Von Lukas Vogelsang — Was hält man von einem Mann, der über seine verstorbene Frau witzelt und sie einen Tyrannosaur nennt? Stopp. Bevor man urteilt, sollte man mehr über diesen Menschen und dessen Umfeld wissen. Manchmal sind die Dinge etwas komplizierter und manchmal steckt hinter dem Bellen ein winselnder Hund. Um Hunde geht es auch in diesem Film. Vielleicht ist Joseph (wunderbar gespielt von Peter Mullan) in Tat und Wahrheit ein halbabgerichteter Rottweiler? Den Charakter dazu hätte er.
Der Film spielt in England, genauer in Leeds. Joseph ist im Selbsthass ertrunken und hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Seit seine Frau vor 5 Jahren verstorben ist, sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen. Gleichzeitig liegt sein bester Freund im Sterben. Schuld und Einsamkeit quälen ihn, die Unfähigkeit, sein Leben kontrollieren zu können, frisst ihn auf. Er verletzt alles um sich herum, sogar seinen Hund. Sein Umfeld glaubt nicht mehr an ihn – oder glaubt ebenso wenig wie Joseph an etwas. Im Schlafzimmer wartet sein Schlagstock auf das nächste Objekt – und dabei ist es egal ob lebendig oder nicht – welches seiner Aggression nachgeben muss. Der kleine Blechschuppen im Garten überlebt es nicht. Auch anderes nicht. Peter Mullan spielt hervorragend den asozialen, explodierenden Rowdy und es ist erstaunlich, dass man als Zuschauer für diesen Menschen gewisse Sympathien aufbringen kann.
Im Strudel von Josephs Unberechenbarkeit, der Gewalt und seiner Selbstverachtung flieht er eines Tages vor ein paar Jugendlichen. Mit der Flucht rettet er die Jugendlichen – nicht, dass er gegen die Bengel zu schwach gewesen wäre. Er landet in einem Secondhand-Laden und trifft dort auf die brave Hannah (Olivia Colman). Sie betet für ihn. Joseph hält davon nicht grad viel, kommt aber trotzdem wieder – natürlich um auch hier die Spuren seines heillosen, verbalen Feldzuges zu hinterlassen. Bürgerliche Verlogenheit bringt ihn zum Kochen. Doch diesmal spürt er, dass er zu weit gegangen ist – oder, dass es mit ihm zu weit gegangen ist. Er bereut und möchte sich entschuldigen, was ihn bereits an die Grenzen seiner Möglichkeiten stossen lässt. Doch als er Hannah wieder trifft, hat diese ein blaues Auge. Joseph, in seinem Selbsthass, reagiert irritiert. Etwas bricht auf. Und irgendwo spielt sich eine kleine Liebesgeschichte ab – wenn auch nicht wirklich.
Als Regisseur legt Paddy Considine (*1973) mit «Tyrannosaur» sein Spielfilmdebüt vor. Paddy ist auch Schauspieler, gesehen hat man ihn vor kurzem als esoterischen Möchtegern im letztjährigen Film «Submarine». Er hat schon einige Kurzfilme gedreht, und wurde 2007 mit «Dog Altogether» an den internationalen Filmfestspielen Venedig für den besten Kurzfilm ausgezeichnet. «Hunde» begleiten ihn schon länger.
«Tyrannosaur» ist ein brutaler Film, ein Meisterwerk über seelische Abgründe, aus einer Welt, die nicht allzu weit von uns entfernt zu sein scheint. Wunderbare Besetzung, fantastische englische Selbstkritik und eine hervorragende Sozialstudie. Die Brutalität ist nicht unbedingt – aber auch – physischer Natur. Der Film schmerzt, geht mit den Zuschauern aber fair um, und brennt sich wie ein Tattoo in die Haut. Ein fantastisches Trauerspiel.
Foto: zVg.
ensuite, April 2012