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«The Lorax»

Von Andreas Meier — 1971 erschien mit «The Lorax» von Dr. Seuss ein kon­tro­ver­s­es Kinder­buch, das sein­er Zeit weit voraus war und sog­ar Zen­surver­suche provozierte.

Auf der ersten Seite sehen wir einen kleinen Jun­gen, der durch ein graues Ödland wan­dert, in dem nur krän­kliche Büsche existieren. Er begeg­net dem alten, ein­samen Once-ler, dessen Gesicht nie gezeigt wird, und der dem Jun­gen eine Geschichte erzählt. Der alte Mann selb­st ist es gewe­sen, der in sein­er Gier alle Bäume gefällt hat, um aus ihrem Laub «Thneeds» herzustellen. Als er den ersten Baum gefällt hat­te erschien ihm der Lorax, ein kauziges Män­nchen, das für die Bäume spricht. Doch der Once-ler mis­sachtete alle War­nun­gen des Lorax und errichtete eine ganze Thneed-Indus­trie. Als alle Tiere des Waldes geflüchtet waren und der let­zte Baum gefällt wor­den war ver­schwand auch der Lorax, und alles, was er hin­ter­liess, war ein Stein mit dem Wort «Unless». Endlich habe er ver­standen, sagt der Once-ler dem Jun­gen am Ende, was der Lorax damit gemeint habe: «Unless some­one like you / cares a whole awful lot / noth­ing is going to / get bet­ter, it’s not.» Mit diesen Worten übergibt er dem Jun­gen das let­zte Samenko­rn und eine grosse Ver­ant­wor­tung. Und damit endet die Geschichte, mit vor­sichtigem Opti­mis­mus.

Dieses etwas düstere Geschichtchen hat die Lorax-Ver­fil­mung bunt ver­packt, mit knal­li­gen Far­ben, Musi­cal­num­mern und einem Spek­takel nach dem anderen. Im Kern bleibt die Geschichte gle­ich, doch bekommt sie nun eine neue Rah­men­hand­lung ver­passt: Der namen­lose, schweigsame Junge aus dem Buch wird von einem Platzhal­ter für den jun­gen Leser zu einem «richti­gen» Jun­gen namens Ted. Ted lebt in der Plas­tik­welt ein­er wohlbe­hüteten und abgeschot­teten Sub­ur­bia, in der selb­st die Bäume aus Plas­tik sind. Als er erfährt, dass seine Ange­betete den sub­ver­siv­en Wun­sch hat, ein­mal einen echt­en Baum zu sehen, beschliesst er, sich auf die Suche zu machen – und stolpert so in der ver­bote­nen Ödnis ausser­halb der Vorstadt auf den Once-ler, der in Rück­blenden nun ein Gesicht bekommt, näm­lich das eines harm­losen, naiv­en jun­gen Mannes mit E‑Gitarre, der nichts Bös­es im Sinn hat und trotz­dem den Wald zer­stört. Mit der Ver­harm­lo­sung dieses Bösewichts muss nun selb­stver­ständlich ein ander­er her, und das ist im Film der gierige Indus­trie­mag­nat O’Hare, der alles daran set­zt, Ted das let­zte Samenko­rn abzu­luchsen – was natür­lich zu wilden Ver­fol­gungs­jag­den führt, bevor das süssliche Hap­pyend erfol­gen kann.

Während die Plas­tikvorstadt sich noch halb­wegs gut mit der ursprünglichen Geschichte verträgt, oder ihre zen­trale Aus­sage zumin­d­est nicht unter­gräbt, funk­tion­iert vieles vom Neuen nicht. Die Plas­ti­fizierung bet­rifft nicht nur die Stadt, son­dern die gesamte Filmwelt – so, dass selb­st die bedro­ht­en Bäume selt­samer­weise wirken, als bestün­den sie aus ein­er Mis­chung aus Plas­tik und Zuck­er­wat­te. Hier ist alles qui­etschbunt und fröh­lich, und vor lauter Kla­mauk gerät die dur­chaus ern­ste Mah­nung, die vor ein­er ökol­o­gis­chen Katas­tro­phe warnt, völ­lig aus den Augen. «How bad can I be?» singt der Once-ler in ein­er satirischen Musikein­lage, und man möchte sich fast fra­gen: Wie schlecht kann die Zer­störung dieses Waldes schon sein, wenn sie der­art bunt und vergnügt daher kommt? Der Lorax selb­st wird plöt­zlich zu infan­til­er Com­ic Relief degradiert, ein­er lächer­lichen, dümm­lichen Witz­fig­ur, die das Ver­schwinden des Waldes kaum wirk­lich zu berühren scheint; die Tiere des Waldes sind in ihrer zuck­er­süssen Idi­otie nicht bess­er. Am Ende ist natür­lich wieder alles in Ord­nung, und das offene Ende des Buch­es, das die Ver­ant­wor­tung dem Leser übergibt, wird in ein Hap­py End ver­wan­delt. Wieso soll ich noch etwas für die Welt tun? Alles ist wieder in Ord­nung: Ted hat es bere­its für mich erledigt.

«The Lorax» ver­sagt nicht nur als Neuin­ter­pre­ta­tion des Kinder­buchs, son­dern auch als eigen­ständi­ger Film. Er ver­sagt als Komödie und als aus ethis­chen Bedenken ent­standene Fabel. Was im Film funk­tion­iert, hat bere­its im Buch bess­er funk­tion­iert, und was neu hinzuge­fügt wurde, trägt im besten Fall nichts dazu bei. Let­zen Endes mag sich der Kinobe­such wegen eini­gen weni­gen Szenen knapp lohnen, doch sollte man sich vielle­icht fra­gen, ob man das anbiedernde, kom­merzial­isierte Weich­spülen ein­er wichti­gen The­matik finanziell unter­stützen möchte. Der Zuschauer sieht vor lauter Bäu­men den Wald nicht mehr: Hin­ter all den mit­telmäs­si­gen Gags, der Musik, den knal­li­gen Far­ben, der Liebesgeschichte, den hanebüch­enen Ver­fol­gungs­jag­den und dem Hap­pyend ver­schwindet alles, was an der Geschichte vom Lorax als bedeu­tend und zen­tral ange­se­hen wer­den sollte.

Regie: Chris Renaud, Kyle Bal­da. Drehbuch: Ken Dau­rio, Cin­co Paul. Darsteller: Dan­ny DeVi­to, Ed Helms, Zac Efron. USA, 2012.

Foto: zVg.
ensuite,  August 2012