Von Roja Nikzad — Der Autor, Regisseur, Produzent und Schauspieler Peter Denlo zeigte dem Zuschauer in gemütlicher Runde im Maier’s am Albisriederplatz in Zürich, wie man Crossdressing mit mehrfach schizoiden Zügen ad absurdum führen kann. Ein einzelner Mann, Peter Denlo, verkörpert im Stück «völlig ausgebucht» von Becky Mode ganze 40 verschiedene Charaktere – Männer, Frauen, junge, alte, coole und uncoole, Promis und Normalos, Angestellte, Chefs, Russen, Franzosen, Deutsche, und eine ganze Familie. Aufwendige Comedy also, die viel Talent erfordert und grosse Wandelbarkeit voraussetzt.
Der Plot ist simpel: Sämi ist Schauspieler. Und wie das so ist mit Schauspielern, sind sie oft arbeitslos, während der grosse Durchbruch auf sich warten lässt. Deshalb jobben sie in der Gastro. So auch Sämi. Zwar hofft er nach jedem Casting auf die grosse Karriere, ist jedoch in Realität der Unterhund, der im Kellerraum eines angesagten Szene-Lokals telefonisch die Reservierungen von Gästen entgegennimmt, sich vom narzisstischen Chef tyrannisieren lässt, beim Personalessen vergessen wird, und den Dreck in der Damentoilette aufwischt.
Und dann ist auch noch Andreas, der wirkliche Reservierungsverantwortliche, aufgehalten worden, so dass Sämi nun die fordernden VIP Gäste und die anderen skurrilen Anrufer in Schach halten muss. Auch einige private Anrufer bringen Sämi an den Rand der Verzweif-lung. Zusätzlich gibt es im Keller auch eine Gegensprechanlage, die die anderen Mitarbeiter aus dem Lokal, dem Büro und aus der Küche mit Sämi verlinkt, und Raum für absurde Bitten, Klagen und Wünsche bietet. Es ist der ganz normale tägliche Wahnsinn in einem trendigen Restaurant, den der Zuschauer mit Sämi miterleben darf.
Auf der Bühne anwesend ist Sämi: Er sitzt an einem Pult mit Telefon. Es klingelt alle paar Sekunden, der jeweilige externe Anrufer wird auf einer Leinwand eingeblendet. Die Anrufe von Lokalmitarbeitern werden auf einem anderen Bildschirm eingespielt. Es entsteht ein organisches, fast realistisches Kommunikations-chaos, das den Zuschauer die Stresssituation von Sämi nachvollziehen lässt. Die ständigen Forderungen, die an Sämi gestellt werden, lassen den Zuschauer dankbar sein, nicht in seinen Schuhen zu stecken.
So soll Janet Jacksons Reservation für die Party of 5 nun auf lediglich 4 Personen umgebucht werden, da der liebe Bruder ja kürzlich verstorben ist. Karl Lagerfeld lässt seinen schwulen Assistenten Vasti einen Tisch für 15 Personen reservieren, mit der ausdrücklichen Bitte, eine nicht nur «östrogenfreie» Umgebung (Lagerfeld duldet keine weibliche Kellnerin) herzurichten, sondern ein «omniveganes» Essen zu planen – dies heisst so viel wie ein Essen ohne Fleisch, Milchprodukte, Gemüse und Soja, Salz und Zucker. Oder da ist die in der Badewanne liegende Frau Phfeiffer, die auf das akzentu-ierte H in ihrem Namen besteht, sowie Carole Haas-Meyer-Rotz, die Sämi mit ihrem Basler-dialekt und «einer Schnauze wie ein sabbernder Boxerhund» terrorisiert.
Hinzu kommt Margrit Kreienbühl, Bäuerin aus Süderen im Emmental, die für den Hoch-zeitstag mit ihrem Mann einen Tisch reservieren will, auf Grund eines Spots auf «Tele Ämmital». Genauso herzzerreissend komisch wie die Gäste sind auch die Privatanrufer, die Sämi bei der Arbeit aufhalten. So will sich Sämis italienischer Gemüsehändler-Papa nicht davon abbringen lassen, seinen Sohn an Weihnachten zu sehen. Oder Nick, Sämis selbstverliebter Schauspieler-«Freund», der ihm brühwarm seine «Erfolge» unter die Nase reibt, aber total froh ist über die «offene und professionelle» Übereinkunft zwischen ihnen. Dazu passend auch Sämis amerikanischer Castingagent Inka, der mit rotem Netzshirt mit Lederriemen eher teuflisch als himmlisch anmutet.
Nicht minder vielseitig sind auch die Restaurantangestellten: Steffi, die deutsche Kellnerin, deren nette aber durchaus offenkundige Dümmlichkeit der Effizienz nicht gerade förderlich ist; oder Jean-Claude, der französische Oberkel-lner, der sich mit pointierter Bösartigkeit nicht scheut, Sämi für ein kleines Ständchen vor Gästen, die der russischen Mafia angehören, zu bestechen.
Es ist ein schnelles telefonisches Kommen und Gehen, welches Sämi in Schach hält und ihm auch mal den Schweiss auf die Stirn treibt. Je nach Anruf wird bald klar, dass das Stück doch einen roten Faden hat und auch eine klei-ne Subgeschichte beinhaltet. Die Anrufe verweben Sämis Berufs- mit dem Privatleben, den beruflichen Frust mit Privatfrust. Doch bald lernt Sämi die Tricks des sozial-darwinistischen Umgangs von Fressen oder Gefressen werden, und schustert sich sein Happy-End.
Das Stück ist oberflächlich charmant. Wer mehr als seichte Unterhaltung sucht, wird hier nicht bedient. Für die komödiantische Umsetzung verdient «völlig ausgebucht» jedoch gros-ses Lob. Nicht nur ist das Stück unglaublich sauber koordiniert und routiniert umgesetzt, sondern zeugt auch von grosser Professionalität von Regie (Iuri Rigo), Schauspiel (Peter Denlo) und Maske (David von Graffenried). Nicht alle Figuren sind gleich komisch, jedoch sind alle Charaktere eigenständige Rollen, so dass man zuweilen vergisst, dass sich immer derselbe Schauspieler dahinter verbirgt. In nur 10 Drehtagen wurden die eingespielten Sequenzen mit nahezu 40 verschiedenen Rollen mit eigenem Stil aufgenommen. Hut ab für diese überaus viel Geschick und Empathie im Rollenstudium erfordernde Choreographie.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2011