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Ohnmacht oder die Abhängigkeit von der globalen Vernunft

Der Film The Ugly One des franzö­sis­chen Regis­seurs Eric Baude­laire wurde in Locarno zum ersten Mal gezeigt. Er ist eine Zusam­me­nar­beit zwis­chen dem Regis­seur und Masao Adachi, einem japanis­chen Linksak­tivis­ten und ehe­ma­li­gen Mit­glied der Japan­ese Red Army. Die bei­den zeigen in ein­er Mis­chung aus Liebesgeschichte und poli­tis­ch­er Erzäh­lung die inneren Kriege von Wider­stand­skämpfern und mis­chen dabei Doku­men­ta­tion und Fik­tion. Eine Debat­te über Sinn und Zweck des poli­tis­chen Wider­stands führt die Pro­tag­o­nis­ten des Films dabei zur Hand­lung­sun­fähigkeit. Eine Ohn­macht, der sich auch der Betra­chter nicht entziehen kann.

Der Film begin­nt. Über dun­klen, engen Strassen hän­gen Kabel wie Spin­nen­net­ze. Fast unschein­bar die Flagge Palästi­nas, halb eingerollt. Ein Schild sagt Palästi­nen­sis­ches Gebi­et. An ein­er Hausecke Arafat. Durch die engen Gassen Beiruts gehen Men­schen ihren Beschäf­ti­gun­gen und Träu­men nach.

A Sto­ry told by Masao Adachi heisst es im Vorspann. The Ugly One ist der zweite Film des franzö­sis­chen Regis­seurs Eric Baude­laire. Der erste trug den Namen The Anaba­sis of May and Fusako Shigenobu, Masao Adachi, and 27 Years with­out Images. Es ist ein Doku­men­tarfilm über Masao Adachi.

Wider­stand ohne Waf­fen

Adachi ist ein japanis­ch­er Regis­seur mit Jahrgang 1939. Schon früh sah er das Filmemachen eng mit ein­er linksak­tivis­tis­chen Pflicht ver­bun­den. So drehte er im Jahr 1974 gemein­sam mit der palästi­nen­sis­chen Befreiung­sor­gan­i­sa­tion PFLP und der Japan­ese Red Army (JRA) einen rev­o­lu­tionären Aufk­lärungs­film. Als Folge trat er dieser mil­i­tan­ten Organ­i­sa­tion bei, die 1971 von Japan­ern im Libanon gegrün­det wurde und sich für die Rechte der Palästi­nenser ein­set­zte. Durch das Atten­tat auf den heuti­gen Flughafen Ben Guri­on (ehe­mals Lod) in Tel Aviv im Jahre 1972, bei dem 26 Men­schen ums Leben kamen, wurde die Gruppe welt­berühmt. Adachi sagt, dass er nie an Oper­a­tio­nen gegen die Zivil­bevölkerung beteiligt war und Atten­tate wie das obige vor sein­er Zeit bei der JRA gescha­hen. Stattdessen arbeit­ete er an Filmthe­o­rien, die das rev­o­lu­tionäre Poten­tial des Films erkan­nten und anwen­den soll­ten. Dies war sein Aktivis­mus. Nach mehreren Haft­strafen im Libanon und in Japan kam er 2003 frei und begann nach 30 Jahren Pause erst­mals wieder Filme zu drehen.

Adachi ist im Film The Ugly One der Erzäh­ler im Off. Man bekommt ihn aber während den ganzen 101 Minuten nicht zu Gesicht. Adachi spricht am Anfang des Films über Beirut wie über ein men­schlich­es Wesen und ver­gle­icht das Schick­sal der Stadt mit dem des bewaffneten Wider­stands. Zen­trales Bild in diesem Ver­gle­ich sind die Trä­nen. Er spricht von den Kriegen und sagt, dass Beirut bei jedem der Angriffe geweint hat. So während dem libane­sis­chen Bürg­erkrieg von 1975 bis 1990, wie auch während dem Libanonkrieg mit Israel von 2006. Und mit ihr hat auch der Wider­stand geweint, dem Adachi ange­hörte. Dann aber wech­selt er von den starken Emo­tio­nen zum Beschrieb ein­er eige­nar­ti­gen Ohn­macht, in der sich die Stadt seit eini­gen Jahren befind­et. Die Stadt, so sagt er, habe nicht aufge­hört zu weinen, nur tue sie es sei­ther in Stille.

