Von Lukas Vogelsang - Kevin Warwick ist ein Cyborg — halb Mensch, halb Maschine. So nennt er sich selber, seit er sich im Jahr 2002 einen Computer-Chip eingebaut hat und den mit Nervenzellen koppelte. Herr Warwick ist ein führender Kopf in der Welt der Roboterforschung und provoziert immer wieder mit provokanten Thesen über die Zukunft des Menschen. Aus seinen Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben «I, Cyborg». Seine Experimente haben unterdessen immer eigenwilligere Formen angenommen und Herr Warwick kann gut reden. Doch damit bringt er die Menschen zum Staunen — nicht aber zum Denken…
Der Artikel über Warwick im «Bund» vom 20. November hat mich dann doch ins Grübeln gebracht. «Eigentlich ist es, als ob wir mit einem Papiersack über dem Kopf leben würden: Mit unseren Sinnen nehmen wir gerade mal fünf Prozent von dem wahr, was rund um uns passiert», sagt Kevin Warwick. Das ist der Kern seiner Botschaft und der Forschung. Das klingt beängstigend, vor allem, weil Warwick nicht erwähnt, dass unser Hirn nur fünf bis zehn Prozent effektiv benutzt wird und doch sehr viel mehr Kapazität hat. Der Papiersack klingt doch gut und für den Otto Normalverbaucher trifft es bestimmt zu.
Warwick hat seiner Frau und sich selber diese Chips eingebaut, die nun miteinander und auch mit Computern kommunizieren können. So was hat zwar heute schon jeder bessere Hund oder Katze eingebaut — die Tierchen können via Peilsender jederzeit aufgefunden werden, vor dem Weglaufen schützen kann man sie nicht. Menschen können also also auch in ein Netzwerk eingebunden werden. Das funktioniert in einer Wohnung auf ungefähr zehn Meter Distanz (Rufnähe) oder aber, wenn man das mit dem Internet koppeln könnte, mit der ganzen Welt. Wow! Klingt doch spannend — vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Informationen im Internet abgefangen und geklaut werden… Und es würde bedeuten, dass unser Chip mit den paar Billionen Informationen im weltweiten Internet verbunden wäre. Eine Überhitzung dieser Chips ist nicht auszuschliessen.
Diese Chips sollen also die Kommunikationsfähigkeit verbessern. Doch Warwick ist ein ehrlicher Mann und bringt seine Denkfehler gleich selber auf den Punkt: «Ich bin seit dreissig Jahren verheiratet und verstehe meine Frau noch immer nicht.» Also, ich glaube nicht wirklich, dass er ernsthaft annimmt, dass ein Computer seine Frau besser verstehen wird, als er. Schliesslich denkt die digitale Welt nur in «0» und «1». Herr Warwick, eine Frau hat neben den Zahlen noch ein paar Alphabete mehr zur Verfügung. Und die digitale Registrierung eines emotionalen Impulses hat noch lange nichts mit Verstehen zu tun und wer sagt, dass ein Mann diese noch zuordnen könnte? Irgendwie scheint die Roboterforschung an einem Tiefpunkt angelangt zu sein. Solche Forscher wollen die Welt retten?
Doch Herr Warwick bleibt positiv. «Er wäre gerne ein Cyborg», sagt er im «Bund»-Artikel — verständlich, denn damit könnte er sein kommunikatives Defizit mit seiner Frau entschuldigen. Und die Risiken und Nebenwirkungen seiner Forschung und Visionen ist er sich durchaus bewusst, wenn er verkündet, dass er sich auch vom Militär bezahlen lassen würde. Denn eines ist klar: Das Militär hat auch keine Ahnung von Frauen, aber eine grosse Ahnung in der Zerstörung von Menschen. Und ein überhitzter Chip in einem Hirn eines angeblichen Terroristen dient den Nationen — auch wenn man zwischendurch zu früh den Knopf drückt. Zu hoffen, dass Warwick den Feldversuch nicht auch an seiner Frau testet.
Den schlimmsten Denkfehler aber macht der Plapper-Forscher, in dem er annimmt, dass der Mensch durch Computer intelligenter wird. Dabei kann der Mensch nur erfinden, was er sich erdenken kann — leider fehlt in diesem Denken die Erkenntnis einer Unendlichkeit oder des Unmöglichen. Und deswegen geschieht nichts Neues unter der Sonne — wir hauen uns immer noch die Knüppel auf die Köpfe, wie damals in der Höhle. Warwick vergisst, dass mit jedem menschlichen Prozess, den wir an eine Maschine abgeben, ein Teil unseres Menschseins und der Wahrnehmung verlorengeht. Und weil der Mensch nur glaubt, was er wahrnehmen kann, wird der Horizont immer kleiner. Am schlimmsten trifft es gerade die Phantasie, welche noch Visionen produzieren könnte.
Herr Warwick, wenn Sie mit Ihrem Bewusstsein und Ihrer Wahrnehmung so unzufrieden sind, dann machen sie Yoga. Es ist schon eine ganze Weile her und sogar einige Kollegen ihrer Forschungszunft haben erkannt, dass Yoga bewusstseinserweiternd wirkt und die Wahrnehmung sensibilisiert. Und das Beste kommt noch: Sie werden nicht als rostiger Roboter im Altmetall enden.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Dezember 2007