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Menschliche Mechanik

Zwei Män­ner leben gemein­sam in einem einzi­gen Zim­mer. Um sich in dem engen Raum zurechtzufind­en, haben sie sich möglichst prak­tisch ein­gerichtet: Das Bett wird ein Klavier wird ein Oper­a­tionstisch; das Bücher­re­gal erweist sich als Kühlschrank und das Bild an der Wand kann gle­ichzeit­ig Aus­gang sein. Salz und Pfef­fer hän­gen an Seilen über dem Tisch, eben­so Essig und Öl, und wer sein Essen würzen will, zieht die Uten­silien ganz ein­fach aus der Luft herunter.

Keaton und Ahlbom

Bus­tor Keaton hätte sich gefreut, denn diese Szene ist ein exak­tes Zitat aus seinem Film „The Scare­crow“. Keatons Arbeit­en markierten in den 1920er Jahren einen Höhep­unkt des Slap­sticks, in denen sich Sit­u­a­tion­skomik mit Akro­batik mis­chen. Dieser Stil entspricht der Arbeitsweise des schwedis­chen The­ater­ma­ch­ers Jakop Ahlbom, dessen Werk sich durch die Verbindung unter­schiedlich­er Per­for­mance-Diszi­plinen ausze­ich­net. Gemein­sam mit seinem Part­ner Reinier Schim­mel bewegt er sich in seinem Stück „Leben­sraum“ mit präzisen, geschickt ungeschick­ten Bewe­gun­gen auf der The­ater­bühne: Beim Stolpern schla­gen sie Saltos, ihr Stre­it­en gle­icht einem Tanz und jed­er einge­baute Sturz führt zur näch­sten über­triebe­nen Bewe­gung. Dazwis­chen find­en sich kleine poet­is­che Szenen, die das Pub­likum neben lachen und staunen auch still lächeln lassen. Der Grossteil der Geschichte wird von ihre Mimik erzählt, denn wie es sich für eine Hom­mage an einen Stumm­film gehört, wird kein Wort gesprochen. Begleit­et wird das Treiben dafür live vom Musik­er-Duo Alamo Race Track.

Eine mech­a­nis­che Haushalt­shil­fe

Ahlbom beg­nügt sich aber nicht mit ein­er sim­plen live-Ver­sion des Stumm­films, son­dern spin­nt die Geschichte der bei­den Män­ner auf eigene Weise weit­er: Die zwei wollen mehr als die Kon­struk­tio­nen, die ihnen wie bei Keaton den All­t­ag erle­ichtern. Sie wollen eine Frau, die ihnen den ganzen Haushalt abn­immt! Dazu basteln sie sich eine automa­tis­che Puppe, der sie das Putzen, Servieren und Aufräu­men beib­rin­gen wollen. Doch was dabei her­auskommt, ist eine eigen­willige Fig­ur, die bald unbe­weglich und unfähig scheint, bald selb­ständig und eigen­willig zu agieren begin­nt. Sie macht alles falsch, ste­ht über­all im Weg und bringt das wohl organ­isierte Leben der bei­den Män­ner durcheinan­der. Die rup­pi­gen, mech­a­nis­chen Bewe­gun­gen und das ewig aus­druck­slos­es Lächeln kennze­ich­nen sie deut­lich als mech­a­nis­ches Wesen. Gle­ichzeit­ig durch­brechen ihr ros­trot­er Haarschopf und ihr gelbes Kleid die schwarz-weisse Kulisse und mit ihrem frischen Teint wirkt sie fast men­schlich­er als ihre ble­ichen Erschaf­fer – die Gren­zen zwis­chen dem Men­schlichen und dem Mech­a­nis­chen begin­nen sich aufzulösen.

Wie Räd­chen im Trieb­w­erk

Die bei­den Män­ner reagieren unter­schiedlich auf die dritte Gestalt, mit der sie sich nun ihren Leben­sraum teilen. Während der eine sich in ihre men­schlichen Züge ver­liebt und sie als Per­son wahrn­immt, will der andere nur die Mas­chine in ihr sehen. In komis­ch­er Akro­batik ringt er mit ihr, ver­sucht sie zum Still­sitzen zu zwin­gen und Herr über sie zu wer­den. Mit atem­ber­auben­der Kör­perspan­nung lässt sich Silke Hun­dert­mark in der Rolle der Puppe biegen und streck­en, rollen und wer­fen, und entschlüpft doch immer wieder den Grif­f­en der bei­den Män­nern, um das Chaos weit­erzutreiben. Wie Zah­n­räd­chen in einem Trieb­w­erk schnellen die drei per­fekt koor­diniert über und nebeneinan­der durch den Raum und fast automa­tisch löst eine Bewe­gung die andere ab.  Wen­ngle­ich daraus die Komik des Abends entste­ht, liegt darin auch der Wer­mut­stropfen des Stücks: Es fehlt an der Spon­taneität und der Unmit­tel­barkeit, die den Reiz des The­aters gegenüber dem Stumm­film aus­machen. Damit drängt sich die Frage auf, welchen Mehrw­ert das Nach­spie­len eines Filme-Gen­res für das The­ater­pub­likum bringt. Die fast zirzen­sis­chen Bewe­gungsabläufe auf der Bühne sind zwar unter­halt­sam, doch die Darsteller selb­st fall­en zu sehr ins Mech­a­nis­che, als dass die Span­nung ein­er live-Vor­führung erhal­ten bleiben kön­nte. Die Gren­ze zwis­chen dem Men­schlichen und dem Mech­a­nis­chen verblasst somit nicht nur in der erzählten Geschichte, son­dern eben­falls in der Umset­zung.

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