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«The Walking Dead» Eine Videospiel-Serie

Von Andreas Meier — Es gibt kein Entkom­men, die leben­den Toten sind über­all: Im Kino und Bücher­re­gal, im TV und Com­put­er. Beson­ders in Videospie­len gab es in let­zter Zeit eine kaum zu über­schauende Flut von Zom­bies, los­ge­lassen sowohl durch die grössten Ver­triebe wie auch die kle­in­sten Indie-Stu­dios. Einige dieser Spiele sind actionori­en­tiert, doch die meis­ten sind im enorm beliebten Sur­vival-Genre anzusiedeln (so etwa «DayZ» oder «Project Zom­boid»). Hier dreht sich alles ums nack­te Über­leben; Nahrungsmit­tel, Medi­zin und ein sicheres Ver­steck sind nicht min­der wichtig als Waf­fen. Die erfol­gre­iche und von Kri­tik­ern gelobte Videospiel-Adap­tion der berühmten Com­ic- und TV-Serie «The Walk­ing Dead» von «Tell­tale Games» geht einen ganz anderen Weg und schafft es so, aus der Meute der Zom­biespiele her­auszura­gen. Wie der Com­ic und die TV-Serie ist das Spiel seriell konzip­iert. Die erste Sea­son (5 Episo­den à jew­eils etwa 2–3 Stun­den) ist bere­its kom­plett, die erste Episode der zweit­en Sea­son ist im Dezem­ber erschienen.

Das Serien­for­mat impliziert bere­its einen Fokus auf Erzäh­lung, und tat­säch­lich wird «The Walk­ing Dead» häu­fig als erfol­gre­ich­ste mod­erne Rean­i­ma­tion des lange tot­geglaubten Adven­ture-Gen­res betra­chtet. Das Genre war enorm erfol­gre­ich in den frühen 90er Jahren (siehe etwa «Mon­key Island», «Gabriel Knight» oder «Bro­ken Sword»), und zeich­nete sich vor allem durch den Fokus auf Charak­tere, Erzäh­lung und das Lösen von Rät­seln aus. Als sich die tech­nis­chen Möglichkeit­en Ende der 90er Jahre zusam­men mit dem Geschmack des Pub­likums änderten, starb das Genre fast völ­lig aus. «TWD» wirft alles über Bord, was der Hand­lung in den Weg kom­men würde, und was das Adven­ture-Genre oft so alt­modisch und schw­er­fäl­lig erscheinen lässt – allem voran das müh­same Sam­meln von zahllosen Gegen­stän­den und die oft obskuren Rät­sel. Das alles lässt viel Raum für das Herz von «TWD» – die Inter­ak­tion mit Charak­teren.

Der Spiel­er übern­immt die Rolle von Lee, dessen Über­führung ins Gefäng­nis für ein anfangs unbekan­ntes Verge­hen von der Zom­bieapoka­lypse ver­hin­dert wird. Auf sein­er Suche nach Hil­fe stolpert er über das Mäd­chen Clemen­tine, um das er sich von nun an küm­mern will. Bald stossen sie auf weit­ere Über­lebende und schliessen sich mit ihnen zu ein­er Gruppe zusam­men.

Wie die meis­ten guten Zom­biefilme, etwa George A. Romeros «Night of the Liv­ing Dead», hat «TWD» mehr Inter­esse an den Span­nun­gen und Kon­flik­ten zwis­chen den Über­leben­den als an den Zom­bies selb­st. Wie in diesen Fil­men sind die Zom­bies in «TWD» vor allem Katalysatoren für diese Kon­flik­te. Der Spiel­er wird kon­stant gezwun­gen, Stel­lung zu diesen Kon­flik­ten zu beziehen. Ver­sucht Lee, neu­tral zu bleiben, oder wählt er eine Seite? Schürt er den Stre­it, oder ver­sucht er, ihn zu schlicht­en? Das Spiel bringt einen dazu, immer sorgfältig abzuwä­gen, was man sagt oder tut, denn einiges davon wird Kon­se­quen­zen haben; kurz- oder langfristig, schw­er­wiegend oder sub­til. Diese Entschei­dun­gen sind fast immer alles andere als ein­deutig, und betr­e­f­fen entwed­er moralis­che Grau­zo­nen (Ist es akzept­abel, Men­schen für das Wohl der Gruppe zu opfern?) oder schw­er vorauszuse­hende Kon­se­quen­zen (Soll Lee einen schw­er Ver­let­zten ret­ten, obwohl er zu einem Untoten wer­den kön­nte?). Dazu kommt, dass die meis­ten Entschei­dun­gen unter Zeit­druck getrof­fen wer­den müssen. Keine Wahl führt zu einem «Game Over»; der Spiel­er muss das Spiel mit den Kon­se­quen­zen sein­er oft fraglichen Entschei­dun­gen weit­er­führen. In manchen Fällen mag die Wahl­frei­heit des Spiel­ers mehr Illu­sion als Real­ität sein, aber es ist eine fast per­fek­te Illu­sion, die das Gefühl der drück­enden Ver­ant­wor­tung immer aufrechter­hält.

Diese Unnachgiebigkeit des emo­tionalen Drucks auf den Spiel­er ist schlussendlich der grösste Erfolg von «TWD» und ist vor allem den bril­lanten Charak­teren zu ver­danken. Die Wahl­frei­heit kön­nte noch so gross sein: wenn der Spiel­er sich nicht um die Welt küm­mert, auf die er einen Ein­fluss haben kann, ist keine Entschei­dung etwas wert. Zum Glück sind die Charak­tere von «TWD» – allen voran Lee und Clemen­tine – gut gestal­tet und ani­miert, ihre Dialoge glaub­haft geschrieben und syn­chro­nisiert. Anders als viele Spiele scheut sich «TWD» nicht vor der Darstel­lung und Her­vor­ru­fung von Emo­tio­nen, was ihm meis­ter­haft gelingt. Jed­er einzelne Charak­ter ist ein­prägsam und provoziert Sym­pa­thie oder Abnei­gung, Mitleid oder Schaden­freude, Respekt oder Ver­ach­tung; häu­fig in uner­wartet kom­plex­en und wider­sprüch­lichen Kom­bi­na­tio­nen.

«Tell­tale Games» hat mit «The Walk­ing Dead» sowohl dem Adven­ture- als auch dem Zom­biegenre neues Leben einge­haucht und ein Spiel geschaf­fen, das mit seinen bre­it­en Ein­flüssen aus TV-Serien, Comics und Games ein bre­ites Pub­likum anziehen kann. Auch wer sich kaum für Games, Comics oder Zom­bies inter­essiert sollte einen Blick wagen, denn «The Walk­ing Dead» kann stolz für sich allein ste­hen. Man darf darauf hof­fen, dass die anderen Pro­jek­te von «Tell­tale» – das auf der «Fables»-Comicserie beruhende «The Wolf Among Us», von welchem bere­its eine Episode erschienen ist, und die geplante «Game of Thrones»-Adaption – ähn­liche Erfolge sein wer­den.

Sea­sons 1 von «The Walk­ing Dead» ist auf DVD oder als Down­load für 24.99$ auf www.telltalegames.com für PC und Mac erhältlich. Eben­falls erhältlich für PS-Sys­teme, XBOX 360 und iOS. Gute Englis­chken­nt­nisse sehr von Vorteil, doch deutsche Unter­ti­tel ste­hen zur Ver­fü­gung.

Foto: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2014

Artikel online veröffentlicht: 22. Mai 2019