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Das Geheimnis des rumänischen Films liegt in der chinesischen Küche

Das Kino spielt gerne mit sich selb­st, und manch­er Ken­ner hat schon behauptet, dass jed­er Filmemach­er sich ein­mal in sein­er Kar­riere filmisch mit dem eige­nen Meti­er auseinan­der­set­zt. So nun auch der rumänis­che Regis­seur Cor­neliu Porum­boiu in seinem drit­ten Langspielfilm Când se lasă seara peste Bucureşti sau metab­o­lism (engl. When Evening Falls on Bucharest or Metab­o­lism), mit dem er im Con­cor­so inter­nazionale des Film­fes­ti­vals Locarno nominiert ist. Der Film spart nicht mit Selb­stre­f­eren­zial­ität, und das Rezept, wie er zu ver­ste­hen ist, find­en wir im Film gle­ich selb­st – und vielle­icht in einem chi­ne­sis­chen Kochbuch.

Der Plot ist schnell erzählt: Paul (Bog­dan Dumi­tra­che), Drehbuchau­tor und Regis­seur in Bukarest, steckt mit­ten in der Real­isierungsphase seines neusten Film­pro­jek­ts. Und in ein­er Affäre mit Ali­na (Diana Avra­mut), ein­er Neben­darstel­lerin. Die Drehar­beit­en mit Ali­na ste­hen kurz vor Abschluss, da ändert Paul das Script und eröffnet ihr, dass er an ihrem let­zten Tag eine Nack­t­szene drehen will. Doch am besagten Mor­gen kom­men ihm Zweifel, und statt zu drehen erzählt er sein­er Pro­duzentin von einem Magengeschwür. Die Dinge nehmen ihren Lauf, und immer stärk­er ver­strickt sich sein Leben mit dem Script des Films.

Fluch und Segen des Autoren­films

Ob Paul Porum­boius Alter Ego darstellt? Vielle­icht. Ein Indiz dafür: Porum­boius bish­erige Filme A fost sau n‑a fost? (engl. 12:08 East of Bucharest), mit dem er 2006 in Cannes die Cam­era d’Or gewann, und Polițist, adjec­tiv (engl. Police, Adjec­tive) waren bei­de poli­tis­che Filme, und auch Haupt­darsteller Paul dreht im Film einen poli­tis­chen Film. „It’s a polit­i­cal movie“, sagt Paul zu Ali­na, als er ihr eröffnet, dass er die Nack­t­szene wieder aus dem Drehbuch gekippt hat. Anson­sten erfährt man in den 89 Minuten nicht viel über den Inhalt des Films im Film. Porum­boiu spricht mit Când se lasă seara peste Bucureşti sau metab­o­lism über Fluch und Segen des Autoren­films: Der roman­tis­chen Vorstel­lung der eige­nen Drehbuchre­al­i­sa­tion ste­ht die Real­ität des Filmemachens gegenüber. Eine Real­ität, die zwar tat­säch­lich Frei­heit und Selb­stver­wirk­lichung bedeutet, aber auch Opfer fordert. Eine strik­te Tren­nung von Leben und Set wird zur Utopie, das Leben des Autors ver­flechtet sich unver­mei­dlich mit dem Film. „I am the film“, erk­lärt Paul.

Ob Alter Ego oder nicht, der rumänis­che Regis­seur set­zt sich auf ver­schiede­nen Ebe­nen mit dem eige­nen Meti­er auseinan­der und liefert mit sein­er filmtech­nisch reduk­tion­is­tis­chen Art gle­ich die Anleitung mit, wie der Film zu ver­ste­hen ist. In der Anfangsszene erk­lärt Paul Ali­na, dass er sich dafür entsch­ieden hat, ana­log zu fil­men. Dadurch könne auf­grund der tech­nis­chen Möglichkeit­en keine Szene länger als elf Minuten dauern. Der Film lim­i­tiere sich so selb­st und bewirke beim Betra­chter eine Sin­neser­weiterung. (Nach der Anfangszene schaut der Zuschauer im Kino ver­stohlen auf die Uhr: Ja, auch Când se lasă seara peste Bucureşti sau metab­o­lism lebt von lan­gen, dialo­gre­ichen Szenen, aber natür­lich dauert keine länger als elf Minuten.)

