Von Hannes Liechti — In der Serie «Musik für …» wird jeweils eine oder mehrere Persönlichkeiten aus dem Berner Kulturleben mit einer ausgewählten Playlist konfrontiert. Diesen Monat trifft es die Berner Guerilla-Troubadouren Maze Künzler und Mark «Obi» Oberholzer von Tomazobi.
Man kennt sie zum Beispiel von der «Olive»: Diesem Mani Matter-Cover, das nicht wie erwartet Hemmungen sondern die köstlichen spanischen Früchte besingt. Auf der neusten CD von Tomazobi treten in einer weihnächtlichen Geschichte der anderen Art nicht zuletzt Mike Shiva und Christoph Mörgeli auf. Und als ob damit noch nicht genug sei: Tomazobi präsentiert das Hörspiel unter dem Titel «Uf dr Suechi nach de verlorene Gschänkli» live als Puppentheater. Dass sie nie ganz ernst bleiben können, zeigen Maze und Obi von Tomazobi auch im Gespräch über die weihnächtliche Musikauswahl.
Elvis Presley
«Silent Night»
ab dem Album «Elvis’ Christmas Album» (RCA Victor, 1957)
Maze: Das klingt nach Elvis. Den mag ich nicht besonders. Natürlich hat er seine Verdienste …
Obi: Man darf ja auch fast nichts gegen ihn sagen. Aber seine Art, zu singen, konnte mich nie wirklich einnehmen.
Für euch ist Elvis also nicht unsterblich?
M: Nein, tatsächlich nicht. Es wollten mich schon einige davon überzeugen, dass er eigentlich schon noch gut wäre – jedoch ohne Erfolg. Und dieses Lied hier ist von einer speziellen …
O: … Schwülstigkeit.
M: … genau! Mir kommt dabei Cola und Santa Claus in den Sinn.
O: Ich glaube, da müsste ich zuerst ein wenig kiffen, bis mir das besser gefällt. (lacht)
M: Ich weiss nicht, ob es mir dann besser gefallen würde.
Wie habt ihr es mit Weihnachtsliedern, singt ihr am Weihnachtsfest?
M: Weihnachtslieder sind Weihnachtslieder, genauso wie Kinderlieder Kinderlieder sind. Ich fühle mich nicht enorm damit verbunden. Weder positiv noch negativ.
O: Ich habe letztes Jahr bereits herausgefunden, dass die zunehmende Kommerzialisierung des Weihnachtsfests nicht so mein Ding ist.
Aber Weihnachtslieder müssen ja – abseits von Elvis’ «Stille Nacht» – nicht per se kommerziell sein.
O: Das stimmt. Und das gemeinsame Singen finde ich eigentlich etwas Schönes und Besinnliches. Ich mache das aber weniger in der Familie, viel eher mit Freunden und ihren Kindern.
Bob Dylan
«Little Drummer Boy»
ab dem Album «Christmas in the Heart» (Columbia, 2009)
O: Tolle Stimme, und die Marschtrommel gefällt mir auch gut. Ist das Dylan?
Ja, ab seiner neusten CD mit Weihnachtsliedern aus dem Jahr 2009.
O: Ah, siehe da: Auch Dylan will etwas verkaufen an Weihnachten. Soviel zur zunehmenden Kommerzialisierung.
M: Wenn Bob Dylan Weihnachtslieder einspielt, hat man schon den Verdacht, dass die Platte vermutlich einen gewissen kommerziellen Hintergedanken hat.
Und jetzt auch noch Tomazobi: Ihr habt auf das Weihnachtsgeschäft hin eine CD mit einem Hörspiel veröffentlicht.
O: Natürlich, wir profitieren gnadenlos.
M: Wir wollen auch etwas von diesem Kuchen!
O: Wir als Kleinunternehmen müssen schliesslich auch AHV bezahlen. Darum: Rettet die AHV und kauft unser Hörspiel! Wir haben diese CD aber nicht deshalb gemacht, weil wir schon immer unbedingt etwas zu Weihnachten machen wollten. Wir haben vielmehr – wie immer – darauf los experimentiert und plötzlich ist diese Weihnachtsgeschichte entstanden; ein Puppenspiel hat uns schon lange interessiert. Es war aber wie gesagt nicht geplant, dass wir jetzt eine Weihnachts-CD herausgeben und ins Weihnachtsgeschäft einsteigen. Oder zumindest so halb nicht.
M: lacht
Rage Against The Machine
«Killing in the Name of»
ab dem Album «Rage Against The Machine» (Epic, 1992)
O: Voilà. «Killing in the Name of» – Ganz grosse Gitarren.
M: Eine der wenigen Scheiben, die damals so wirklich einschlugen. Das Problem war, dass Rage irgendwann einmal begonnen haben, sich mehr und mehr zu wiederholen. Auf der dritten CD präsentierten sie sich wie eine Coverband von sich selbst. Aber diese Scheibe ist unbestritten ein Meilenstein. Gerade für unser Alter wurde der pubertäre Unmut damals wunderbar ausgedrückt.
O: Aber absolut starke Musik. Eigentlich fast eine Oper.
M: «Killing in the Name of» ist ein Prototyp der aggressiven Musik. Ich kann mich noch an einen Sporttag im Gymnasium erinnern, an dem während des Fussballspiels dieser Song lief. In diesen fünf Minuten ging es dann entsprechend hart zur Sache. Aber was hat das eigentlich mit Weihnachten zu tun?
Der Song landete an Weihnachten 2009 durch eine auf Facebook entstandene Idee auf Platz 1 der UK-Single Charts und verdrängte den damaligen X‑Factor-Gewinner. Wäre das nicht einmal etwas für Tomazobi?
