Von Patrik Etschmayer - Nach der kürzlichen Meldung, dass es ein nationales Online-Register für Organspender gibt, schaute ich in meiner Brieftasche nach und stellte fest, dass mein Spenderausweis tatsächlich irgendwo untergegangen ist. Hoppla. Nix da.
Im Falle eines fatalen Unfalles würde ich also irgendwo eingetütet und verscharrt, obwohl ich noch ziemlich gesund bin und meine Organe sicher jemandem Freude und einige Lebensjahre bringen könnten.
Von dem her ist das nationale Organspenderegister nicht nur eine gute, sondern eine lebensrettende Idee, stellt sie doch sicher, dass wertvolle Organe von gestorbenen Spendern an Empfänger gehen und diesen Leben und Lebensqualität geben können.
Der sofortige Eintrag in das neue Register war daher ein No-Brainer. Natürlich ist es dabei nicht explizit Absicht, so schnell wie möglich jemanden mit der Leber oder Niere zu beglücken und nein, Organspende läuft nicht ab wie in der berühmten Szene aus Monty Pythons ‘Sinn des Lebens’. Zumindest nicht bei uns.
Von dem her erfolgte der Eintrag ganz entspannt.
Denn, ehrlich gesagt, sobald man nicht mehr ist, kümmert es einen auch nicht mehr. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit wird man ja ohnehin nicht Organspender, denn die Hoffnung ist ja, dass man selbst nicht mehr als solcher brauchbar ist, wenn man denn irgendwann über den Jordan geht.
Und doch macht man sich als potentieller Spender gewisse Gedanken. Was, wenn ein Vollidiot die Leber bekäme? Oder ein Nazi den Darm? Und, wenn man über den Gartenzaun rausschaut: Was, wenn ein abgrundtiefer Rassist post mortem einem afrikanischen Immigranten mit seiner Niere das Leben rettete? Und mit seinem Herzen das eines Juden?
Nun, werden manche sagen, dass dies denn doch sehr unwahrscheinlich sei, denn Organe müssen ja einigermassen zwischen Spender und Empfänger kompatibel sein. Doch genau hier zeigt es sich, dass Rassismus vor allem eines ist: Schwachsinn. Hautfarbe und ethnische Herkunft spielen bei Organspenden praktisch keine Roll im Gegensatz zu anderen, unsichtbaren biologischen Merkmalen.
Also können die Organe an jeden oder jede gehen, deren Immunsystem halbwegs kompatibel mit jenem des oder der Spenderin ist.
Nicht, dass Rassismus an gewissen Orten — auch in der zivilisierten Welt — bei der Organspende keine Rolle spielte. Aber dies auf eine völlig andere Arte und Weise, als dies einem allenfalls einfällt. Dies realisierte die (afroamerikanische) Ärztin Vanessa Grubbs, die herausfinden wollte, warum ihr Freund so grosse Schwierigkeiten gehabt hatte, eine Spenderniere zu bekommen (Afroamerikaner und Weisse machen in den USA jeweils 33% der Warteliste für Nieren aus, doch Weisse bekommen 50% der gespendeten Nieren, Afroamerikaner nur 20%!). Zu schlechter Letzt musste sie selbst eine ihrer Nieren spenden, um sein Leben zu retten. Bei der Recherche für ein Buch über diesen Leidensweg und dessen Ursachen wurde sie fündig. Einer anderen Autorin, die auch das Problem, das Afroamerikaner nur schwer Organspenden bekommen, erforschte, sagte ein Nierenarzt nämlich klipp und klar: «Mädchen, Schwarze Menschen bekommen keine Organe; sie geben Organe!»
Das zitierte Buch («Medical Apartheid: The Dark History of Medical Experimentation on Black Americans from Colonial Times to the Present» von Harriet A. Washington) zeigt auch auf, wie durchdrungen die US-Medizin von Rassisten wie dem französischen Transplantationspionier, Eugeniker, Hitler-Fan und Nobelpreisträger Alexis Carrel war und immer noch ist.
So demonstrieren diese Bücher und auch die Verteilung von Forschungsgeldern für Erbkrankheiten (http://www.news.ch/Weiss+sein+ist+gesund+und+Mann+sein+auch/671713/detail.htm), wie rassistisch Medizin sein kann, wenn den Akteuren das Pseudomerkmal Rasse wichtiger als Humanität ist. In dem Moment, wo Identität in ein solches Gebiet eindringt, kann sich das Gute und Edle im Handumdrehen in das Hässliche und Grausame verwandeln.
Und genau deshalb ist es in Ordnung, wenn Organspende von Verstorbenen wie bei uns ohne angehängte Bedingungen und anonym ablaufen soll (obwohl es ja — zum Beispiel bei Lebendspenden unter Geschwistern und Angehörigen — auch Ausnahmen gibt). Die Organe, die man als Toter oder Tote ja nicht mehr braucht sollten darum als Geschenk an die Menschheit betrachtet werden. Ebenso wichtig ist es, dass Organspenden freiwillig und ohne kommerzielle Absichten getätigt werden.
Deshalb spielt es auch keine Rolle, wer das Organ empfängt. Denn es ist klar: Es wird ein Mensch sein, dessen weiteres Leben von einer Spende abhängt. Es dürfte ein Mensch sein, der dankbar für die zusätzliche Lebenszeit ist und dessen Angehörige deshalb auch mehr Glück und Freude und weniger vorzeitige Trauer und Verlust erleiden wird. Dieses Geschenk eines Unbekannten sollte den betroffenen Menschen — egal wie er vorher darüber dachte — daran erinnern, dass Solidarität und Menschenliebe nichts mit dem Wer und Wie zu tun hat.
Wer sich als potentiellen Spender registrieren lassen will, sollte sich also nicht durch kleinliche Gedanken davon abhalten lassen. Denn es besteht im Mindesten die Chance, dass man einem oder sogar mehreren Menschen damit das Leben retten kann und vielleicht einem solchen nicht nur etwas mehr Leben schenkt, sondern auch das Wissen, dass Solidarität nicht konditional sein sollte.