Von Kaspar Zehnder — Eigentlich sollte es ein Festival über die vier Elemente werden. Händels Feuerwerks- und Wassermusiken hätten bereits deren zwei abgedeckt, bei Luft und Erde wurde es dann etwas schwieriger: Luciano Berio hat zwar zu allen Elementen ein Klavierstück geschrieben, und auch in der Fundgrube von Familie J.&J. Strauss findet sich das eine oder andere Stück, z.B. der Walzer «Sphärenklänge», oder die «Bauern-Polka», welche als Erd-Stück gerade noch durchgehen mag, aber dann ist schon bald fertig.
Themen haben es in sich: sie wurden vor noch nicht allzu langer Zeit eingeführt, um den Festivalprogrammen landauf landab mehr Stringenz und kommunikative Kraft zu geben; innert kurzer Zeit kamen thematische Programme in den Trend, und zuletzt «werde ich die Geister, die ich rief, nicht mehr los». Ein Thema, zu eng gefasst, bündelt zwar die Ideen, beschränkt aber auch die Phantasie. Deshalb erforschen die Murten Classics zu ihrem 25. Jubiläum nun nicht nur die Vier Elemente, sondern auch ganz allgemein die Zahl Vier. 4x4 gibt zwar nicht 25, aber 25 Jahre sind ein Vierteljahrhundert.
Und die Synthese von Vier und Vielfalt ergibt das diesjährige Thema «Vierfalt». Wobei ein vollkommenes Programm über die Zahl Vier ein Widerspruch in sich ist, denn die Vier bedeutet im Gegensatz zur göttlichen Drei die menschliche Unvollkommenheit. Nobody is perfect!
Weil Georg Friedrich Händel keine Luft- und keine Erdenmusik geschrieben hat, haben wir der Schweizer Künstlerin Sophie Chaillot den Auftrag gegeben, eine interdisziplinäre Kreation zu allen vier Elementen zu schaffen. Der Kreis der Elemente, an dem neben Sophie Chaillot (Cello) auch die Flötistin Sarah Rumer und der Schauspieler Pierric Thentorey mitwirken, und der Jongleur Cyrille Humen wird aus der Luft seinen akrobatischen Kommentar abgeben(31.08. / 17 Uhr, Eingangshalle der Orientierungsschule Prehl). Im Anschluss daran findet im Schlosshof Murten eine halbszenische Aufführung von Così fan tutte statt. Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte diskutieren darin kreuz und quer die Beziehungen zweier jungen Paare. Ein flotter Vierer, der zum Albtraum wird. Ganz sicher nicht traumatisch dagegen die Aufführung selbst in der hochkarätigen Sängerbesetzung mit Brigitte Hool (Fiordiligi), Nathalie Mittelbach (Dorabella), Christian Baumgärtel (Ferrando), Marco di Sapia (Guglielmo), Michaela Unsinn (Despina), Huub Claessens (Don Alfonso), begleitet vom Orchester der Opéra de Rouen (F) und unter der Leitung von Dieter Kaegi (Regie) und Kaspar Zehnder (31.08./01.09. / 19.30 Uhr, Schlosshof Murten).
Nicht übers Kreuz, sondern ums Kreuz geht es im Vokalmusik-Konzert mit Elodie Kimmel (Sopran), Maria Riccarda Wesseling (Mezzosopran), Jörg Ulrich Busch (Orgel) und der Cappella Istropolitana unter der Leitung von Kaspar Zehnder, mit Werken von Johann Sebastian Bach, Arcangelo Corelli und Pergolesis Stabat Mater (25.08. / 17 Uhr, Deutsche Kirche). Im liturgischen Stabat-Mater-Text beweint Maria den toten Christus am Kreuz.
Im Mittelalter entwickelte sich die Musik von der Einstimmigkeit zur Mehrstimmigkeit, wobei erst ein vierstimmiger Satz dem abendländischen Tonsystem und der klassischen Harmonielehre gerecht wird. Daraus ergibt sich die Fülle an vierstimmigen Gesängen, Chorälen und Fugen im Barock; später, in der Klassik, entsteht daraus das Streichquartett als Grundlage aller Instrumental- bzw. absoluten Musik. Murten Classics lädt in vier Konzerten von vier Schweizer Streichquartetten (Carmina Quartett, 18.08. / 11 Uhr, Casal Quartett, 20.08. / 20 Uhr, Gringolts Quartett, 01.09. / 11 Uhr, Quartuor sine nomine, 01.09. / 17 Uhr) zu einem ausführlichen Spaziergang durch die Streichquartettliteratur aus vier Jahrhunderten.
In einem Konzert des Solisten Piotr Pławner (Violine) und der Cappella Istropolitana werden die Vier Jahreszeiten von Vivaldi den Cuatro estaciones porteñas von Astor Piazzolla gegenübergestellt, wobei zu bedenken ist, dass Buenos Aires dann Frühling hat, wenn bei uns Herbst ist. (21.08. / 20 Uhr, Schlosshof Murten).
Im Rahmen von «offen für Neues» spielt ein internationales Ensemble mit dem Klarinettisten Horia Dunitrache und dem Trio Strad das Quatuor pour la fin du temps. Olivier Messiaen hat es während des Zweiten Weltkrieges im Konzentrationslager komponiert. Es ist bis heute eines der schönsten Beispiele spiritueller Musik geblieben. (17.08. / 17 Uhr, Kultur im Beaulieu KiB). Eine Woche später geht es um die vier Farben des Kartenspiels. Der Bieler Komponist Christophe Schiess hat für den Anlass ein neues Stück komponiert, in dem das Klavier (Charlotte Dentan) als König, das Harmonium (Marc Fitze) als Ass, das Cello (Matthias Schranz) als Bube und die Geige (Meret Lüthi) als Dame fungieren. Stücke von Sibelius, Saint-Saëns, Karg-Elert und Ravel ergänzen die Uraufführung. Der Künstlerische Leiter Kaspar Zehnder, der im letzten Stück als Flötist mitwirkt, hat die Rolle des Jokers inne. Parallel zur Musik findet im Publikum ein live auf die Bühne übertragenes Jass-Spiel statt (24.08., 17 Uhr, Kultur im Beaulieu KiB).
Im Rahmen der Sommernachtskonzerte im Park des Hotel Vieux Manoir wird vierhändig Klavier gespielt (Duo Ardasev, 28.08.), ist das Ensemble Paul Klee als Duo, Trio und Quartett zu hören (21.08.), singt Ines Schaffer einen Liederabend in vier Schweizer Landessprachen (20. 08.), und geht die Pianistin Tamar Beraia auf die Spuren der vier Elemente (27.08.).
Auch die Sinfoniekonzerte im Schlosshof Murten beziehen sich konsequent auf die Vier. So wird von vier Komponisten die Vierte aufgeführt, und Schumanns Konzertstück für Vier Hörner wird ergänzt durch Mozarts Notturno für Vier Orchester (Thomas Zehetmair, English Chamber Orchestra, 16.08., Schlosshof Murten). Carl Nielsens wunderbare zweite Sinfonie Die vier Temperamente steht dem 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms gegenüber, einem der wenigen Instrumentalkonzerte mit vier statt drei Sätzen (Anastasia Volchock, Brünner Philharmoniker, 29.08. / 20 Uhr, Schlosshof Murten).
Info: www.murtenclassics.ch
Foto: zVg.
ensuite, August 2013