Von Dr. Regula Stämpfli — Wer Schulen besetzt, sich in Museen an Bilder klebt oder Fleischesser Mörder nennt, zelebriert coolen Habitus, hält den Ökozid mit Bestimmtheit nicht auf. Klima, Gender, Meat sind klassische Internetphänomene: millionenfach darüber geredet, wenig bis nichts erreicht, dafür mögliche UnterstützerInnen extrem verärgert. Der tiefe Graben zwischen Symbolakten und der Wirklichkeit ist entsetzlich und das politische Resultat: auf der Stelle drehen.
Netzphänomene haben häufiger massive Negativfolgen für den ongoing Ökozid, als dass sie das Klima WIRKLICH retten. Konsum durch Aufmerksamkeit erhöht nämlich massiv den CO2-Ausstoss. Twitter, Telegram, Snapchat, Instagram, Google, Facebook u. a. sind fürchterliche CO2-Schleudern: Der Strombedarf einer x‑beliebigen Plattform übersteigt schnell mal den einer mittelgrossen Stadt. Dazu kommt: Die seltenen Erden bedingen Gewinnung, Abbau und Vertrieb unter unmenschlichsten Bedingungen. Das Gift, das in den Mülldeponien von Apple, Google, Facebook, Amazon, Microsoft etc. in afrikanischen Staaten produziert und entsorgt wird, zerstört Mensch und Natur in Ausmassen, von denen man hierzulande kaum etwas hört. Während Gendersternchen-Debatten und Witzmagazine wie das von Jan Böhmermann, der TERFS – dieses Synonym für alte Hexe, Schlampe, Ungefickte, blöde Kuh, hässliche Alte – auf TURDS (Scheisshaufen) wirft, kostbare Fernsehminuten und Zeitungsspalten füllen, stapeln sich nur 106 Autostunden entfernt in der Hölle von Agbogbloshie (Ghana) ausrangierte Tablets, Smartphones und Computer. Alles giftig und fein säuberlich von Kinderhänden zwecks Wiederverwertung sortiert. «Welcome to Sodom – dein Smartphone ist schon da» erzählt davon; gewann aber im Jahr 2018 keine Oscar, keinen Bären, keinen Löwen, dies taten andere, populärere Dokus. Der Medienwandel bringt ein Klick‑, Quoten- und Aufmerksamkeitsregime nicht nur in den Boulevard, sondern mehr und mehr in die öffentlich-rechtlichen Institutionen und Leitmedien, wo der Ökozid durch falsche Themensetzung weitergetrieben wird. Deshalb reden wir alle von Politik als Privatsache, die skandalisiert, empört und aufregt, und echte politische Vorschläge kriegen kaum Klicks. Wie war das nochmals mit meinem Vorschlag «No data without representation» – keine Datensammlung ohne politische Grundlage? Oder mit der «Umkehr der Beweislast» für Plattformen, wenn sie Hate, Fake News und Bots gegen die Demokratie millionenfach verbreiten? ARD, SRF und ZDF informieren lieber über Prince Harry als uns informiert und fit für die Demokratie zu machen.
Glücklicherweise gibt es immer noch Bücher und geniale Menschen. «Superyachten» von Grégory Salle beispielsweise. Salle provoziert mit seinem Essay den für die Demokratien so wichtigen und heiligen Zorn. Leichtfüssig demonstriert er die krasse Diskrepanz zwischen Sprechakten, Ideologien und Fashion/Feminist/Antiracist-Blabla, diesem «political-correctness-washing» aller Superreichen. Gleichzeitig ermahnt Salle alle noch existierenden Demokratien, den ebenso noch existierenden Rechtsstaat durchzusetzen: unbedingt auch in der EU. Diese hat erst vor wenigen Wochen beschlossen, die Superreichen vom CO2-Emissionshandel auszunehmen. Echt jetzt? Die EU, deren föhnfrisierte Ursula von der Leyen ständig vom «European Green Deal» schwärmt und die Millionen Tonnen CO2-Belastung durch Multimilliardäre einfach abgabenfrei durchwinkt? Dieser abgabenfreie Ökozid durch Superreiche wurde in den Medien witzig, charmant, als phallisches Spielzeug, als Männerprotzerei, als «Die Elite amüsiert sich halt auf dem Meer»-Phänomen verniedlicht. J.K. Rowling wird von durchgeknallten Transaktivisten mit Hitler gleichgesetzt, während Abramowitschs «Éclipse» in der «Gala» bewundert wird?
