Von Hannes Liechti - Die Nacht der Religionen will Ängste abbauen und ein Kinder- und Jugendtheater träumt von Gerechtigkeit: Vor einem Jahr, am 8. November 2008, öffneten insgesamt 18 Gotteshäuser verschiedenster Religionen und Konfessionen ihre Türen. Anlass war der Vorabend des 70. Jahrestags der Reichspogromnacht. Der 70. Jahrestag jener grausamen Nacht, in welcher in ganz Deutschland Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Friedhöfe zerstört und zahlreiche Juden ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt wurden. Der 70. Jahrestag eines Verbrechens, dessen Ursprung die Religionsvielfalt und die daraus entstehenden Konflikte bilden.
Heute, 71 Jahre später, scheint man keinen Schritt weiter zu sein: Religionskonflikte bestimmen weltweit nach wie vor die Schlagzeilen. Im Fokus ist bei uns im Westen nicht mehr das Judentum, sondern der Islam. Hierzulande schüren politische Parteien ein Klima des Misstrauens und diffamieren den Islam, welcher wie das Christentum im Judentum wurzelt, zu einer Religion von Terroristen. In einem Onlinegame können Surfer die wie Pilze aus dem Boden schiessenden und die Schweiz übersäenden Minarette abschiessen und so zum Verschwinden bringen. Gelingt dies nicht, steigt der Muezzin aufs Minarett und ruft zum Gebet. Solchen Zeitströmungen entgegenwirken und zum Gebet einladen will Judith Pörksen Roder, Mitarbeiterin der Evang.-ref. Gesamtkirchgemeinde Bern und Mitinitiantin der Nacht der Religionen: «In einem solchen Umfeld wollen wir uns mit der ‹Nacht der Religionen› für den Abbau von Ängsten und für das friedliche Zusammenleben einsetzen, indem wir Begegnungen schaffen.»
Auch dieses Jahr sollen also am 7. November 19 religiöse Zentren ihre Türen öffnen und die Berner und Bernerinnen zu Begegnungen einladen. Während die Nacht der Religionen im letzten Jahr noch unter keinem einheitlichen Motto stattfand, wird die diesjährige Ausgabe unter dem spielerischen Thema «LEBENS(T)RÄUME» zusammengefasst. Das Motto ist neu, nicht aber die Vielfalt und Art der Veranstaltungen. Unter diesem Thema hätte auch die letztjährige Ausgabe problemlos und ohne Programm-änderungen durchgeführt werden können. Insofern also ein wenig innovatives Thema. Schade, denn insgesamt bleibt die Nacht der Religionen eine lose Verbindung von verschiedensten Veranstaltungen. Sowohl eine eigene, offizielle Website als auch ein umfangreiches Programmheft mit Detailinformationen zu den Veranstaltungen fehlen. Es ist deshalb fraglich, ob es diesmal gelingen kann, mehr Publikum ausserhalb der Kirchgemeinden anzusprechen. Genau dies wäre aber wichtig, um auf eine tolerantere Verständigung mit und zwischen den Religionen, wie sie heute zweifellos nötig ist, hinzuarbeiten.
Die Eröffnungsveranstaltung findet dieses Jahr im Murugen-Tempel statt. Zu Gast ist unter dem Titel «Der erste Tag einer neuen Zeit» der Berner Autor Lukas Hartmann. Die Jüdische Gemeinde, der Muslimische Verein Bern, die Islamische Gemeinschaft IKRE und das Baha’i Zentrum bieten Vorträge und Einführungen zu Aspekten ihrer Religion an. Die evangelisch-reformierten Kirchgemeinden Münster, Bethlehem, die katholische Pfarrei St. Marien und das reformierte Forum der Universität machen Klangräume zum Thema, während sich die Schlussveranstaltung in der Heiliggeistkirche den Träumen widmet: «Von Lebensräumen träumen – Jugendliche entwerfen die Zukunft.»
Wie Pfarrerin Judith Pörksen Roder betont, möchte man in der kommenden Nacht der Religionen vermehrt auch die jüngere Generation ansprechen. Ob dies aber gelingen kann, ist fraglich. Zu wenige Veranstaltungen sind direkt für Kinder und Jugendliche konzipiert. Einzig das Mundarttheater «Die Rote Zora – vom Lebenstraum der Gerechtigkeit» wendet sich an Menschen zwischen 6 und 99 Jahren (Foto). Gespielt wird das Theaterstück nach dem gleichnamigen Roman von Kurt Held von Kindern und Jugendlichen der Kirchgemeinde Johannes. «Die Rote Zora» ist ein Stück über eine Bande von Strassenkindern, die im Kroatien vor 60 Jahren versuchte, zu überleben. Dank der Hilfe von einem alten Fischer werden die Kinder am Ende wieder in die Gesellschaft integriert. Die Thematik ist nach wie vor aktuell: Während Millionen von Menschen auf der Welt den GP der Formel 1 von São Paolo auf dem Bildschirm mitverfolgen, träumen Tausende von Strassenkindern direkt hinter extra für diesen Event hochgezogenen Wänden in den Slums von Interlagos/São Paolo von Gerechtigkeit.
Die Nacht der Religionen ruft zum Gebet, ruft zum Träumen. Sie ruft aber auch zum Einsatz für Gerechtigkeit und Toleranz. «Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachjagen, damit du Leben hast» (5. Mose).
Foto: Jonathan Liechti
ensuite, November 2009