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Verdingkind, Aussenseiter, Kämpfer, Autodidakt…

Von Bar­bara Neugel — Leben und Wirken des Schrift­stellers Carl Albert Loosli:

«Wenn ich an ihn denke, denke ich auch an Pestalozzi, Dunant, Got­thelf. Looslis ein­flussre­iche Wider­sach­er sind längst vergessen. Sein schöpferisch­er Unruhegeist wirkt weit­er – und ist ger­ade heute notwendi­ger denn je.»
(Alfred Häsler, Pub­lizist, 1997)

Momen­tan wird in der Schweiz die Zeit der Verd­ingkinder her­vorge­holt und – hof­fentlich – aufgear­beit­et. Im Käfig­turm in Bern ist dazu eine Ausstel­lung ein­gerichtet wor­den, in der auf einen Verd­ing­buben hingewiesen wird, der trotz schlechter Startbe­din­gun­gen «Kar­riere gemacht hat», wie man heute sagen würde. Carl Albert Loosli. Geboren wurde er 1877 in Schüpfen. Als une­he­lich­es Kind kam er zu ein­er Pflege­mut­ter. 1889 kurz vor ihrem Tod hat diese ihn im Erziehung­sheim Grand­champ bei Neuchâ­tel unterge­bracht. Später, nach diversen Lehrab­brüchen, fol­gten zwei Aufen­thalte in der Zwangserziehungsanstalt Tra­ch­sel­wald und in den Jahren 1898 und 1899 ver­schiedene Aufen­thalte in Paris. Das war zur Zeit der «Affaire Drey­fuss», die ihn nach­haltig prä­gen sollte. Nach sein­er Rück­kehr in die Schweiz begann Loosli als Gerichts­berichter­stat­ter für die «Weltchronik» zu schreiben. Dies war der Grund­stein für seine pub­lizis­tis­che Tätigkeit, die sich durch sein ganzes Leben hin­durch ziehen sollte. Was sich dabei änderte, waren die Art der Pub­lika­tio­nen und deren The­men und Inhalte. Er schrieb später für die «Tag­wacht», «Bern­er Bote», für «Schweiz­er-Kun­st», er ver­fasste Pub­lika­tio­nen zu The­men aus Kun­st, Kul­tur und Kul­turschaf­fen in der Schweiz, er schrieb Prosa, Gedichte, auch Satire und diverse Stre­itschriften – am bekan­ntesten von seinen Werken ist wohl heute noch der Gedicht­band «Mys Ämmitaw». Dazu kam in der Zeit von 1921 bis 1924 eine vier­bändi­ge Biografie über seinen Fre­und, den Kün­stler Fer­di­nand Hodler.

1924 erst veröf­fentlichte er mit «Anstalt­sleben» seine «Betra­ch­tun­gen und Gedanken eines ehe­ma­li­gen Anstalt­szöglings». Offen­sichtlich trug ihm diese Veröf­fentlichung Kri­tik ein, denn im fol­gen­den Jahr sah er sich ver­an­lasst, zu schreiben: «Ich schweige nicht! Erwiderung an Fre­unde und Geg­n­er auf ihre Äusserun­gen zu ‹Anstalt­sleben›». Zeit seines Lebens set­zte sich Loosli als Lob­by­ist für die Jugend ein. Zeit seines Lebens kämpfte er gegen Ungerechtigkeit und Aus­gren­zung und forderte die Abschaf­fung der Erziehungsanstal­ten und ein besseres Jugend­strafrecht. Seinem radikalen Denken und entschlosse­nen Han­deln war es zu ver­danken, dass er auch etwas erre­ichte.

Aber nicht nur die Jugend war Loosli, als sel­ber Betrof­fen­em, ein Anliegen. Eben­so vehe­ment set­zte der sich gegen die Juden­feindlichkeit in der Schweiz in den Jahren 1927 bis 1930 mit zwei Stre­itschriften zur Wehr. Und auch mit diesem Engage­ment schaffte er sich nicht nur Fre­unde. Im Gegen­teil. Auch von intellek­tueller Seite kam keine Unter­stützung. Doch Loosli blieb dabei, ihm ging es um die Frei­heit des Men­schen, um Demokratie und Men­schlichkeit. Denn, so seine Befürch­tung, würde sich der Anti­semitismus durch­set­zen, wären alle Min­der­heit­en in Gefahr. Und zu ein­er Min­der­heit gehörte er sel­ber. Er war als Verd­ing­bub ein Aus­ge­gren­zter, als Pub­lizist ein Auto­di­dakt, mit seinem Kampf und seinen Ansicht­en ein Unbe­que­mer, ein Aussen­seit­er, jen­seits des Main­stream.