Grégory Salles Buch lehrt uns, anders zu denken. Für den französischen Soziologen sind die Superyachten die eigentlichen Epochenträger: Sie inkarnieren die rasende Zunahme wirtschaftlicher und ökologischer Ungleichheit. Sie sind die Brandbeschleuniger ökologischer Katastrophen auf allen Meeren, sie etablieren globale rechtsstaatliche Verbrechen als normal, und sie bringen uns die «Sturzflut, die alles zu den Superreichen trägt».
Von der Öffentlichkeit unbemerkt erleben wir «den grössten Boom, den die Yacht-Industrie je gesehen hat», zitiert Salle den «New Yorker». 887 Superyachten wurden 2021 gekauft, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Gekauft werden diese mit globalem Finanzkapital, das sich von gut aussehenden Anwälten und cleveren Beratern einfach verstecken lässt. Ein russischer Oligarch zahlt weder Steuern noch unterliegt er den internationalen Sanktionen. Entweder werden die Yachten mit Spiegeln auf dem Meer unsichtbar gemacht, oder die Oligarchen wohnen in der Schweiz, transferieren ihre Boote schnell in die Türkei. «Sacrilegia minuta puniuntur, magna in triumphis feruntur»: Schon Cicero erzählte davon, dass grosse Verbrechen gefeiert, kleine dafür hart bestraft werden.
Superyachten, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, kosten bei «einmal volltanken, bitte!» schnell mal 1,5 Millionen Dollar. Sie stossen pro Jahr über 1400-mal mehr CO2 aus als wir Normalsterblichen im Westen. Sie sind so gross wie ein Fussballfeld und kosten annähernd eine Milliarde Dollar. Die 6000 Superyachten, deren Betrieb jährlich mehr als zehn Prozent der Herstellungskosten in Anspruch nimmt, könnten die Schulden sämtlicher Entwicklungsländer tilgen. Yachten sind Phallokratien pur: Der Schwanzvergleich manifestiert sich in der Länge, in der Suche nach den besten Liegeplätzen und Accessoires, die an «120 Tage von Sodom» von Pier Paolo Pasolini erinnern. Aus der Dusche spritzt Champagner und sie tragen Namen wie «Namasté». Die Demokratie ist bei Superyachten im Ausverkauf erhältlich: Offshore-Registratur, Steuerparadiese und Schwarzgeldmafia machen dies möglich. So spielen sie perfekt die «Rolle im Titanenkampf zwischen Autokratie und Demokratie».
Und die Medien berichten immer noch über Klebeaktionen oder – bewahre – darüber, wie wichtig die Abschaffung des Wortes «Frau» sei? Sodass die behämmerten Parlamente dies nun auch gesetzlich festhalten wollen?
Superyachten inkarnieren rohe Macht, Gewalt und Hierarchie: Sie sind nicht der Gipfel des Systems, sie sind das System. Yachten inkarnieren Zygmunt Baumans «Leben als Konsum»: Sie sind nur da, um Müll zu produzieren: Müll gegen Demokratien und rechtsstaatliche Prinzipien, Müll in den Boulevardmedien, Müll in den Männermagazinen, Müll gegen die Gleichstellung, Müll in den Atollen, Korallenriffen und Seegrasbänken. Der Rest der Welt brennt wegen der Superyachten, und Jan Böhmermann et. al. vernichten bekannte Feministinnen, als wären diese am Untergang der Welt schuld. Der Krieg der Russen gegen die Ukraine bspw. könnte propagandistisch schon längst gewonnen werden, würde das russische Volk von den Superyachten seiner Herrscher en détail und täglich erfahren. Während die eigenen Söhne auf den matschigen oder eisigen Schlachtfeldern der Ukraine hingerichtet werden, verstecken die Ideologen zu Hause dank westlichen Anwälten den Reichtum des russischen Volkes. Russlands Blut wird für das Weiterbestehen der neuen Zaren vergossen, nicht für die eigene Nation. Doch hier versagen die Propagandamaschinen des Westens, da sie mit einer derartigen Kampagne auch ihre Superreichen gefährden würden.
Wer das Klima wirklich retten will, greift keine demokratischen Institutionen, sondern den Kern der den Ökozid produzierenden Herrscher an: Weshalb nicht bei den Superyachten beginnen? «Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.»
Grégory Salle: Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän. edition suhrkamp 2023. Aus dem Französischen brillant übersetzt von Ulrike Bischoff.