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Von der Siegerkunst zum Siegerfeminismus

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli - Im Jan­u­ar 2019 stiess ich auf ein frisch gedruck­tes, neues Reclam-Büch­lein. Thomas Bauer war der Autor, Leib­niz-Preisträger; der Titel, der auch über meinen Werken ste­hen kön­nte: «Die Verein­deu­ti­gung der Welt. Über den Ver­lust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt». Sehr klug geschrieben, viele Denkanstösse, manch­mal zu wenig macht­be­wusst und ja: Die entschei­den­den Denkerin­nen fehlen. Wie üblich im deutschsprachi­gen Raum zitieren sich die Män­ner gegen­seit­ig und ver­passen somit die wirk­liche Denk­analyse zur Uni­formierung der Welt (laS­taempfli), weil sie ein­fach keine Frauen lesen.

Den­noch schenk­te mir Thomas Bauer mit seinem Hin­weis auf die CIA als Kun­st­förderin der Nachkriegszeit ein Erweck­ungser­leb­nis der beson­deren Art. Die Cen­tral Intel­li­gence Agency finanzierte 1950 den Con­gress for Cul­tur­al Free­dom. Weshalb? Dies nur, um dem damals stil­bilden­den Sozial­is­tis­chen Real­is­mus, ein­er «Kun­st der Ein­deutigkeit», etwas Antikom­mu­nis­tis­ches ent­ge­genset­zen zu kön­nen. Erstaunlicher­weise erwies sich die CIA dabei als bril­lante Kun­stken­ner­in: Sie wählte die Abstrak­tion, verkör­pert durch Kün­stler wie Jack­son Pol­lock oder Mark Rothko. Lassen Sie sich dies auf der Zunge verge­hen, denn Abstrak­ter Expres­sion­is­mus würde man ohne Hin­ter­grund­wis­sen nie und nim­mer mit der CIA in Verbindung set­zen. Und trotz­dem: Es war so. Thomas Bauer sieht im Abstrak­tion­sthe­ater der Nachkriegszeit die per­fek­ten «kap­i­tal­is­muskom­pat­i­blen bun­ten Bilder, deren Bedeu­tung let­ztlich nur durch ihren allmäh­lich ins Gren­zen­lose steigen­den Mark­twert bes­timmt» wer­den. Mit Wolf­gang Ull­rich, der mit «Siegerkun­st» eine neue Kun­st­the­o­rie for­muliert hat, argu­men­tiert Thomas Bauer, dass eine «Kun­st, die let­ztlich alle Massstäbe ver­loren hat und keine Kri­te­rien mehr ken­nt», nur noch durch den Markt ihren hohen Stel­len­wert erhält. Denn Kun­st lässt sich seit Jahrzehn­ten nicht mehr von Nichtkun­st unter­schei­den: auss­er durch den Preis und auss­er durch den Fakt, nach wie vor das «Fortschrittspathos der alten Avant­gar­den» zu imi­tieren und davon enorm zu prof­i­tieren.

Im Klar­text heisst dies: Von der Gegen­wart­skun­st bleibt let­ztlich nur noch die Ober­fläche, ein Kun­st-Diskurs sowie die sich unaufhalt­sam weit­er steigern­den Geschmacksver­let­zun­gen, Skan­dale, Insze­nierun­gen, die ich für die Medi­en­the­o­rie auch in meinem Buch «Trump­ism. Ein Phänomen verän­dert die Welt» beschreibe.

«Je per­vers­er, bru­taler, obszön­er das Werk ist, desto bess­er kann sich ein Samm­ler als sou­verän präsen­tieren», lautet Wolf­gang Ull­richs Faz­it in seinem 2016 erschiene­nen Band: «Siegerkun­st. Neuer Adel, teure Lust». Wolf­gang Ull­rich definiert die Gegen­wart­skun­st als «Kun­st von Siegern für Sieger», die teuer genug ist, um die soziale Stel­lung von Kün­st­lerIn und KäuferIn zu repräsen­tieren. Fol­gt man Wolf­gang Ull­richs Argu­men­ta­tion, erken­nt man, dass die grosse Kun­st der Mod­erne, die Avant­garde, dieses geniale Pro­jekt von Autonomie und Sou­veränität, in der Gegen­wart­skun­st von ein­er Ide­olo­gie der Repräsen­ta­tion abgelöst wurde. Siegerkun­st ist keine Kun­st der Mod­erne, da sie par­a­sitär von deren Nim­bus prof­i­tiert, im Wesentlichen nur Avant­garde imi­tiert, lediglich das sym­bol­is­che Kap­i­tal von Autonomie und Sou­veränität übern­immt und wie in feu­dalen repräsen­ta­tiv­en Geld­ver­schwen­dung­sorgien insze­niert wird.

