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(Un-)Brauchbare Kunst

Von Jarom Radzik — Was ver­ste­ht ein Müll­mann schon von Kun­st? Ein Gespräch zwis­chen Albrecht König, 52, Kura­tor, und Urs Stein­er, 39, Städtis­ch­er Müll­mann, anlässlich des Wet­tbe­werbs  «Eine Stadt sucht ihren Kün­stler.»

Albrecht König (K): «Ich grat­uliere ihnen.»

Urs Stein­er (S): «Wieso?»

1. K: «Sie sind der Gewin­ner dieser Skulp­tur!»

S: «Warum?»

K: «Weil Sie fünfhun­dert Meter gegan­gen sind, ohne den Blick vom Boden vor sich zu nehmen.»

S: «Heute belohnt man wohl jeden Mist.»

K: «Wie meinen Sie das?»

S: «Warum sollte Vor-Sich-Hin­glotzen was Beson­deres sein?»

K: «Nun, Sie tat­en es in ein­er Zone mit sehr vie­len Fuss­gängern.»

S: «Aha.» K:«Wir find­en das so toll, dass wir Sie dafür ausze­ich­nen! Freuen Sie sich denn nicht?»

S: «Und wozu das ganze Affenthe­ater?»

K: «Nun, wir machen diesen Wet­tbe­werb: Eine Stadt sucht ihren Kün­stler.»

S: «Aha.»

K: «Und dazu hat unsere Jury in dieser Fuss­gänger­zone Men­schen beobachtet und geschaut, wer das wahre Zeug zu einem Kün­stler hat. Dabei sind Sie uns aufge­fall­en.»

S: «Warum ich?»

K: «Na, weil Sie auf den Boden geschaut haben.»

S: «Na und?»

K: «Das ist etwas Beson­deres.»

S: «Nö.»

K: «Doch, doch.»

S: «Ach was, kann doch jed­er.»

K: «Mag sein, aber Sie machen das mit Abstand am Besten.»

S: «Schwachsinn. Nehmen Sie sich einen anderen Dep­pen. Einen, der Kun­st­stücke macht oder singt.»

K: «Dafür gibt es Tal­entshows.»

S: «Sehen Sie? So und jet­zt muss ich weit­er.»

K: «Aber, aber. Sie sind doch der Gewin­ner des Wet­tbe­werbs. Das Radio will mit Ihnen sog­ar ein Inter­view machen.»

S: «So was hat mir ger­ade noch gefehlt. Vom Radio inter­viewen lassen?»

K: «Na weil Sie ein gross­er Kün­stler sind.» «Ich? Ich bin kein Kün­stler. Ich kann ja nicht ein­mal sin­gen und malen schon gar nicht.»

K: «Ein Kün­stler muss das auch nicht kön­nen.»

S: «So? Was muss der denn kön­nen?»

K: «Wer ein­fach sich selb­st ist, ist der grösste Kün­stler.»

S: «So ’n Quatsch. Das ist keine Kun­st.»

K: «Doch, doch.»

S: «Ein schönes Bild ist Kun­st.»

K: «Nein, nein, Kun­st muss nicht in einem Kunst­werk sicht­bar sein. Kun­st kann auch kraft ihrer Gedanken beste­hen.»

S: «Ach? Und wie kön­nen Sie dann noch wis­sen, dass jemand Kun­st macht?»

K: «Weil jene darüber sprechen oder sich beson­ders ver­hal­ten.»

S: «Das machen ja auch alle.»

K: «Ja, aber manche machen das beson­ders orig­inell.»

S: «Orig­inell?»

K: «Oh ja, manche haben das gewisse Etwas, so wie Sie.»

S: «Wie wollen Sie das wis­sen?»

K: «Ich und die anderen hier haben bere­its viele Kün­stler und ihr Schaf­fen studiert. Jed­er in der Jury ist ein aus­gewiesen­er Kun­stken­ner. Wir wis­sen, was Kun­st ist. Und wir wis­sen, wer das wahre Zeug zu einem Kün­stler hat.»
S: «Sie irren sich. Ich kann nichts, was ein Kün­stler kön­nen müsste. Ich bin kein Kün­stler, und ich will auch gar kein­er sein.»

K: «Aber nein, Sie brauchen nicht zu kön­nen.»

