Von Andreas Meier — Luke Glanton (Ryan Gosling) ist ein begnadeter Motorradstuntfahrer und harter Kerl, der seine zahllosen Tattoos kaum unter seinem Metallica-Shirt verstecken kann. Doch unter seiner harten Schale steckt ein zwiegespaltener und zuweilen feinfühliger Mensch; als er von seiner Ex-Geliebten Romina (Eva Mendes) erfährt, dass er einen einjährigen Sohn hat, entschliesst er sich trotz unzähligen widrigen Umständen, sich um seine neugefundene Familie zu kümmern. Um sein Versprechen einzuhalten, beginnt er, Banken auszurauben. Eines Tages kreuzt sich sein Weg mit dem jungen Polizisten Avery Cross (Bradley Cooper), und alles ändert sich.
Wer Nicolas Winding Refns brillanten «Drive» (2011) gesehen hat, für den mag die Ausgangslage von «The Place Beyond the Pines» (2012) etwas suspekt erscheinen; in beiden gibt Gosling den einsilbigen Stuntfahrer mit verträumtem Blick, der von seinem sentimentalen, treuseligen Verantwortungsbewusstsein in eine Spirale aus Kriminalität und Gewalt gezogen wird.
Doch ist es bei weitem nicht (nur) mehr vom selben. Zwar leben beide Filme von ihrer ruhigen Atmosphäre und dem trotz schneller Fahrzeuge bedächtigen Tempo, doch während «Drive» auf einzelne Momente plötzlich explodierender, blutrünstiger Gewalt setzt, entwickelt «The Place Beyond the Pines» ein Gefühl vom Vergehen von Zeit und von Geschichte. Er dreht sich ganz um die langfristigen Konsequenzen von Handlungen und die Kettenreaktionen, die sie auslösen oder deren Teil sie sind. Es ist ein ethischer Film, insofern, als er wiederholt vom Treffen von Entscheidungen handelt, aber gleichzeitig wirkt er auch beinahe fatalistisch, da die Ereignisse wiederkehrende Muster bilden und somit fast unausweichlich erscheinen: das Motiv von der Geschichte, die dazu verdammt ist, sich zu wiederholen. Das mag klischiert klingen, ist aber gelungen und mit Gespür für menschliche Motivation und innere Konflikte umgesetzt.
Die Charaktere sind glaubhaft und von den Schauspielern gelungen interpretiert. Luke, obwohl nicht der alleinige Protagonist, dominiert und überschattet den Film stark, und ist selbst in den Szenen, in denen er abwesend ist, immer im Hintergrund zu spüren. Das liegt nicht nur daran, dass Luke der Katalysator für die gesamte Handlung des Films ist, sondern auch an Goslings Darstellung und seiner enormen Ausstrahlung, die ihn zu einer idealen Besetzung für den zwiespältigen aber charismatischen Luke macht. Die Gratwanderung zwischen Rohheit und Verletzlichkeit, Coolness und Erbärmlichkeit, Held und Antiheld gelingt ihm beinahe schon routiniert. Fast so interessant und ambivalent ist der Polizist Avery Cross, dessen Gewissenhaftigkeit ihm ebenso zum Verhängnis zu werden droht wie seine Ambition. Die Figur hätte leicht vollkommen von Luke Glanton überschattet werden können, doch Bradley Cooper schlägt sich wacker und fällt nicht zurück.
Der Rhythmus des Films ist immer wieder desorientierend und ebenso unorthodox und unvorhersehbar wie die Art und Weise, wie Genres vermischt werden; neben Familiendrama, Thriller, Gangster- oder Polizeifilm stehen noch weitere Einflüsse, die zu nennen einen Teil der Überraschung verderben würde. Der Ton schwankt hin und her zwischen Sachlichkeit und subjektiver Wahrnehmung, Realismus und allegorischer Symbolik.
Am Ende stellt sich «The Place Beyond the Pines» unglücklicherweise selbst ein Bein. Im direkten Gegensatz zu seiner Stärke des Nachzeichnens von verketteten Ereignissen baut er sein ganzes Finale auf einem so gewaltigen Zufall auf, dass das Ganze nicht mehr bloss fatalistisch angehaucht, sondern vor allem konstruiert erscheint. Generell ist der Abschluss des Films um einiges schwächer als die vorangegangenen Abschnitte, und wirkt weniger pointiert. Zum Finale, das man nach den ersten zwei Dritteln des Films vielleicht erwartet, kommt es leider nicht, aber stimmig wirkt das Ende trotzdem.
«The Place Beyond the Pines» ist ein äusserst – vielleicht etwas zu – ambitionierter und unkonventioneller Film über Verantwortung, den Zufall, das Schicksal und das schwer vorhersehbare Echo von Handlungen durch die Zeit. Er hat seine Schwächen – und leider ist ausgerechnet das Finale seine grösste – doch sollte man ihn auf jeden Fall trotzdem sehen. Am besten, ohne zuvor zu viel darüber zu lesen.
Regie: Derek Cianfrance. Drehbuch: Derek Cianfrance, Ben Coccio, Darius Marder. Darsteller: Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, Ben Mendelsohn u.a. Laufzeit: 140min. USA 2012.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2013