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Ode an das Handwerk

Poli­tis­che Per­for­mance muss nicht laut sein. Das zeigen die tune­sis­chen Geschwis­ter Sel­ma und Sofi­ane Ouis­si, zwei bedeu­tende Fig­uren der zeit­genös­sis­chen ara­bis­chen Tanzwelt. Ins Zen­trum ihrer Per­for­mance «Laarous­sa» stellen sie nicht sich selb­st, son­dern eine Gruppe älter­er Frauen: Es sind Töpferin­nen aus ein­er Werk­statt im tune­sis­chen Sej­nane, der angesichts neuer Plas­tik­waren und zunehmender Konkur­renz der Nieder­gang dro­ht. Die Grund­lage für die Chore­ografie ist das verkör­perte Wis­sen dieser Frauen, das mit dem Ver­schwinden der Töpfer­ei ver­loren geht.

Die Ästhetik der Kun­st­fer­tigkeit

Das Tänz­er- und Chore­ografen-Paar hat sich dem Kön­nen der Frauen in zwei­jähriger Arbeit angenähert, um die Bewe­gun­gen erst zu imi­tieren, dann zu verin­ner­lichen und schliesslich in eine ästhetisierte Tanz-Sprache zu über­set­zen. Im Sitzen ahmen ihre Hände die Arbeit der Töpferin­nen nach: Sie greifen nach der abwe­senden Ton­erde, ziehen sie zurecht, span­nen das Mate­r­i­al über das Handge­lenk und for­men einen imag­inären Klumpen. Die Abläufe repetieren sich, aber die Span­nung bleibt erhal­ten. Die beleuchteten Hände wer­den konzen­tri­ert durch die Luft gewor­fen, mit hefti­gen Bewe­gun­gen wird gezo­gen, geschla­gen und geknetet, mit feinen Gesten mod­el­lieren sie Kan­ten und Hohlräume. Abstrahiert durch das Fehlen der Ton­erde und das Aus­bleiben eines fass­baren End­pro­duk­ts wird Arbeit und Kör­p­er, nicht etwa Prof­it und Effizienz in den Fokus gestellt. Es ist eine Ode an das Handw­erk, das kun­stvolle Werk der Hände. Meist verdeckt im Schat­ten ihres Pro­duk­ts, wird hier die Ästhetik der Kun­st­fer­tigkeit beleuchtet und ent­pup­pt sich als wun­der­bare Inspi­ra­tionsquelle zeit­genös­sis­ch­er Chore­ografie.

Kol­le­giale Zusam­me­nar­beit

Die Per­for­mance ist nicht nur poli­tisch in ihrer Forderung nach der Beach­tung des Wis­sens, das durch die zunehmende Ökonomisierung des Handw­erks zu ver­schwinden dro­ht. Als einzel­ner Akt des grösseren, gle­ich­nami­gen Pro­jek­ts «Laarous­sa» ist sie gle­ichzeit­ig auch ein Beispiel für eine kol­le­giale Zusam­me­nar­beit priv­i­legiert­er Kul­turschaf­fend­er Europas mit Kol­le­gen im ara­bis­chen Raum: Das inter­diszi­plinäre franzö­sis­che Kün­stlerkollek­tiv «L’Art Rue» arbeit­et seit 2010 mit Handw­erk­erin­nen in Sej­nane, um in ver­schiede­nen Ansätzen den kün­st­lerischen Dia­log und die soziale Entwick­lung zu unter­stützen.

Die Per­for­mance der bei­den Kün­stler bleibt denn auch nie abge­tren­nt von ihrem Kon­text in Tune­sien: Im Hin­ter­grund der schlicht­en Chore­ografie zeigt die Video­pro­jek­tion immer wieder die bunt­gek­lei­de­ten Tune­sierin­nen, die Meis­terin­nen des Handw­erks. Da es sich nicht um eine sim­ple Glo­ri­fizierung des Tra­di­tionellen han­delt, wer­den sie nicht nur beim Arbeit­en gezeigt, son­dern eben­falls in die Per­for­mance ein­be­zo­gen: In rühren­der Weise tas­ten sie sich gegen­seit­ig die gegerbten Gesichter ab. Ihre geübten Fin­ger arbeit­en sich über Wan­gen, Stirn­fal­ten und Nasen­flügel ihres Gegenübers, wie wenn sie deren Züge aus Ton mod­el­lieren wür­den. Dabei wird ein­er­seits das Fin­ger­spitzenge­fühl der Töpferin­nen deut­lich und ander­er­seits treten die Frauen mit indi­vidu­ellen Gesicht­saus­drück­en auf. Als Indi­viduen ver­lei­hen sie dem Tune­sien, das in den Medi­en als Schau­platz poli­tis­ch­er Wirren an Pro­fil ver­liert, Per­sön­lichkeit.

Sub­tile Kon­traste

Trotz der Abstrak­tion und der Schlichtheit des Pro­gramms bleibt bis zum Schluss eine poet­is­che Span­nung beste­hen. Die wech­sel­nden Film-Pro­jek­tio­nen zeigen – etwa durch farbin­ten­sive Makroauf­nah­men – sub­til Kon­traste zur live-Per­for­mance im Vorder­grund und die Gesten des Tänz­er-Paars wer­den durch die Klangkulis­sen in jew­eils unter­schiedliche Zusam­men­hänge geset­zt: Wird klas­sis­che Musik gespielt, ste­ht das Kün­st­lerisch-Chore­ografis­che im Fokus; erklingt das schmatzende Geräusch des feucht­en Tons, wird an die Inspi­ra­tionsquelle der Bewe­gun­gen erin­nert.

Dem Kün­stler-Duo gelingt es dank stil­sicherem Umgang mit der zeit­genös­sis­chen Tanzspraches, ihr kün­st­lerisches Schaf­fen mit ein­er gesellschaftlichen Ver­ant­wor­tung zu verbinden, ohne in eine kitschige oder moral­isierende Darstel­lung zu kip­pen.

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