Ein Mäd­chen wiegt mehr als 1000 Tote

Mit den stillen Trä­nen bere­it­et er das Ter­rain für die nun fol­gende Geschichte vor. Es ist die Liebes­beziehung zwis­chen Lili (Juli­ette Navis), dem Flüchtling aus Palästi­na und dem Ter­ror­is­ten Michel (Rabih Mroué). Die bei­den bilden den Kern ein­er kleinen Gruppe, die einen Anschlag plant. Die Zeit­ebe­nen ver­wis­chen sich, und es ist nicht klar, ob der Anschlag bere­its stattge­fun­den hat, oder ob er noch stat­tfind­en wird. Kli­max ist ein Aben­dessen aller Beteiligten bei Michel und Lili, bei dem sich die Wogen im Gespräch über­schla­gen. The­ma des Gesprächs ist Sinn und Zweck des bewaffneten Wider­stands. Dabei wird vor allem die Rat­losigkeit über die um sich greifende Gewalt im syrischen Bürg­erkrieg betont. Statt in toten See­len zu rech­nen, wie es dort Regierung und Oppo­si­tion tun, ste­ht plöt­zlich der Wert eines Men­schen­lebens im Zen­trum. So ver­fol­gt Lili den ganzen Film hin­durch ein totes Mäd­chen, das Lilis Bombe zum Opfer fiel. Ein Mann, den die Tis­chrunde mit Dok­tor anspricht, wider­spricht der Tis­chrunde vehe­ment und pocht laut­stark auf die Erhal­tung alter Werte und den Kampf gegen das Böse. Dass er immer Dok­tor genan­nt wird, unter­stre­icht die Rat­losigkeit, in der sich alle befind­en. Er scheint eine Respek­tsper­son zu sein, auf dessen Mei­n­ung man bis anhin zählen kon­nte. Nun aber ist er immun gegenüber den Moralgedanken, welche die anderen wälzen. Der Gesellschaft bricht der ver­lässliche Boden weg. Symp­to­ma­tisch endet die Runde schla­gar­tig in einem Glas Schnaps, mit dem die Diskus­sion been­det wird. Man ist sich uneinig und die Fron­ten sind nicht mehr klar. Gut und Böse haben sich ver­mis­cht. Dabei wird aber angedeutet, dass sich nicht nur die äusseren Umstände geän­dert haben, son­dern, dass die Auflö­sung klar­er Gren­zen auch eine innere Entwick­lung der Pro­tag­o­nis­ten war.

Baude­laires Flucht aus der Krise der Repräsen­ta­tion

Masao Adachi ist ein Teil der Pro­duk­tion. Der andere ist Eric Baude­laire. Der Fran­zose mit Jahrgang 1973 ist Filmemach­er und Videokün­stler. Damit will er den Betra­chter in die Sit­u­a­tion brin­gen, Pro­duk­tion und Rezep­tion des Gese­hen sowie poli­tis­che und soziale Kon­struk­tio­nen zu hin­ter­fra­gen. Es ist kein Zufall, dass der Film keine abschliessende Antworten gibt, wie der Wider­stand gedacht wer­den soll und stattdessen schein­bare Real­itäten nichtig wer­den lässt. Wenn Real­itäten medi­al dargestellt wer­den sollen, wird immer wieder das Totschla­gar­gu­ment der objek­tiv­en Sichtweite genan­nt. Entwed­er, so die Kri­tik­er, ist man zu tief in der Gesellschaft ver­fan­gen um die Sache überblick­en zu kön­nen oder man ist in ein­er exter­nen Betra­chter­po­si­tion und hat keinen Zugang zu den inneren Mech­a­nis­men. Krise der Repräsen­ta­tion wurde dieses Dilem­ma in den Sozial­wis­senschaften ab den späten 70er Jahren genan­nt. Sei­ther wird in alle Rich­tun­gen ver­sucht, diesem Gefäng­nis zu entkom­men. Baude­laire überzeugte deshalb Adachi für eine eige­nar­tige Anlage des Films. Adachi, der aus der Innen­per­spek­tive bericht­en kann, schreibt das Drehbuch. Er zeigt es Baude­laire aber erst unmit­tel­bar vor dem Dreh in Beirut. Dieser ken­nt lediglich die grobe Struk­tur des Skripts und den Schau­platz der Eröff­nungsszene. Nicht aber die Rich­tung noch den Ablauf der Erzäh­lung. Den­noch ist er der Regis­seur und Adachi betreut den Film mit seinen Kom­mentaren. Daraus ergibt sich eine Mis­chung aus Doku­men­ta­tion und Fik­tion, aus Liebesgeschichte und poli­tis­ch­er Erzäh­lung.