Doch nicht nur Jugend und Juden waren seine The­men. Wichtig­ste Anliegen waren für Carl Albert Loosli am Anfang des 20. Jahrhun­derts die Erneuerung der Schweiz­er Kul­tur und mehr Anerken­nung für die Kun­stschaf­fend­en. Er set­zte sich ein, wo er Missstände und Ungerechtigkeit­en ortete und griff damit auch in die Kul­tur­poli­tik ein. Er kämpfte für die Rechte sein­er Kün­stler­fre­unde – unter ihnen die Maler Fer­di­nand Hodler, Max Buri, Emil Car­dinaux, Rodo von Niedern­häusern, Albert Tra­ch­sel. Als Zen­tralsekretär der Gesellschaft Schweiz­erisch­er Maler, Bild­hauer und Architek­ten GSMBA ver­trat er ihre Inter­essen auf Bun­de­sebene. Und als Mit­be­grün­der und bis 1930 Präsi­dent des Schweiz­erischen Schrift­steller-Vere­ins SSV beschäftigte ihn die Frage, wie sich die ewige materielle Not der Kul­turschaf­fend­en verbessern liesse. Seine Antwort: Durch die Stärkung der Kul­tur­or­gan­i­sa­tio­nen. Ein The­ma, das bis heute nichts an Aktu­al­ität ver­loren hat.

«Ich brauche nichts umzulü­gen, nichts zu ver­ber­gen – ich darf alles, die volle Wahrheit sagen, weil ich nichts zu ver­lieren, fol­glich auch nichts zu fürcht­en habe.»
(Carl Albert Loosli)

Loosli ver­stand sich als poli­tis­ch­er Autor und als Beruf­ss­chrift­steller. Die meis­ten anderen Schrift­steller sein­er Zeit gin­gen einem Broter­werb nach und schrieben neben­her. Obwohl Loosli für dama­lige Ver­hält­nisse mit fortschrit­tlichen Mit­teln arbeit­ete – er benützte schon früh eine mod­erne Schreib­mas­chine und fremde Recherche­di­en­ste –, hat­te er mit finanziellen Nöten zu kämpfen. Ohne seine Frau Ida, die er 1903 geheiratet und mit der er fünf Kinder hat­te, wäre er kaum über die Run­den gekom­men. Sie war es, die einen Gemüse- und Beeren­garten zur Selb­stver­sorgung pflegte. Und weil die Fam­i­lie Loosli immer offen für die Nöte ander­er war, erhielt sie in ihrem Wohnort Büm­pliz auch immer Unter­stützung. Carl Albert Loosli verkehrte in den Wirtschaften von Büm­pliz, der Apothek­er half ihm, Gemälde sein­er Kün­stler-Fre­unde zu verkaufen. Er war im Dorf ver­ankert und zugle­ich weltof­fen und mit den grossen Fra­gen sein­er Zeit beschäftigt. Als Mul­ti­tal­ent, als äusserst viel­seit­ig begabter und engagiert­er Mann, als Intellek­tueller, der er auch war, ist er schw­er fass­bar. Heute, fün­fzig Jahre nach Carl Albert Looslis Tod, liegt die 7‑bändige Aus­gabe sein­er Werke voll­ständig vor (Hrsg. Fre­di Lerch und Erwin Mar­ti, Carl Albert Loosli Werkaus­gabe in 7 Bän­den, Rot­punk­tver­lag). Einen anderen Zugang zu Loosli eröffnet die 3‑bändige Biograg­fie von Erwin Mar­ti. Und last but not least: Die Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft hat in Zusam­me­nar­beit mit dem Schweiz­erischen Lit­er­at­u­rar­chiv der Schweiz­erischen Nation­al­bib­lio­thek eine Ausstel­lung real­isiert (Real­i­sa­tion: palama3), die noch bis zum 30. August 2009 geöffnet ist und von zahlre­ichen Rah­men­ver­anstal­tun­gen begleit­et wird: «Ich schweige nicht! Carl Albert Loosli 1877 – 1959, Schrift­steller.» Diese Ausstel­lung gibt einen Überblick über Leben und Werk von Carl Albert Loosli und über die Zeit, in der er gelebt hat.

«Loosli ist aktuell… Weil er nicht schweigt. Weil Zivil­courage gefragt ist. Weil er sich dif­feren­ziert mit rechtlichen Fra­gen auseinan­der­set­zt. Weil er mit seinen Mit­men­schen stets respek­tvollen Umgang pflegt, unab­hängig von Geschlecht, sozialer Klasse, Glauben­sich­tung oder Eth­nie. Weil seine spitze Fed­er und seine scharf­sin­nige Kri­tik uns nicht kalt lassen.» (Natalia Schmu­ki, Für­sprecherin und Notarin, 2009)

www.carl-albert-loosli.ch
www.palma3.ch

 

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2009

Artikel online veröffentlicht: 23. August 2018