherzählung der Chronik der «grünen» Revolution die unter die Haut geht. Denn was friedlich und relativ frei begann, endete nach dem Tag der Präsidentschaftswahl des 12. Juni 2009 einschneidend: die Behörden gaben bekannt, dass der bisherige Präsident Ahmadinedschad in seinem Amt bestätigt worden sei. Dies so deutlich, dass der berechtigte Verdacht der Wahlmanipulation bei der Opposition aufkam. Die nun folgenden Proteste werden von den staatlichen Milizen gewaltsam bekämpft. Ali Samadi Ahadi führt uns nun mitten ins Geschehen, und zeigt am Beispiel der zwei Studenten «Azandeh» und «Kaveh» hautnah die Erlebnisse der Protestaktivisten, Ängste und Gedanken der Revolutionsteilnehmer. Die beiden Studenten stehen exemplarisch für die Unterstützer der grünen Welle. Aus hunderten von Blogeinträgen haben die «Macher» des Dokumentarfilms die beiden Figuren nachgezeichnet. «The Green Wave» ist kein typischer Dokumentarfilm. Authentische Texte wurden zu einer fiktiven Handlung verdichtet und als Motion Comic animiert. Der Film setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen und bildet eine filmische Collage: mit Spielszenen, Realaufnahmen, Blog-Zitaten, realen Videoaufnahmen, Interviews mit bedeutenden Exil-Iranern und Menschenrechtsaktivisten wird dem Zuschauer die Situation im Iran vermittelt. Diese präsentiert sich dramatisch: Gezeichnet wird ein Bild der Gewalt und der Unterdrückung. Eindrücklich sind die eingespielten Amateurvideoaufnahmen, welche die gewaltbereiten Milizen zeigen. Diese paramilitärisch organisierten Einheiten, welche sich aus Freiwilligen rekrutieren, fahren auf Motorrädern in die Menge, traktieren mit Messern und Schlagstöcken die Menschen, oder treten auf hilflose Verletzte ein, die am Boden liegen. Systematisch wird gegen die Oppositionellen vorge-gangen, auch gegen Unbeteiligte – dies berührt. Durch nächtliche Razzien, Massenverhaftungen, lange Verhöre, Vergewaltigungen, Verschleppungen und Folter soll der Freiheitswille der «Grüngekleideten» gebrochen werden. Aufgrund der Darstellung der Repression in dieser Schärfe zwingt der Film zum Hinsehen. Die Gewalt und die Unterdrückung kann nicht übergangen werden, sie ist permanenter Gegenstand des Films. Es ist kein kurzer Nachrichtenausschnitt, der nur am Rande wahrgenommen wird und wieder beiseite geschoben werden kann. Automatisch wird man in die Lage der Protestierenden hineinversetzt, durchlebt deren Situation und Unsicherheit. Spannend und berührend ist diese Sichtweise auf den Iran zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Tradition und Moderne.
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011