S: «Ich weiss ja nicht viel, aber meine Mut­ter hat immer gesagt: Kun­st kommt von Kön­nen.»

K: «Diese Vorstel­lung ist längst über­holt. Kun­st hat nichts mehr mit Handw­erk zu tun.»

S: «Das ver­steh ich nicht»

K: «Kun­st entspringt der Orig­i­nal­ität ihres Geistes. Diese Orig­i­nal­ität macht Sie zum gros-sen Kün­stler.»

S: «Aber ich will doch gar nicht.»

K: «Schon viele grosse Kün­stler woll­ten nicht.»

S: «Unsinn, mich Kün­stler zu nen­nen. Das wis­sen Sie!»

K: «Nun, Sie bekom­men einen Preis.»

S: «Preis?»

K: «Sagte ich doch schon.»

S: «Was denn? Einen Lot­toschein oder vielle­icht ein neues Auto?»

K: «Etwas viel Besseres.»

S: « Ein Haus oder gar ’n Schloss?»

K: «Viel bess­er.»

S: «Nun sagen Sie schon.»

K: «Wenn Sie am Anfang gut zuge­hört hät­ten, wüssten Sie es.»

S: «Keine Ahnung mehr. Das Geschwafel über Kun­st hat mich ganz wirr gemacht. Was ist es? Meine Schicht begin­nt näm­lich gle­ich.»

K: «Was sind Sie denn von Beruf?»

S: «Knal­lo­r­ange Jacke und Hosen mit Leucht­streifen. Wohl nicht das Christkind.»

K: «Bauar­beit­er?»

S: «Nein, Mül­lab­fuhr.»

K: «Ach wie schön.»

S: «Wollen Sie mich ver­arschen?»

K: «Nein, nein. Ganz und gar nicht. Ich bin begeis­tert. Ich war schon immer der Mei­n­ung, dass Kün­stler über­all zu find­en sind.»

S: «Hören Sie, ist das so was wie die «Ver­steck­te Kam­era»? Dann nicht mit mir.»

K: «Wir haben keine ver­steck­te Kam­era, wir sind so echt wie Sie.»

S: «Also gut. Kriege ich jet­zt einen Preis oder nicht?»

K: «Natür­lich, da ste­ht er.»

S: «Wo?»

K: «Sehen Sie die Skulp­tur da? Ihr Preis.»

S: «Das Ding? Was soll ich damit?»

K: «Das ist ein Kunst­werk. Was soll­ten Sie schon damit tun? Auf­stellen natür­lich.»

S: «Auf­stellen? Das Ding will ich nicht. Und entsor­gen kostet ’ne ganze Stange Geld.»

K: «Aber nicht doch. Als wahrer Kün­stler erah­nen Sie doch, welchen Wert dieses Werk hat.»

S: «Wert? Was krieg ich denn, wenn ich es ver­sil­bere?»

K: «Aber ich bitte Sie, Sie sollen es nicht verkaufen, Sie sollen es auf­stellen.»

S: «Keinen Platz. Aber was krieg ich dafür?»

K: «Hören Sie, diese Skulp­tur hat am meis­ten Wert, wenn Sie sie behal­ten.»

S: «Ver­steh ich nicht. Ist das Ding nichts wert?»

K: «Nein, aber Kun­st muss man betra­cht­en, sich mit ihr auseinan­der set­zen, wenn man ihren Wert auss­chöpfen möchte»

S: «Hab’ sie schon angeschaut, das genügt.»

K: «Was meinen Sie damit?»

S: «Gefällt mir nicht. Ein Pirelli-Kalen­der wäre mir lieber, zum Anschauen meine ich.»

K: «Sie wollen doch wohl Kun­st nicht mit so was ver­gle­ichen.»

S: «Wieso nicht? Das Ding ist noch hässlich­er als meine Alte. Und die schaue ich schon lange nicht mehr an. Warum sollte ich wohl das Ding anschauen?»

K: «Der Anblick dieser Skulp­tur regt Sie in Ihrer Schöp­fungskraft an.»

S: «Schöp­fungskraft? Wozu Schöp­fungskraft? Arbeit­skraft reicht mir.»

K: «Schon, schon, aber sie kön­nten ja Kun­st machen.»

S: «Hab’s schon mal gesagt, kann mit Kun­st nichts anfan­gen. Und jet­zt soll ich das auch noch selb­st machen?»