Ähn­lich wie Par­adise Now des palästi­nen­sisch-nieder­ländis­chen Regis­seurs Hany Abu-Assad, der den Gedanken zweier zukün­ftiger Selb­st­mor­dat­ten­täter im West­jor­dan­land nachge­ht und den inneren Krieg der bei­den beschreibt, läuft auch The Ugly One auf die Erken­nt­nis hin­aus, dass nie­mand weiss, was Sache ist. Das Beispiel von Syrien zeigt, dass nicht mehr Überzeu­gung, son­dern die Ori­en­tierungs- und Hoff­nungslosigkeit zu den Waf­fen führt. Und in dieser Entwick­lung ver­lieren Ethik und Moral an Bedeu­tung. Aktivis­mus, so würde Adachi wohl sagen, ist nicht den Leuten eine Hal­tung aufzuzeigen, für die es sich zu kämpfen lohnt, son­dern Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stellen, die diesen Kampf hin­ter­fra­gen und die Leute dazu brin­gen, ihn auch ver­ste­hen zu wollen.

Appell an das Gewis­sen der Men­schheit

Die Stärke des Films muss also in ein­er Währung gemessen wer­den, welche die unab­hängige Mei­n­ungs­bil­dung des Zuschauers in den Vorder­grund stellt. Die Währung heisst zum Beispiel Google. Was ist wahr? Wie sind die Fak­ten? Was geschieht im syrischen Bürg­erkrieg? Wer kämpft eigentlich wofür und mit welchen Bomben? Die Währung heisst aber auch Ohn­macht, denn jed­er Betra­chter muss schlussendlich zum sel­ben Schluss kom­men wie Michel, Lili und, auss­er dem Dok­tor, der Rest der kleinen Runde am Küchen­tisch. Näm­lich, dass Gewalt und Gegenge­walt zu kein­er Lösung führen kön­nen und nur die Ver­nun­ft jedes Einzel­nen im Sinne eines paz­i­fistis­chen Aktivis­mus’ den ewigen Krieg lösen kann. Oder wie es Hany Abu-Assad für Par­adise Now auf die Frage, was ihm in Anbe­tra­cht der derzeit­i­gen Lage noch Hoff­nung gebe, aus­drückt: Das Gewis­sen der Juden. Sie waren immer das Gewis­sen der Men­schheit, wohin immer sie auch gin­gen. Nicht alle, aber Teile von ihnen. Sie haben Ethik und Moral erfun­den und dieses Gewis­sen ist noch immer lebendig.

Wie Par­adise Now spricht sich The Ugly One also klar gegen den bewaffneten Wider­stand aus. Eine alter­na­tive Antwort was zu tun ist, kann er aber nicht geben. Stattdessen führt er den Zuschauer in die Ohn­macht, welche die voll­ständi­ge Abhängigkeit von der glob­alen Ver­nun­ft nach sich zieht. Wenn aber der Glaube an eine friedliche und gerechte Zukun­ft kein Schaus­piel sein soll, dann hängt er an Fil­men wie diesem.

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