Wom­it wir direkt beim «Siegerfem­i­nis­mus» angekom­men wären, dessen Mech­a­nis­men als Diskursab­strak­tion dur­chaus der «Siegerkun­st» ähneln. Der Zweck des «Siegerfem­i­nis­mus» der Gegen­wart liegt in der reinen Repräsen­ta­tion. «Siegerfem­i­nis­mus» ist seit «Sex» der Sän­gerin Madon­na im Jahre 1992 zum Event, Hap­pen­ing, repräsen­ta­tiv­en Kla­mauk, zum allen Ernst imi­tieren­den Uni­ver­sitäts­diskurs mutiert; nicht um die soziale, kul­turelle, ökonomis­che und poli­tis­che Stel­lung aller Frauen zu fördern, son­dern um sich mit dem Etikett «Frau» gle­ichzeit­ig den Ges­tus des Opfers und damit der Kri­tik und sozialen Anerken­nung unter Pro­gres­siv­en anzueignen: Kri­tik wird durch Glam­our und Bull­shit erstickt. Avant­gardis­tis­che Konzepte find­en sich diskur­siv und dig­i­tal in den unzäh­li­gen Hyper­links, deren Funk­tio­nen auf algo­rith­mis­chen Mehrheits­geschmack pro­gram­miert sind. Judith But­lers Hege­monie des abstrak­ten expres­sion­is­tis­chen «Unbe­ha­gens der Geschlechter» entspricht eins zu eins der Auflö­sung der emanzi­pa­torischen Mod­erne und for­muliert bis heute das Pro­gramm des 21. Jahrhun­derts: der dig­i­tal vor­angetriebene Revan­chis­mus an der gesamten Mod­erne, der uns im West­en den Plat­tformkap­i­tal­is­mus und im Osten die Überwachungs­dik­taturen gebracht hat. Die Auflö­sung der Geschlechter nach Judith But­ler ver­fol­gt den Zweck, nicht mehr zwis­chen Wirk­lichkeit und repräsen­ta­tiv­er Funk­tion der Men­schen unter­schei­den zu wollen. Der Kampf gegen Sex­is­mus und Diskri­m­inierung find­et nicht in der Wirk­lichkeit, son­dern im Diskurs, auf Twit­ter, in Foren, an den Uni­ver­sitäten statt. Siegerkun­st und Siegerfem­i­nis­mus machen die Fortschritte von mod­ern­er Kun­st und Frauen­be­we­gung rück­gängig mit­tels Radikalisierung repräsen­ta­tiv­er Zustände, den «Orten des Sprechens». Waren mod­erne Kun­st und Frauen­be­we­gung bis zum «Gen­der Trou­ble» Befreiungs­be­we­gun­gen, entk­er­nen Siegerkun­st und Siegerfem­i­nis­mus Kun­st und Gle­ich­stel­lung von ihrer Befreiungskom­po­nente. Deshalb mutiert im Siegerfem­i­nis­mus bspw. Pros­ti­tu­tion zur «Sexar­beit», deshalb wird der Hijab von Siegerfem­i­nistIn­nen als «selb­st gewählte Mode» zele­bri­ert.
Wie die «Siegerkun­st» den Fortschritt der Mod­erne für die Kun­st rück­gängig macht, verkehrt der «Siegerfem­i­nis­mus» emanzi­pa­torische Forderun­gen der Frauen­be­we­gun­gen seit der Aufk­lärung in ihr Gegen­teil. Die Motoren der Anti-Aufk­lärung waren bei der «Siegerkun­st die CIA», für die Frauen­be­we­gung ste­hen die Hege­monie Judith But­lers und deren neolib­erale Frag­men­tierung alles Realen. «Siegerfem­i­nis­mus» ver­fol­gt den klas­sisch kap­i­tal­is­tis­chen Weg der Sieger: Wird Glam­our mit Pro­gres­sion, mit Kri­tik, mit Fortschritt gle­ichge­set­zt, kön­nen sich Siegerfem­i­nistIn­nen par­a­sitär von mod­er­nen Frauen­be­we­gun­gen durch die Imi­ta­tion des Kampfes gegen Ungerechtigkeit etablieren und so richtig mas­siv Kasse machen. Je stärk­er Gen­derdiskurs und Gen­der­poli­tik eine Zumu­tung darstellen, umso bess­er eignet sich der «Siegerfem­i­nis­mus» als Sta­tussym­bol, das exk­lu­siv wirkt und sich gegen alle nor­malen, frauen­poli­tisch wichti­gen Forderun­gen abgren­zt. Es geht um Repräsen­ta­tion der SiegerIn­nen auf Kosten der Wirk­lichkeit. Es sind diese spek­takulären Wirkun­gen, die Siegerfem­i­nistIn­nen als Sieger daste­hen lassen und damit zwei­hun­dert Jahre Emanzi­pa­tion­s­geschichte regel­recht aus­löschen.

