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The Woman with a Broken Nose

Von Son­ja Wenger — Nichts als Ärg­er hat man, mit dem Leben im All­ge­meinen und den Men­schen im Speziellen, glaubt der grantige Bel­grad­er Tax­i­fahrer Gavri­lo (Nebo­jsa Glo­go­v­ac). Er ste­ht auf der Brücke über der Save mal wieder im Stau, als aus dem Nichts der Titelcharak­ter Zena (Nada Sar­gin), eine junge Frau mit blutiger Nase und riesigem Plas­ter auf­taucht und in sein Taxi steigt. Doch als er sie mit harschen Worten dazu anhält, bloss kein Blut auf seine Pol­ster zu brin­gen, steigt sie wort­los wieder aus und springt übers Gelän­der in den Fluss.
Als Gavri­lo und zwei Frauen aus den Autos hin­ter ihm, die den Sprung gese­hen haben, am Gelän­der ste­hen, ist nichts mehr in den Fluten zu erken­nen. Schock­iert, aber ohne grosse Lust, den Vor­fall der Polizei zu melden, will Gavri­lo weit­er­fahren – bis er fest­stellt, dass die junge Frau ihr Baby bei ihm im Auto zurück­ge­lassen hat. Er bringt es nicht übers Herz, das Mäd­chen vor dem Waisen­haus abzu­laden, und macht sich nach einigem Hadern auf die Suche nach Infor­ma­tio­nen über die Mut­ter, die ihren Sprung offen­bar über­lebt hat und nun im Kranken­haus im Koma liegt.

Der enorm über­raschende, drama­tis­che, beina­he sur­reale Beginn der Geschichte von «The Woman with a Bro­ken Nose» ist jedoch nur die Aus­gangslage für einen genau­so tragis­chen wie witzi­gen Film, der die Klaviatur der Emo­tio­nen und der Sym­bo­l­ik meis­ter­haft beherrscht. Der ser­bis­che Regis­seur und Drehbuchau­tor Srdan Kol­je­vic führt in seinem neuesten Werk gle­ich mehrere Lebens­geschicht­en auf ein­drück­liche Weise zusam­men, denn das Geschehen auf der Brücke wird nicht nur für Gavri­los Leben zur Katar­sis, son­dern auch für Ani­ca (Ani­ca Dobra) und Bil­jana (Bran­ka Kat­ic), die den Vor­fall, der sie for­t­an nicht mehr loslässt und ihre Leben miteinan­der verbinden wird, beobachtet haben.

Alle drei haben auf die eine oder andere Art mit einem Ver­lust zu kämpfen: So pflegt Gavri­lo, der aus dem ländlichen Bosnien stammt, noch immer seine seel­is­chen Wun­den aus dem lange zurück­liegen­den Krieg, und mehr schlecht als recht schlägt er sich in ein­er Stadt durch, in der er stets ein Fremder geblieben ist, deren Bewohner­In­nen ihn wegen seines Akzents belächeln; die Lehrerin Ani­ca ist emo­tion­al erstar­rt, seit ihr fün­fjähriger Sohn bei einem Autoun­fall mit Fahrerflucht starb; und auch die Apothek­erin Bil­jana ist nie über den Tod ihres Ver­lobten vor vie­len Jahren hin­weggekom­men. Sie alle wer­den durch den ver­sucht­en Selb­st­mord von Zena auf- und wachgerüt­telt, und unternehmen plöt­zlich Anstren­gun­gen, ihre Trauer und ihre fest­ge­fahre­nen Lebenssi­t­u­a­tio­nen zu über­winden.

«Ich wollte einen Film machen, der zeigt, wie Men­schen die emo­tionalen Wun­den ihrer Ver­gan­gen­heit über­winden», sagt Regis­seur Kol­je­vic. «Und ich will dem Pub­likum mit der Geschichte Hoff­nung und Opti­mis­mus offerieren, ohne dabei aber die Augen vor der Real­ität zu ver­schliessen.» Als Sym­bol für die Verbindung zwis­chen Ver­gan­gen­heit und Zukun­ft dient Kol­je­vic die besagte Brücke am Anfang der Geschichte, die zwis­chen dem alten und dem neuen Stadt­teil von Bel­grad liegt, und die im Film immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Mit seinem All­t­agswitz, der sym­pa­this­chen Schrul­ligkeit der Charak­tere, und dem bein­harten, aber schlussendlich wohltuen­den Real­is­mus trans­portiert «The Woman with a Bro­ken Nose» eine über­aus pos­i­tive Energie, die oft in jenen Opti­mis­mus und jene Liebe zum Leben mün­det, die in ser­bis­chen Fil­men so häu­fig anzutr­e­f­fen sind.

Doch nicht nur die unüberse­hbare Freude der Darstel­lerIn­nen am Spiel – die Beset­zung der Rollen kön­nte nicht tre­f­fend­er sein – trägt viel zur grund­sät­zlich hoff­nungsvollen Stim­mung des Films bei. Auch die Musik, die von orig­i­nal ex-jugoslaw­is­chem Rock and Roll mit seinen nos­tal­gis­chen Klän­gen dominiert wird, schafft eine Leichtigkeit und hil­ft, die manch­mal trau­ri­gen Momente der Geschichte bess­er zu ver­dauen, ja gar geniessen zu kön­nen – denn ohne Trau­rigkeit keine Freude, ohne Trä­nen kein Lachen. Ger­ade hier zeigt sich die wahre Meis­ter­schaft von Kol­je­vic und seinem Team, indem es durchge­hend gelingt, die Bal­ance zu hal­ten, mehrere Geschichtsstränge auf natür­liche Art zu ver­weben, und beson­ders die harten Fak­ten des Lebens mit viel Fin­ger­spitzenge­fühl anzuge­hen.

All dies macht «The Woman with a Bro­ken Nose» zu einem wun­der­baren Som­mer­film, bei dem man sich genau­so ernst genom­men wie unter­hal­ten fühlen kann, und dessen Auflö­sung einem ein zufriedenes Lächeln aufs Gesicht zaubern wird.

«Zena sa sloml­jen­im nosem – The Woman with a Bro­ken Nose». Serbien/Deutschland 2010. Regie: Srdan Kol­je­vic. Länge: 101 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011