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Titanic versunken – oder nicht?

Von Fabi­enne Naegeli – Der Prozess zum Unter­gang vor 100 Jahren: Wir alle erin­nern uns an die welt­berühmt gewor­dene Szene: Leonar­do DiCaprio und Kate Winslet, gal­lions­fig­uren­gle­ich mit aus­ge­bre­it­eten Armen, wie sie, im Licht des Son­nenun­ter­gangs sich küssend, zu Céline Dions «My heart will go on» in den Tod versinken. James Camerons oscargekröntes Filme­pos schlug 1997 grosse Wellen, und als im ver­gan­genen Jan­u­ar das Pas­sagier­schiff Cos­ta Con­cor­dia vor der ital­ienis­chen Mit­telmeerin­sel Giglio mit einem Felsen kol­li­dierte, sind wahrschein­lich eini­gen die Bilder des leg­endären Schiff­sunglücks wieder aus der Erin­nerung aufge­taucht.

In der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912, also genau vor 100 Jahren, passierte die Katas­tro­phe. Der wenige Tage zuvor im englis­chen Southamp­ton zur Jungfer­n­fahrt über den Nor­dat­lantik nach New York aus­ge­laufene Luxu­slin­er RMS Titan­ic der britis­chen Reed­erei White Star Line stiess in der Nähe von Neu­fund­land mit einem Eis­berg zusam­men und sank. Die unzure­ichende Anzahl Ret­tungs­boote, die Uner­fahren­heit der Besatzung sowie Fehlentschei­de und weit­ere Män­gel am Pres­ti­geob­jekt der dama­li­gen Seefahrt führten zu ein­er hohen Opfer­zahl, und stell­ten die Kon­trol­lier­barkeit der Natur durch tech­nis­che Errun­gen­schaften mas­siv in Frage. Doch wie weit sind wir heute? Wie vor hun­dert Jahren ist der Tech­nikglaube unge­brochen, und sor­g­los kon­sum­ieren wir unsere natür­lichen Ressourcen. Wer wird bei ein­er Katas­tro­phe die Ver­ant­wor­tung übernehmen?

Ohne nos­tal­gisch-roman­tis­chen Kitsch, wie er im kom­menden Som­mer auf der Bühne der Thunerseespiele oder bei der 3D-Auf­bere­itung des Cameron-Klas­sik­ers zu erwarten ist, son­dern mit ein­er farcear­ti­gen Gerichtsver­hand­lung nimmt sich das 19-köp­fige Laienensem­ble unter dem Kom­man­do von Regis­seur und Autor Roger Binggeli Bernard im Stück «titanic2012» dem Unter­gang des damals grössten Schiffs der Welt an. Als weit­eres Mit­glied der Besatzung ist der Jaz­zgi­tar­rist und Elvis-Inter­pret Skin­ny Jim mit an Bord.

William M. Mur­doch, dem ersten Offizier, wird der Prozess gemacht. Ver­hielt er sich richtig als er sich entsch­ied, den Eis­berg nicht direkt anzus­teuern, son­dern zu ver­suchen, um ihn herumz­u­fahren? Oder hät­ten mit einem anderen Manöver mehr Leben gerettet, ja sog­ar ein Zusam­men­prall ver­hin­dert wer­den kön­nen? Helen Can­dee, die Rich­terin am Ver­sicherungs­gericht in Lon­don, ver­hört Mur­doch. Der Anwalt Max Mad­dox, eigentlich Mur­dochs Vertei­di­ger, tut hinge­gen nichts, und auch die Staat­san­wältin Mol­ly Brown strickt lieber, als dass sie Anklage erhebt. Das Pub­likum im Gerichtssaal ver­langt Gerechtigkeit. Weit­ere Besatzungsmit­glieder wer­den ver­nom­men und schliesslich angeklagt: Fred­er­ick Fleet, der Matrose, der im Aus­guck war, wegen der fehlen­den Fer­ngläs­er, Jack Phillips, der Funker, weil er Telegramme nicht weit­ergeleit­et hat­te. Gegen Matthew O‘Conogan, den Werf­tar­beit­er, wird der Vor­wurf erhoben, er hätte das Schiff in betrunk­en­em Zus­tand zusam­menge­baut und die Schrauben zu lock­er ange­zo­gen. Kapitän Edward Smith wird angeklagt, er hätte das «Blaue Band» für die schnell­ste Über­fahrt gewin­nen wollen, Bri­an O‘Neill, der Jour­nal­ist von «Lux­u­ry Lin­ers Today», wegen Ver­bre­itung ein­er Falschmel­dung über die Unsinkbarkeit des Schiffs, und Thomas Andrews, der Schiff­sar­chitekt und Kon­struk­teur, auf­grund der aus ästhetis­chen Grün­den gerin­gen Anzahl Ret­tungs­boote. Beim Ver­such, die Schuld­frage auf ver­schiedene Ver­ant­wortliche zu verteilen, bricht im Gerichtssaal das Chaos aus. Obwohl doch eigentlich alle im sel­ben Boot sitzen, beschuldigt man sich gegen­seit­ig, bis endlich Kapitän Smith das Rud­er in die Hand nimmt und ruft: «Ich übernehme die Ver­ant­wor­tung.»

Na dann, Schiff ahoi, «titanic2012»!

Text/Regie: Roger Binggeli Bernard. Spiel: Pro­jekt 210. Bühne: Sara B. Wein­gart. Musik: Skin­ny Jim.

www.majacc.com

Foto: zVg.
ensuite, April 2012

 

Artikel online veröffentlicht: 22. März 2019