Eine poli­tis­che Botschaft aus der Küche

Porum­boiu benötigt ein Min­i­mum an Schnit­ten um die Geschichte zu entwick­eln. Er fordert vom Zuschauer Konzen­tra­tion auf die Dialoge, damit dieser seinen Film ver­ste­ht. Da ist zum Beispiel die Diskus­sion ums Essen mit Stäbchen zwis­chen Ali­na und Paul: Paul erk­lärt, ein T‑Bone-Steak mit Stäbchen zu essen sei schlicht unmöglich, das Kochen von chi­ne­sis­chen Gericht­en sei also anspruchsvoller als das Zubere­it­en ander­er Mahlzeit­en, da man auf­grund des Werkzeugs „more sophis­ti­cat­ed“ kochen müsse. Je reduziert­er also das Werkzeug, desto anspruchsvoller die Zubere­itung. Das gilt fürs Essen, das gilt aber auch fürs Filmemachen.

Pauls Reflek­tion übers Essen und seine Prob­leme mit dem Magen sind Porum­boius poli­tis­che Botschaft: Der Stof­fwech­sel (Metab­o­lis­mus) ist ein kom­plex­es Zusam­men­spiel bio­chemis­ch­er Prozesse. Funk­tion­iert ein Vor­gang nicht richtig, ver­hin­dert dies die Aufrechter­hal­tung der Kör­per­funk­tio­nen. Vielle­icht beschreibt Porum­boiu so das poli­tis­che Sys­tem in Rumänien: ein Sys­tem, in dem das Zusam­men­spiel der unter­schiedlichen Funk­tio­nen eines Staates noch immer nicht richtig funk­tion­iert, obwohl den Bürg­ern Instru­mente zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Brock­en, die das poli­tis­che Sys­tem den Bürg­ern vor­wirft, sind schw­er ver­daulich, die Real­ität kann nur in kleinen Dosen zu sich genom­men wer­den.

Kleines Bud­get, grosse Botschaft

Das rumänis­che Autorenk­i­no kon­nte in den let­zten zehn Jahren, nach ein­er lan­gen Krise sein­er Fil­min­dus­trie seit 1989, etliche Erfolge an in- und aus­ländis­chen Film­fes­ti­vals ver­buchen. Porum­boiu beweist, dass der rumänis­che Autoren­film eine her­aus­ra­gende Rolle im zeit­genös­sis­chen europäis­chen Kino ein­nimmt. Kleine Film-Bud­gets sind kein Hin­der­nis son­dern ein Ans­porn, immer neue, alter­na­tive Wege zu gehen: wenige Schnitte, Verzicht auf Effek­te und Stu­dio­dreh mit min­i­mal­is­tis­ch­er Ausstat­tung. Und statt damit zu kämpfen, benutzt Porum­boiu genau diese Ein­schränkun­gen um seine Botschaft zu unter­stre­ichen.

Film is way of seek­ing the world“, erk­lärt Paul in der Eröff­nungsszene. So auch Porum­boiu. Er durch­forscht die Welt und hält ihr gle­ichzeit­ig den Spiegel hin. Und das soll er ruhig weit­er­hin tun. Denn wem es gelingt, uns neben ein­er poli­tis­chen Botschaft auch noch das Handw­erk des Filmemachens näherzubrin­gen, indem er seinen Haupt­darsteller übers Stäbch­enessen sin­nieren lässt, der darf liebend gerne noch einen Film mit Film im Film drehen. Die Regiedozen­ten an den Film­schulen wer­den es ihm danken.

 

 

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