K: «Kun­st ist für Sie und Ihr Umfeld eine Bere­icherung.»

S: «Ehrlich gesagt, sehe ich das nicht so. Für mich ist Kun­st bloss das Werk von irgendwelchen Typen, die son­st zu nichts tau­gen wür­den.»

K: «Sie haben eine sehr neg­a­tive Ein­stel­lung gegenüber der Kun­st. Das wäre ja ger­ade so, als wenn ich sagen würde: Müllmän­ner sind
dreck­ig.»

S: «Wis­sen Sie, wenn ich im Leben eine andere Chance gehabt hätte, würde ich diese Arbeit wahrschein­lich nicht machen. Aber wenig­stens mache ich mich dabei nüt­zlich.»

K: «Wie meinen Sie das?»

S: «Wie ich es sage. So wer­den die Men­schen ihren Müll los.»

K: «Bitte nehmen Sie Ihren Preis, und zeigen Sie wenig­stens für das Foto etwas Freude.»

S: «Hab ich nicht.»

K: «Kom­men Sie.»

S: «Nein. An einem Kas­ten Bier oder einem Satz neuer Reifen für das Auto hätte ich Freude. Das Ding hier, was nützt das? Es raubt mir höch­stens Platz in mein­er Woh­nung.»

K: «Kun­st wie diese Skulp­tur hat für Sie viele Vorteile.»

S: «So? Was für welche?»

K: «Das müsste doch sog­ar Ihnen ein­leucht­en: Kun­st schenkt den Men­schen neue Sichtweisen, ent­fal­tet Orig­i­nal­ität, reflek­tiert und provoziert die Gesellschaft und ist Aus­druck enormer Ent­fal­tungs­frei­heit.»

S: «Dann nützt Kun­st also denen, die mit dem, was das Leben ihnen bietet, nicht zufrieden sind.»

K: «Was?»

S: «Schauen Sie, ich hab’ ein Dach über dem Kopf, gutes Essen und Fre­unde. Ich bin eigentlich schon sehr zufrieden. Wozu brauche ich also noch Kun­st?»

K: «Nicht jed­er wäre mit dem, was mir Sie ger­ade aufgezählt haben, zufrieden.»

S: «Wenn für mich im Leben alles selb­stver­ständlich wäre, wäre ich wohl auch nicht zufrieden. Aber dann hil­ft auch Kun­st nicht weit­er, oder?»

K: «Das meinen Sie.»

S: «Von Kun­st ver­steh’ ich nichts. Aber eines weiss ich: In meinem Leben helfen mir zusam­menge­baute Schrot­teile nicht weit­er. Und es hil­ft auch nichts, wenn das jemand als Kun­st beze­ich­net.»

K: «Dann ver­ste­hen Sie also nicht, was der Kün­stler mit dieser Skulp­tur hier sagen möchte?»

S: «Nein. Und wenn ich etwas sehe, was ich nicht ver­ste­he, dann hil­ft es mir nichts.»

K: «Tut mir leid, das zu hören.»

S: «Muss nicht, ich füh­le mich pudel­wohl, auch wenn ich das Ding nicht ver­ste­he. Schlim­mer wäre es, wenn ich den Müll auf der Strasse ste­hen lassen würde.»

K: «Sie wollen doch nicht etwa Kun­st mit Müll ver­gle­ichen?»

S: «Sie sagen doch selb­st, ich sei ein Kün­stler.»

K: «Ja.»

S: «Und ich bin Müll­mann. Also kön­nte ich doch einen Berg Müll­säcke auf die Strasse stellen und sagen, das sei Kun­st, oder?»

K: «Ja, schon. Wenn das Ihr Aus­drucksmit­tel sein soll, warum nicht?»

S: «Sehen Sie, und genau da ver­ste­he ich das Ganze nicht mehr. Für mich als Müll­mann ist das Müll. Da hil­ft es nicht, dass ich es Kun­st nenne. Dafür zeigt es wieder, wie nut­z­los Kun­st ist.»

K: «Der Müll für sich genom­men mag nut­z­los sein. Aber vielle­icht wollen Sie ja mit dem Müll­berg ein Zeichen set­zen. Als Kün­stler machen Sie mit allem, was Sie tun, eine Aus­sage.»