M: Für uns wäre es grundsätzlich einmal etwas, einen richtigen Radiosong zu haben. Wir sind erstaunlich erfolgreich, ohne je einen richtigen Radiosong gehabt zu haben. Aber Tomazobi an Weihnachten auf Platz 1: Wenn das jemand initiieren würde, wären wir natürlich sofort dabei.
O: Dann wäre auch Radio DRS 3 plötzlich wieder super. Vielleicht sollten wir aber noch weiter gehen: an den Eurovision Song Contest zum Beispiel! (lacht)
Wham!
«Last Christmas»
ab der Single «Last Christmas» (Epic, 1984)
O: Da ist er. Den haben wir erwartet. Noch bevor dieser Song anfängt, denkt man, der Hall der Stimmen sei schon da – und die Föhnfrisuren auch.
M: Da will man immer gleich auf die öffentlichen Toiletten rennen.
O: Der Song ist furchtbar, ich kann es nicht anders sagen; weder rhythmisch noch melodiös interessant. Obwohl George Michael ein cooler Typ ist. Eigentlich.
M: Das ist wahrscheinlich der schlimmste Wham!-Song überhaupt.
Ihr zitiert den Song ja in eurem Weihnachts-Hörspiel. Warum ausgerechnet «Last Christmas», wenn er so schrecklich ist?
M: Wenn man an Weihnachtslieder denkt und solche wie «O Tannenbaum» oder «Stille Nacht» ausschliesst, …
O: … dann bleibt fast nur noch «Last Christmas». Und verkaufstechnisch ist es natürlich ein genialer Song!
M: Eigentlich möchten wir den Song ja selbst geschrieben haben. Dann hätten wir dich jetzt in unser grosses Loft an der Côte d’Azur eingeladen.
O: Heute feiern diese 80er-Synthesizer-Sounds wieder ein enormes Revival.
M: Und zwar weil das die Teenie-Musik unserer Generation war. Wir sind nun mittelalterlich und gut verdienend und denken zurück an die guten Zeiten. Ich finde diese Synthies ja eigentlich auch noch toll.
O: Aber vor 10 Jahren fanden wir sie noch scheisse.
M: Vor 10 Jahren hörten wir auch Nirvana und wollten nur noch Röhrenverstärker.
Müslüm
«Samichlaus»
ab der Single «Samichlaus» (Sound Service, 2010)
In «Samichlaus» kommen sowohl Christoph Mörgeli als auch die Schafe von der SVP-Kampagne vor. Dieselben tauchen auch in eurem Hörspiel auf. Was hat denn Politik in der Weihnachtszeit verloren?
M: Skin von Skunk Anansie sagt: »Everything is political.« Überall wird vom Fest der Liebe und der besinnlichen Zeit geredet und gleichzeitig wird enorm viel Umsatz gemacht. Das ist doch politisch. Und dann ist man sofort bei den sozialen Fragen: Gilt das nur für die, die Geld haben?
O: Und dann bist du subito bei den globalen Fragen, gerade bei der Weihnachtsgeschichte.
M: Zum Beispiel beim Thema Migration: Josef und Maria müssen weg, zu einer Volkszählung, werden nirgends aufgenommen und müssen schliesslich im Stall schlafen. Abgesehen davon ist Weihnachten ein religiöses Fest, und Religion und Politik gehören enorm stark zusammen.
Die biblische Weihnachtsgeschichte hat für euch also eine wichtige Bedeutung?
O: Eindeutig. Als Kind ist mir schon immer extrem in Erinnerung geblieben, wie Josef und Maria den Stall nicht finden und überall anklopfen. Hinter der Weihnachtsgeschichte verbergen sich Kindheitserinnerungen.
Tomazobi
«Wiehnachtslied»
ab dem Album «Uf dr Suechi nach de verlorene Gschänkli» (Endorphin Entertainment, 2011)
O: Diesen Song habe ich schon lange nicht mehr gehört.
M: Ich kann den Text gar nicht mehr auswendig.
O: Schönes Xylophon übrigens.
M: Ich möchte betonen, dass dieses Xylophon mein Weinglas ist, das ich gesamplet habe. Der Song beinhaltet viele dadaistische Aussagen und auch eine Auflistung von lustigen Personen. Daneben ist die Grundaussage aber: Weihnachten ist für alle da. Auch der liebe Gott ist für alle da, nicht nur für die, die ganz fest schreien.
Was bedeutet euch Weihnachten?
M: Weihnachten ist in meiner Familie, Gott sei dank, nicht so ein grosses Kapitel. Aber ich finde es schon gut, dass man in der finsteren Zeit im Dezember um die Sonnenwende das Licht feiert.
O: Es hat schon etwas, diese besinnliche Zeit. Mich kann das aber dann auch ein bisschen depressiv machen.
M: Es ist gut, wenn man in dieser Zeit etwas zu tun hat. Viel schlimmer wäre es, nichts zu tun zu haben. Dann hätte man zu viel Zeit, um depressiv zu werden.
O: Tomazobi ist eigentlich eine adventliche Selbsthilfegruppe.
Euer Weihnachtshörspiel als Vorsichtsmassnahme gegen winterliche Depressionen?
O: Genau. Vorsichtsmassnahme und Therapie in einem.
Die Hörspiel-CD »Uf dr Suechi nach de verlorene Gschänkli« von Tomazobi ist im Handel erhältlich. Tomazobi präsentiert das Puppentheater zur Hörspiel-CD am 18. und 31. Dezember in der La Cappella in Bern
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2011