Von Patrick Etschmayer - Die sogenannte ‹Cancel Culture› ist ein weites Gebiet, das als Empör-Maschine vor allem im rechten politischen Spektrum derzeit Hochkonjunktur hat. Dabei wird dieses Label Inflationär verteilt, ganz egal, ob ein Autor nicht mit einer Komödiantin, mit der er weder thematisch noch sonst wie in Verbindung steht, bei einem Literaturfestival auftreten will, nachdem sie antisemitische Witzchen gemacht hat, oder es um eine Schauspielerin geht, die politische Lügen weiterverbreitet und so nach dem X‑ten Tweet dieser Art von einem Studio nicht weiter beschäftigt wird.
Doch hier soll es nicht darum gehen, sondern um Denkmäler, die vermutlich ersten Objekte, an denen diese Debatte entbrannte. Wie so viele Male wurde diese Debatte in den USA ausgelöst, als gefordert wurde, Denkmäler des konföderierten Generals Lee (der a) für den Erhalt der Sklaverei Krieg führte und b) diesen Krieg am Ende verlor) zu entfernen.
Der Widerstand dagegen ist gross. Dabei wird in Diskussionen eine Vielzahl, vielfach auch kluger oder zumindest nachdenkenswerter Argumente vorgebracht. Doch am Ende geht es immer wieder um diesen einen Punkt, der auch im Sammelbegriff zum Ausdruck kommt: «Geschichte soll man nicht mit der Entfernung eines Denkmals auslöschen (canceln)!»
Was natürlich ein totaler Blödsinn ist. Denn die Folgerung daraus ist es ja, dass so eine geschichtsvergessene Generation heranwachsen würde, so ganz ohne Denkmäler.
Was für ein exquisiter Schwachsinn dies doch ist.
Denn Geschichte wird nicht mit oder gar von Denkmälern unterrichtet, geschweige denn am Leben erhalten. Die meisten Denkmäler und Reiterstandbilder wurden kurz nach dem Tod der betreffenden Persönlichkeiten errichtet. Finanziert meist von Freunden und Gefährten des Verstorbenen mit dem Hintergedanken, dass dieses Werk seinen (Un-)Geist symbolisch in die Zukunft tragen und die begangenen Untaten positiv besetzen soll. Bei Lee ist dies zum Beispiel der institutionalisierte und ökonomisierte Rassismus der Südstaaten. Ein solches Denkmal ist letzten Endes nichts als Propaganda für diese Ideologie.
Die Entfernung eines solchen Denkmals sollte daher nur logisch sein, steht es doch für den Profit und die Verteidigung von Ausbeutung, Misshandlung, Mord, Vergewaltigung, Unrecht und den Erhalt einer Gesellschaft, die nur dank Rassismus eine Existenz haben konnte.
Stattdessen wird behauptet, dass hier Geschichte gelöscht werden und umgeschrieben werden solle.
Dabei geht es nicht um die Beseitigung, sondern um die Wiederherstellung von Geschichte, nicht um das Löschen, sondern um das ans Licht bringen von Persönlichkeiten und speziell um Menschen, die besonders unter den Taten, Ideologien und Politiken jener gelitten haben oder sogar von jenen getötet wurden, deren Abbilder nun von den Sockeln geholt werden sollten.
Kommt noch dazu, dass die Denkmäler ja nicht nur an diese Schurken erinnern, sondern sie in einem möglichst positiven Licht darstellen, in heldenhafter Pose, vielfach hoch zu Ross oder verklärt in eine Zukunft blickend, die sie mit ihren blutigen Taten unzähligen Menschen verwehrt haben. Und solche Denkmäler stehen natürlich auch in Europa rum.
Wenn in Belgien zum Beispiel die Demontage der Denkmäler von König Leopold II gefordert wird, scheint vielen Menschen, die dagegen sind, nicht wirklich bewusst zu sein, dass sein blutiges Wüten im Kongo, der von 1885 bis 1908 in seinem Privatbesitz war, jeden Horrorfilm wie einen Spaziergang im Park aussehen lässt und noch heute laut und blutig nachhallt. Der mit brutaler Ausbeutung für den Kautschukanbau kombinierte Genozid an der halben Bevölkerung ist locker auf dem Niveau des Grauens eines Hitler, Stalin oder Mao angesiedelt, geht man von reinen Bevölkerungsanteilen aus. Das ganze Land wurde traumatisiert und steckt als Folge davon auch heute noch in einem Gewaltkreislauf fest. Ähnlich leiden afrikanisch stämmige Schwarze in den USA immer noch unter der Entwurzlung, Entmenschlichung und Marginalisierung des Sklavenerbes.
Und ja, solche Ereignisse brauchen Denkmäler! Und ob!
Aber nicht Denkmäler der Täter und System-Erhalter, sondern Denkmäler für die Opfer und jene, die sich gegen die Mörder und Schänder gewehrt haben. So könnte man ja einen Kompromiss machen: Die vorhandenen Mörderdenkmäler einschmelzen und neue Statuen für die Opfer aus dem genau gleichen Material herstellen. Denn eines stimmt: Die Erinnerung darf nicht ausgelöscht, sie muss vielmehr aus dem Schattenwurf der alten Reiterstandbilder und Denkmäler ans Licht gebracht werden!