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TRATSCHUNDLABER

Von Son­ja wenger — Es ist ja nicht so, dass in den Medi­en keine Reflex­ion stat­tfind­et. So war erst kür­zlich tat­säch­lich im «Tage­sanzeiger» eine her­vor­ra­gende Rezen­sion über eine drin­gend notwendi­ge Studie zu lesen, die sich mit den fatal­en Auswirkun­gen der Pornoin­dus­trie auf unsere Gesellschaft auseinan­der­set­zt. Eine kon­stant härter wer­dende Kat­e­gorie von Pornos ist salon­fähig gewor­den, und mit ihr – ein­mal mehr – die sex­u­al­isierte Gewalt gegen Frauen.

Was bei der fortschre­i­t­en­den «Pornofizierung» unser­er Umwelt – Medi­en, Wer­bung, Unter­hal­tung und gar All­t­agssprache – beson­ders zu denken gibt, ist der fehlende Wider­stand der Frauen. So ste­hen einem die Haare zu Berge wenn man beobachtet, mit welch wüsten Worten sich heute Mäd­chen von Jungs ansprechen lassen, ohne dass ihnen dabei die Galle hochkommt. Und die Gren­zen, scheint es, sind noch lange nicht erre­icht.

Doch wen wundert´s? Je mehr Hüllen und Tabus fall­en, umso mehr verkommt nach­denken, aussprechen, und anprangern zur Pri­vat­sache, find­et besten­falls noch in den Feuil­letons, Kolum­nen und auf den Gesellschafts­seit­en statt, aber nicht dort, wo es hinge­hört: in die Wis­senschaft und Poli­tik.

Empathie ist ver­pönt, Näch­sten­liebe ein Schimpf­wort und Schamge­fühl sowieso antiquiert. Schaden­freude heisst der Volkss­port. Nur wer makel­los jung, sexy schön und willig zum Masochis­mus ist, kann in dieser Welt was wer­den. Deshalb ist heute Pop Porn in, Lady Gaga ein Star, und ein öffentlich-rechtlich­er Sender kaum noch vom Pri­vat­fernse­hen zu unter­schei­den.

Völ­lig zu recht klagte «die Zeit» vor kurzem in einem Artikel über die «vom Volk bezahlte Verblö­dung», in dem sie das lausige Pro­gramm von ARD und ZDF als Skan­dal beze­ich­nete, und die «Wieder­aufzucht eines gebilde­ten Pub­likums» forderte. Aber das Volk kriegt bekan­ntlich, was es will – und es will wohl Tillate, Doku-Soaps, Sauforgien, Fresstem­pel, Shop­ping­cen­ter und Porno, wobei das eine oft nicht vom anderen zu unter­schei­den ist.

Wider­sprüche im All­t­ag wer­den dabei natür­lich hin­genom­men, wenn denn über­haupt noch wahrgenom­men. Das treibt bisweilen kuriose Blüten, so wenn das Wer­be­plakat ein­er Kam­pagne für gesunde Ernährung der Schweiz­er Kinder – sie sind schliesslich unsere Zukun­ft und solch­es Blabla – genau neben einem McDon­alds-Plakat hängt. Ob es sich dabei um Ironie oder Zufall han­delt, bleibt im Dunkeln. Genau­so wie die Frage, ob man sich bei so was nun kugeln oder die Kugel geben soll. Aber ach, auch diese Aus­sage ist bere­its wer­betech­nisch von Fer­rero beset­zt. «Der Rest», das hat schon Ham­let am Schluss kapiert, «ist Schweigen».

Foto: zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2010

 

 

Artikel online veröffentlicht: 20. November 2018