Von Sonja Wenger — Diese Biene Vigia hat ein saumässiges Grinsen, das muss schon mal gesagt sein: herausfordernd, selbstbewusst, frech. Ein bisschen wie der unvergleichliche Kater Garfield, nur viel besser. Vigia darf das allerdings auch, ist sie doch kein faules Haustier, sondern ein fleissiges Nutztier, und dazu noch eines, dem in den letzten Jahren aussergewöhnlich viel Medienaufmerksamkeit geschenkt wurde. Dokumentarfilme wie «More than Honey» waren ihr gewidmet, und kaum ein Frühling vergeht, ohne dass neue Informationen zum weltweiten Bienensterben die Menschheit aufrütteln. Das lässt sie denn auch eins ums andere Mal Albert Einstein zitieren, der einst gesagt haben soll: «Wenn die Biene von der Erde verschwindet, dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr.»
So. Zack! Das ist schon ein Zitat, das es in sich hat, genauso wie «Vigia». Doch ich greife vor. Der Kurzfilm «Vigia» des 29-jährigen Tessiner Trickfilmers Marcel Barelli befindet sich seit letztem Sommer weltweit auf einer Erfolgstournee: Nicht nur erhielt er am Festival von Locarno einen Kurzfilmpreis, sondern auch diverse Spezielle Erwähnungen in Locarno, Genf oder am Festival International du Film d’Environnement in Paris. Im Januar verlieh man ihm an den Solothurner Filmtagen unter frenetischem Applaus den 1. Preis des Publikumswettbewerbs SSA/Suissimage; dabei wurde der Film gleich noch für den Swiss Film Award 2014 in der Kategorie Animationsfilm nominiert, und er wird unter anderem auch am diesjährigen renommierten Kurzfilmfestival in Clermont Ferrand gezeigt werden. Dies, wohlgemerkt, alles innerhalb weniger Monate – und zu recht.
Worum also geht es in «Vigia»? Der Film beginnt damit, dass Barellis Grossvater ihm die Geschichte einer kleinen, schlauen Biene erzählt – und es ist nicht die Biene Maja. Es ist, soviel haben die geneigten Leser und Leserinnen bereits erraten, die Biene Vigia, eine etwas überarbeitet wirkende Honigbiene irgendwo im Süden der Schweiz oder im Norden Italiens. Als eines Tages ein Wurm, der auf dem gleichen Apfel wie Vigia sitzt und herzhaft in das Fruchtfleisch beisst, kurz danach das Zeitliche segnet, vergeht der Biene das Grinsen. Ihr fällt auf, dass in letzter Zeit so manche Kollegin mutierte oder im Wabengrab verscharrt werden musste. Da sie offenbar schlauer ist als der Rest, beschliesst sie, in höhere Gefilde auszuwandern. Und tatsächlich findet sie in den Bergen, den Alpen eine scheinbar unberührte Natur mit üppigen Blumenwiesen, frei von Pestiziden und Verschmutzung. Da es dem Schwarmtierchen alleine auf Dauer aber zu langweilig wird, beschliesst sie, ihre Kolleginnen zu informieren – mit fatalen Folgen.
So weit so gut. Die Geschichte funktioniert. Doch es wäre kein wirklich guter Animatonsfilm, wenn es dabei nicht auch jede Menge verqueren Humors, bösartiger Seitenhiebe, politischer Aussagen und vor allem fetziger Musik geben würde. «Vigia» erfüllt so Unverhofftes, Unerwartetes aufs Vollendete, und setzt noch einen drauf: Mit seiner brillanten Vereinfachung des Strichs und einer beinahe naiv wirkenden Erzählweise, streut Barelli einem erst Blütenstaub in die Augen und schmiert einem dann Honig um den Mund. «Vigia» ist durch und durch ein ausgeklügeltes, durchdachtes und hochbrisantes Werk mit umwerfendem Charme, dass man sich immer wieder ansehen kann. Nach vierzig Jahren kann Biene Maja endlich einpacken, und mit ihr auch gleich Karel Gott mit seinem unsäglichen, gleichnamigen Ohrwurm. Vigia rockt einfach besser.
«Vigia», Schweiz/Frankreich 2013. Regie: Marcel barelli. Länge: 8 Minuten. Mehr Informationen und Videoclips zum Film unter: marcelbarelli.blogspot.com.br
Foto: zVg.
ensuite, März 2014