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Trash-Kult(ur) Vol. IV: Polit-Art-Trash?

Von Pas­cal Mülchi — 10. April, Dor­nacher­platz, Solothurn, 12 Uhr. Eine Müll­skulp­tur entste­ht. Ihm Rah­men des Aktion­s­monats «Jugend Macht!» heisst es: «Kommt und klebt! Bringt Müll und wir skulp­turi­eren zusam­men ein Kunst­werk.» Das tönt nach echtem Trash. Trash der zum Anfassen ist, aber nur ungern ange­fasst wird. Ihhh, wäh­hh, ähhh. Ein Kunst­werk aus richtigem Müll zu schaf­fen, lässt die Vorstel­lung aber von schmutzigem Trash ins Ästhetis­che und Kün­st­lerische mün­den. Ohhh, Uhhh, Ahhh. Liest man weit­er im Beschrieb des Anlass­es, ist der Trash dann gar poli­tisch kon­notiert: «Da wir noch immer kein AJZ haben, ver­wirk­lichen wir uns auf der Strasse. Ihr (Anm. d. Red.: damit sind vorder­hand die Behör­den gemeint) lasst Häuser ver­rot­ten wie Müll, wir bauen auf bei­dem!»

Eine karge, selb­st zusam­men geschweis­ste Pyra­mide aus dün­nen Eisen­stan­gen ste­ht anfangs noch etwas ver­loren da. Einzig ver­wahrlost wirk­ende Klei­der und Bier­dosen zieren das Met­all­gerüst. Später fol­gen ein niedlich­es Plüschti­er, ein brauner WC-Stöpsel, schwarze Velo-Pneus, ein ver­bo­gen­er Garder­oben­stän­der, ein nicht mehr tauglich­er Tisch-Staub­sauger, Büros­tuhl-Rollen, eine Store. Und vieles mehr aus alltäglich anfal­l­en­dem Müll. Ein ganz eigen­williges Kunst­werk ist ent­standen.

Unweit und etwas abseits lehnt sich eine Trash-Puppe läs­sig ans Gelän­der. Auch sie wurde vor Ort gebastelt. Sie trägt alte led­erne Schuhe, graue Hosen, ein weiss­es Hemd mit schwarz­er Kra­vat­te. Der Kopf ist eine grosse Dose, die Haare vier aus­gestopfte gras­grüne Sock­en. «Das ist der Stadt­präsi­dent Kurt Fluri», meinen die Freirau­mak­tivistIn­nen der Autonomen Freiraum Bewe­gung Solothurn Die Gruppe hat den Anlass organ­isiert. Kurt Fluri sein­er­seits ist der Stadt­präsi­dent der Barock­stadt an der Aare und damit Pre­mier der Stadt. Willen und Engage­ment, um das schon seit über vier Jahren vorhan­dene Prob­lem des fehlen­den Freiraums in Solothurn und Umge­bung effek­tiv anzuge­hen, zeige der Stapi aber wenig, heisst es. Ist Kurt Fluri vielle­icht sog­ar der erste echte «Trash Man»? Ein Sym­bol für (poli­tis­che) Schmutzigkeit, ein Sym­bol für oder bess­er: zur Entsorgung?

Bis jet­zt ken­nt die mod­erne Gesellschaft nur den 1996 vom Kün­stler HA Schult geschaf­fe­nen «Trash Man». Er ist eine Skulp­tur, ent­standen aus dem Müll der Köl­ner Bevölkerung. Die Masse des «Trash Man» (1,78x0,60x0,35m.) dürften in etwa deren des Solothurn­er Stadt­präsi­den­ten gle­ichen. HA Schult stellte seine 1000er «Trash People»-Armee schon in Chi­na, New York oder der Antark­tis aus. Fluri stellt sich selb­st in Solothurn und in Bern als Nation­al­rat auf dem poli­tis­chen Par­kett aus. Am 10. April war er sozusagen nun erst­mals als «Trash-Man» zu bestaunen. Die Aktio­nen von Schult indes standen immer im Kon­text des jew­eili­gen Gas­tortes. In der Antark­tis wurde beispiel­sweise auf den Zusam­men­hang zwis­chen Müll und Kli­mawan­dels hingewiesen.

Der Trash-Man ist in den erwäh­n­ten Kon­tex­ten also dur­chaus ein poli­tis­ches Instru­ment und/oder Sym­bol. Gle­ichzeit­ig ist er aber auch Kun­st, die den Rah­men herkömm­lich­er Kun­st­be­tra­ch­tung auf aussergewöhn­liche Weise zu spren­gen weiss. Ist das vielle­icht sowas wie Polit-Art-Trash?

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010

Artikel online veröffentlicht: 1. November 2018