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Tiere denken

Am 1. Mai dieses Jahres hielt ich eine Rede in Thun. The­ma war: Über Men­schen und Maschi­nen. Doch meine Abschluss­worte dreht­en sich um Tiere. Näm­lich darum, dass wir unser Weltver­ständ­nis nicht nur gegenüber Maschi­nen (die kön­nen näm­lich oft die “besseren” Men­schen sein) trans­formieren müssen, son­dern gegenüber den Lebe­we­sen, die wir grob in Tiere und Pflanzen ein­teilen. Mein Schlusssatz war: “Es kön­nte sehr wohl sein, dass in 100, 200 oder 300 Jahren die Men­schen auf unsere Zeit zurück­blick­en und mit grossen Entset­zen, mit riesiger Abscheu und unfass­baren Ekel darüber erzählen, wie wir mit Tieren umge­gan­gen sind. Dies nicht unähn­lich wie wir heute auf die Sklaverei und Rassen­herrschaften ver­gan­gener Zeit­en zurückschauen.”

Nun hat Richard David Precht ein Buch über Tiere geschrieben und wie immer ist er dies­bezüglich klar, intel­li­gent, klug, präzise, struk­turi­ert, er kann bril­lant erzählen, witzig, zwar gar etwas män­ner­be­tont, doch grund­sät­zlich ein­fach “Wow.” Klar doch. Peter Slo­ter­dijk nan­nte ihn aus Frust, weil er wegen Precht sein philosophis­ches Quar­tett ver­loren hat, den “André Rieu der Philoso­phie.” Meine philosophis­chen Kol­legin­nen rümpfen auch ihre Nase, wenn sie den Namen Precht hören und meinen er koche höch­stens mit Wass­er. Sozi­olo­gen machen sich lustig, eigentlich bashen viele auf Richard David Precht ein — wohl nicht zulet­zt weil gross­er Neid aufkommt bei so einem Alles­denker, Alleskön­ner mit gutem Ausse­hen. In sein­er Talkrunde “Precht” ist er zwar unendlich eit­el und extrem müh­sam punk­to Alt­män­nergäste­dom­i­nanz, aber als Antwor­tender, als Lehrer, als Weg­bere­it­er ist er genial wie kein Zweit­er.

Auf dem “Blauen Sofa” erzählte der der über­aus klu­gen Mod­er­a­torin viele, ganz, ganz entschei­dende Dinge, wenn es um Leben und unsere Welt geht. Hier meine Noti­zen:

Kön­nen Tiere sprechen? Klar doch. Es ist nur so, dass wir keine Ahnung haben und uns auch nicht bemühen, die Sprache der Tiere, beispiel­sweise der Schim­pansen, zu ver­ste­hen. Was die Intel­li­genz bet­rifft, so ist die Krake uns Men­schen — rein materiell gese­hen — um unzäh­lige Vari­anten über­legen. Nach welchen Kri­te­rien sollen Tiere beurteilt wer­den? Mit ein­er Moral des Nicht-Wis­sens und der Würde für alle Lebe­we­sen.

Richard David Precht bringt im Gespräch ganz viele Beispiele, wie wir über Tiere denken kön­nten und soll­ten. Beson­ders entset­zlich ein­drück­lich sind seine Beispiele und Inkon­se­quen­zen im deutschen Rechtssys­tem, das Tiere durch­wegs als Folter­vor­lage für Sadis­ten benutzt (meine For­mulierung). Erstaunlich fand ich per­sön­lich seinen Hieb auf die Psy­cholo­gie: “Alles, was der Men­sch beherrschen kann, ver­liert für ihn an Wert.” In Bezug auf die Liebe kam mir da meine schot­tis­che Schwiegerma­ma in den Sinn, die — im anderen Zusam­men­hang, doch ähn­lich­es meinte mit ihrem Satz: “Treat them mean, keep them keen” — also nur, was sich nicht beherrschen lässt, auch respek­tiert wird. Darüber lohnt es sich, noch weit­er nachzu­denken, denn ein der­ar­tiges Men­schen­bild ist eigentlich nicht meines.

So oder so: Hören Sie Precht, denken Sie mit Precht und klar doch: Wer Jonathan Safran Froer “Tiere essen” gele­sen hat, find­et bei Precht die notwendi­ge öffentlich-rechtliche, poli­tis­che, philosophis­che und juris­tis­che Ergänzung. Wenn Sie auf das Bild klick­en, kön­nen Sie den Beitrag auf dem “Blauen Sofa” auf ZDF nachguck­en.