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The Whistleblower

Von Andreas Meier — Joseph Con­rads «Heart of Dark­ness» und der darauf basierende Filmk­las­sik­er «Apoc­a­lypse Now» han­deln von Men­schen, die in Gebi­ete ausser­halb des Wahrnehmungs­bere­ichs der restlichen Welt geschickt wer­den, in denen die ethis­chen Regeln des Zusam­men­lebens und die grundle­gen­den Konzepte von Richtig und Falsch keine Bedeu­tung mehr haben. Auf ihrer Reise ins Herz der Fin­ster­n­is erken­nen sie, dass unkon­trol­lierte Macht den Men­schen in ein Mon­ster ver­wan­deln kann.

Die Hand­lung von «The Whistle­blow­er», beruhend auf nicht-fik­tionalen Begeben­heit­en, erin­nert ent­fer­nt an Con­rads und Cop­po­las Geschicht­en. Im Jahr 1999 beg­ibt sich die Polizistin Kathryn Bolko­vac (gespielt von Rachel Weisz) nach Bosnien, um gemein­sam mit den Peace­keep­ers der U.N. und pri­vat­en Mil­itärun­ternehmen den Über­gang von Krieg zu Frieden im kriegs­versehrten Bosnien zu begleit­en. Dort macht sie sich schnell einen Namen, als durch ihre Bemühun­gen zum ersten Mal seit dem Krieg ein Fall von häus­lich­er Gewalt gegen eine Frau vor Gericht gebracht wird und es zur Verurteilung kommt. Doch der anfängliche Erfolg währt nicht lange: schon bald stösst Bolko­vac auf ein grossan­gelegtes Netz von Sklaven­händlern, die Mäd­chen aus Nach­bar­län­dern ent­führen und nach Bosnien ver­schlep­pen. Je länger sie nach­forscht, desto mehr begreift sie das Aus­mass des Sex­han­dels und real­isiert, dass Mit­glieder der U.N. und der pri­vat­en Mil­itärun­ternehmen tief in ille­gale Geschäfte ver­strickt sind. Schnell wird ihr bewusst, dass sie kaum jeman­dem ver­trauen kann, sie ver­sucht, die Ver­brechen auf eigene Faust aufzudeck­en.

Ähn­lich wie Filme wie etwa «Erin Brock­ovich» (2000) oder «Fair Game» (2010), die von Ereignis­sen erzählen, in denen überzeugte Einzelper­so­n­en gegen die Ungerechtigkeit der Mächtig­sten antreten, ist «The Whistle­blow­er» ein sehr zielo­ri­en­tiert­er Film, der vor allem einen Effekt auf den Zuschauer haben will: Empörung auszulösen. Und in dieser Hin­sicht erre­icht der Film sein Ziel auf jeden Fall. Die gezeigte Gewalt ist nicht ein­fach zu ver­dauen, die Bilder sind drastisch und scho­nen den Zuschauer nie. Die Arro­ganz und Skru­pel­losigkeit der Ver­brech­er und Bolko­vacs frus­tri­erende Macht­losigkeit sind schw­er mitanzuse­hen, und die guten schaus­pielerischen Leis­tun­gen, allen voran von Weisz, tun das Ihrige, um dem Zuschauer die Sit­u­a­tion nahe zu brin­gen. Spätestens nach ein­er Stunde wird sich sich­er so manch­er Zuschauer danach sehnen, dass Weisz in Action­film­manier die Dienst­waffe zückt und im Allein­gang die «Bad Guys» über den Haufen schiesst, die Mäd­chen ret­tet und in Sicher­heit bringt: Hap­py End. Doch darauf muss verzichtet wer­den. Trotz Bolko­vacs Erfolg, die Medi­en über den Skan­dal zu informieren, ver­mei­det der Film am Ende erfreulicher­weise auch, so zu tun, als wäre alles in Ord­nung.

Doch lei­der unter­gräbt «The Whistle­blow­er» hin und wieder seine eige­nen Ziele und die volle Wirkung. So erscheint der Film immer wieder ein wenig klis­chiert, was seine Durch­schlagskraft dämpft. Die Formel des Films – tugend­hafte Einzelkämpferin riskiert ihr Leben, um die schein­bar unan­tast­baren, mächti­gen Bösewichte für ihre Ver­brechen zur Rechen­schaft zu ziehen – wurde in sehr ähn­lich­er Weise schon zig­mal ver­wen­det und wirkt stel­len­weise etwas aus­ge­lutscht. Die allzu sim­ple Aufteilung in «gute» und «böse» Fig­uren scheint zwar auf­grund der Ver­brechen gerecht­fer­tigt, wirkt aber den­noch naiv. Bolko­vac wirkt ein wenig zu ide­al­isiert, die Bösewichte trotz aller Bedrohlichkeit ein wenig zu platt. Der Film ver­wen­det keine Zeit auf mögliche Erk­lärun­gen, wie es zu diesem Men­schen­han­del hat­te kom­men kön­nen. Con­rad und Cop­po­la ver­sucht­en in ihren Herzen der Fin­ster­n­is die Anziehungskraft von Macht­miss­brauch und seine Kraft zur Ver­führung zu demon­stri­eren. «The Whistle­blow­er» wagt sich nicht so weit.

Auch dass der Name des involvierten Mil­itärun­ternehmens Dyn­Corp (das heute noch existiert und etwa im Irak und in Afghanistan mit der US-Regierung zusam­me­nar­beit­ete) im Film zu «Democra» ver­fremdet wurde lässt einen die Stirn run­zeln. Wenn es das Ziel des Films war, Empörung gegen diese Organ­i­sa­tio­nen her­vorzu­rufen, scheint es äusserst inkon­se­quent, sich davor zu scheuen, die Schuldigen beim Namen zu nen­nen.

Doch alles in allem funk­tion­iert «The Whistle­blow­er» trotz diesen Män­geln. Er mag ein wenig klis­chiert wirken und dro­ht hin und wieder, ins Melo­drama­tis­che abzu­gleit­en. Doch er erre­icht das, was er erre­ichen will, und bringt dem Zuschauer ein Ver­brechen nahe, ohne die Opfer zu banal­isieren oder die Ereignisse zu ver­harm­losen.

«The Whistle­blow­er». USA 2010. Regie: Larysa Kon­drac­ki. Dauer: 112 Min.

Foto: zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2011

Artikel online veröffentlicht: 18. Februar 2019