S: «Dafür muss ich mich doch nicht Kün­stler nen­nen.»

K: «Aber von Kün­stlern erwartet man das.»

S: «Wäre ja noch schön­er: Alle wer­fen ihren Müll auf die Strasse und zahlen ihre Gebühren nicht, weil sie sagen, das sei Kun­st.»

K: «Grund­sät­zlich kann auch jed­er ein Kün­stler sein. Wichtig ist nur, dass er das, was er selb­st und andere tun, hin­ter­fragt.»

S: «Kün­stler soll­ten sich lieber über­legen, wie das, was sie tun, ankommt.»

K: «Ein Kün­stler han­delt nicht in erster Lin­ie, um dafür Lob und Ver­ständ­nis zu ern­ten, son­dern weil er Kun­st machen will.»

S: «Wis­sen Sie, das macht für mich keinen Sinn. Let­ztes Jahr sagte man uns, die Arbeit, die wir vorher zu dritt gemacht haben, sollen wir von nun an zu zweit machen. Der Effizienz und der Kosten wegen, Sie ver­ste­hen?»

K: «Ja und?»

S: «Wenn wir den Müll nicht wegräu­men wür­den, würde die Stadt bald in ihrem Müll ertrinken.»

K: «Warum sagen Sie mir das?»

S: «Sie wis­sen, warum ich den Müll wegräume. Aber auch wenn ich mich anstrenge, Sie zu ver­ste­hen: Ich sehe nicht, was Kun­st wirk­lich nützen soll. »

K: «Sehen Sie, dann hat die Kun­st bere­its ihre Auf­gabe erfüllt. Sie wur­den schon zum Nach­denken angeregt.»

S: «Dazu braucht es keine Kun­st, ein schön­er Abend­him­mel bringt mich auch schon ins Träu­men.»

K: «Sie ver­ste­hen wirk­lich nicht, warum es Kun­st braucht.»

S: «Ja, wenn ein Kün­stler mir etwas sagen will, warum kommt mir dann kein Gedanke, wenn ich vor diesem Dings­da, dieser Skulp­tur ste­he.»

K: «Vielle­icht stren­gen Sie sich ein­fach zu wenig an.»

S: «Warum bringt dieser Kün­stler es denn nicht so, dass ich es ver­ste­he? Ich mache meine Arbeit ja auch so, dass sie jed­er ver­ste­ht.»

K: «Ein Kün­stler darf sich nicht an sein Pu-blikum verkaufen, son­st ist er nicht mehr in der Lage, Kun­st zu machen.»

S: «Dann geht es dem Kün­stler nur um sich selb­st.»

K: «Nein, aber er muss sich seinen Freiraum behal­ten.»

S: «Wenn ich als Müll­mann mir soviel Freiraum nehmen würde wie ein Kün­stler, wäre ich schon längst meinen Job los.»

K: «Nur weil jemand anders ist, heisst das noch lange nicht, dass er keinen pos­i­tiv­en Beitrag zur Gesellschaft leis­ten kann.»

S: «Richtig, nur kann ich das nicht beurteilen, weil ich es nicht ver­ste­hen kann. Mir kommt Kun­st immer noch nut­z­los vor.»

K: «Sie sehen das alles zu neg­a­tiv. Kün­stler sind keine Schar­la­tane, son­dern Men­schen, die durch Ihr Han­deln Räume bevölk­ern, die son­st leer bleiben wür­den. Aber Sie denken ja immer nur an den Nutzen. Kun­st kann doch nicht den Men­schen oder seine Umwelt bess­er machen oder ihn gar dazu anre­gen, etwas dafür zu tun. Solchen Heilsver­sprechun­gen wür­den Sie doch selb­st nicht glauben.»

S: «Warum nicht?»

K: «Lächer­lich. Sie ver­ste­hen wirk­lich nichts von Kun­st. Son­st kämen Sie nicht auf so dumme Gedanken.»

S: «Sag ich doch.»

K: «Wie? Ja, eine Frau, die mit ihren vier Hun­den bei Son­nen­schein mit offen­em Regen­schirm spaziert und dabei auch noch laut singt. Toll! Das muss eine Kün­st­lerin sein. Nehmen wir die? Bitte entschuldigen Sie. Und nichts für ungut.»

ensuite, Feb­ru­ar 2010