Die Ver­her­rlichung von klas­sis­chen Gle­ich­stel­lungs- und Kon­ven­tions­brüchen wer­den wie beim «Siegerfem­i­nis­mus» als «Reini­gung und Rev­o­lu­tion» inter­pretiert; die Beschimp­fung von «alten Fem­i­nistin­nen», die sich in ihrer Misog­y­nie in nichts von klas­sis­chem Frauen­hass unter­schei­det, als Fortschritt inter­pretiert.

«Siegerkun­st» pro­duziert eben­so wie «Siegerfem­i­nis­mus» Akte des Shop­pings post­mod­ern­er Beliebigkeit­en und umhüllt diese mit dem Ges­tus der «Emanzi­pa­tion». Es wer­den ganze Enzyk­lopä­di­en neuer Begriffe, Attribute, Images geschaf­fen, um «Siegerkun­st» und «Siegerfem­i­nis­mus» mit Rät­sel­haftigkeit, mit der Autorität als Herrscherin über Bedeu­tun­gen zu füllen. «Siegerkun­st» und «Siegerfem­i­nis­mus» müssen sich rup­pig geben (siehe bspw. die Attack­en auf die sehr unglück­lich agierende J.K. Rowl­ing), dür­fen keinen Trost oder Ablenkung ver­sprechen oder gar die Verbesserung der Lebenssi­t­u­a­tion darstellen, bewahre, nein: «Siegerkun­st» und «Siegerfem­i­nis­mus» müssen Chaos, Unsinn, Beliebigkeit, Manieris­men als «guten Geschmack» inner­halb des «schlecht­en Geschmacks» insze­nieren, um mit Susan Son­tag zu sprechen.

Die Wege zur Aufk­lärung: Schein­wahrheit­en von Wahrheit­en zu tren­nen, ist manch­mal kom­pliziert. Nicht kom­pliziert ist indessen hier mein Ansatz zu ein­er neuen Form der Fem­i­nis­muskri­tik und Fem­i­nis­mus­the­o­rie, zu der ich durch Wolf­gang Ull­richs «Siegerkun­st» inspiri­ert wurde: «Siegerfem­i­nis­mus» als neue kri­tis­che The­o­rie, die dem Anliegen der Aufk­lärung in ihrer dialek­tis­chen Wirkung wie auch in ihrer wirk­lichkeits- und macht­poli­tis­chen Real­ität gerecht wer­den kann. Erste Ansätze waren schon in meinem Buch «Trump­ism. Ein Phänomen verän­dert die Welt» angedacht. In den näch­sten Monat­en wird nicht nur die «The­o­rie des Siegerfem­i­nis­mus» pub­liziert wer­den, son­dern auch die neue Medi­en­the­o­rie zum «Siegerjour­nal­is­mus», wom­it ich hier­mit das Copy­right zu den bei­den Begrif­f­en zwecks Pub­lika­tio­nen an meine Per­son geknüpft habe. Dies muss an dieser Stelle betont wer­den, da sich in der Ver­gan­gen­heit einige Män­ner mit dem Dieb­stahl meines geisti­gen Eigen­tums uner­hörter­weise bere­ichert haben. Sie wer­den es wohl wieder und wieder ver­suchen: Dies ste­ht in der Tra­di­tion eines «Siegerjour­nal­is­mus» und «Siegerfem­i­nis­mus».