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Und nichts passiert

Es gibt Per­for­mancekün­stler, die ihr Pub­likum durch ihr augen­schein­lich­es Nicht­stun her­aus­fordern und berühren kön­nen – oder es zumin­d­est rat­los zurück lassen. Die Kün­stler Ben Rus­sell und Ben Rivers haben daraus einen Film gemacht. Oder?

Der Film „A Spell to Ward Off the Dark­ness“ begleit­et den Per­for­mancekün­stler Robert A.A. Lowe, auch bekan­nt unter seinem Pseu­do­nym Lichens, während drei Episo­den seines Lebens. Gefilmt wurde während drei Jahren. Die bei­den Regis­seure fungieren dabei gle­ichzeit­ig als Kam­er­amän­ner, der ganze Film ist mit Hand­kam­era aufgenom­men. Wir sehen Robert als Mit­glied ein­er Hip­pie-Kom­mune auf ein­er est­nis­chen Insel, alleine auf Wan­derung durch Nor­we­gens Wild­nis und als Sänger und Bassis­ten ein­er Met­al-Band bei einem Auftritt in Oslo. Während dem ganzen doku­men­tarischen Film passiert…nicht viel. Robert sel­ber spricht in den 98 Minuten kein Wort und auch son­st ist „A Spell to Ward Off the Dark­ness“ vor allem im mit­tleren Teil ein sehr ruhiger, fast melan­cholis­ch­er Film: Es gibt Sequen­zen, da filmt die Kam­era etwa vergilbte Zeitschriften in Roberts Hütte, in der er während seinen Wan­derun­gen in Nor­we­gen wohnt. Und wir sehen nur diese Zeitschriften. Ohne musikalis­che Unter­malung, ohne Sound­ef­fek­te, ohne, dass jemand die Zeitschriften anfasst oder weg­n­immt. Oder wir sehen Robert, der mit seinem Ruck­sack durch ein ver­lassenes Tal marschiert und schliesslich hin­ter einem Felsen ver­schwindet. Danach sehen wir, dass nichts passiert. Die Kam­era ver­har­rt während zähen Sekun­den, gefühlten Minuten, in ihrer Posi­tion, ohne dass Robert nochmals zum Vorschein käme.

Etwas lebendi­ger geht es immer­hin im ersten Teil zu, hier sind wir bei Diskus­sio­nen darüber dabei, wann der Men­sch beim Tanzen zu einem Teil der Musik wird, und ob das Trance-Genre deshalb so genan­nt wird. Robert sel­ber allerd­ings bleibt stiller Zuhör­er. Der Zuschauer hat keine Möglichkeit, ihn als Men­schen zu fassen, seine Gedanken oder Mei­n­un­gen zu erah­nen. Er bleibt deshalb unnah­bar und unfass­bar für den Zuschauer, was dem Film lei­der eine gewisse Ober­fläch­lichkeit und Belan­glosigkeit beschert. Ob der Film durch das Schweigen seines Pro­tag­o­nis­ten den Zuschauer zum Nach­denken anre­gen will? Dafür wird man von den Regis­seuren etwas zu sehr alleine gelassen.

Per­for­mancekun­st ist ein weitläu­figer Begriff. Nicht immer muss das Pub­likum mit ein­be­zo­gen wer­den, allerd­ings sollte es Ziel des Kün­stlers sein, etwas bei seinen Zuschauern auszulösen, ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Das kann auch durch reines Nicht­stun (zumin­d­est augen­schein­lich­es) geschehen. Die Kün­st­lerin Mari­na Abramović aus Bel­grad ist eine Meis­terin auf diesem Gebi­et. Sie selb­st bleibt in eini­gen ihrer Per­for­mances still und unbe­wegt und fordert genau dadurch ihre Betra­chter zum Han­deln, zum Fühlen und mit ihr Aushar­ren her­aus.  Die grösste medi­ale Aufmerk­samkeit erre­ichte sie  2010 mit der Per­for­mance „The Artist Is Present“, die während drei Monat­en im New York­er Muse­um of Mod­ern Art statt fand. Mari­na sass während den gesamten Öff­nungszeit­en des Muse­ums an einem Tisch, die Besuch­er kon­nten sich ihr gegenüber set­zen und Mari­na tat, genau, nichts. Viele Besuch­er brachen nach eini­gen Minuten in Trä­nen aus und wirk­ten tat­säch­lich so, als ob Mari­na ihr Inner­stes berührt und umgekrem­pelt hätte.

Nichts aktiv zu tun heisst also nicht, dass nichts passiert. Anders bei „A Spell to Ward Off the Dark­ness“. Der Zuschauer spürt Pro­tag­o­nist Robert kaum, einzig zum Schluss, als der Kün­stler mit ein­er Met­al-Band auf der Bühne ste­ht, und die Kam­era neue Blick­winkel ein­nimmt – wir sehen etwa, wie das Make-Up der Band­mit­glieder langsam zer­läuft, wie sich sehnige Hände und Fin­ger an Gitar­ren­hälsen fes­tk­lam­mern und wie sich eine Kehle für ein gespen­stis­ches Schreien öffnet. Danach ver­lässt Robert, natür­lich wort­los, die Bühne, wis­cht sich im Back­stage die Schminke aus dem Gesicht und ver­lässt den Club. Er ver­schwindet in die Dunkel­heit. Hier öff­nen die Filmemach­er einen Raum, der Zugänglichkeit und Spüren ver­spräche, lassen die Möglichkeit aber lei­der wieder ver­stre­ichen. Wollen die Filmemach­er ihr Pub­likum hier fra­gen: In welche Dunkel­heit trittst du hin­aus? Welche Maske läuft dir irgend­wann übers Gesicht? Lei­der fehlt auch hier das Biss­chen an Zuschauer-Führung, das ein Film grund­sät­zlich mit­brin­gen sollte.

Man kann sich jedoch Gedanken darüber machen, ob der ganze Film über­haupt ein Film sein will oder eine einzige Per­for­mance ist. Ob Ben Rus­sel und Ben Rivers ihr Pub­likum auf die Probe stellen wollen, ob sie austesten wollen, wie viel Nichts das Kinop­ub­likum erträgt. Und ob es dem Film wirk­lich gelingt, Fik­tion und Doku­men­ta­tion zu ver­wis­chen und dadurch eine utopis­che Real­ität zu pro­duzieren – so zumin­d­est beschreiben die Regis­seure das Ziel ihres Films im Vor­feld des Film­fes­ti­vals in Locarno sel­ber. Bei­de kom­men als Medi­alkün­stler und Exper­i­men­tal­filmer eben­falls aus der Kunst­welt. Falls das die Absicht der Regis­seure war, haben sie ihr Ziel nicht erre­icht. Dafür fehlt es dem Film an Tiefe, an aus­sagekräfti­gen Szenen und – ganz ein­fach – an Botschaften.

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