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Altä Has, red doch nochli wiiter

Mal angenom­men, die aktuelle Tour von Stiller Has wäre die erste. Was lässt sich jen­seits ihres berühmten Namens über diese Band sagen, die sich in 25 Jahren ihres Beste­hens einen fes­ten Platz in der Schweiz­er Musikgeschichte erobert hat?

Der Stille Has als alter Mann

Im Zen­trum ste­ht Endo Ana­con­da. Ein süff­isan­ter Pro­voka­teur, ein intellek­tueller Sau­goof-Pol­ter­geist. Ein Brock­en von Mann. Oder in noch ein­mal anderen feuil­leton­is­tis­chen Wortschwurbeleien: ein «schräger Volk­stüm­ler und rustikaler Grob­schlächter­po­et» (Tages Anzeiger), ein «barock­er Wort- und Stimmkün­stler» (NZZ), ein­er, der Magen­säure rauss­chleud­ert, «von der sich viel bilden kann in diesem gewalti­gen Ranzen, zu dem er sich stolz beken­nt» (Schwäbis­che Zeitung). Endo Ana­con­da, der Mann, der so schlecht sin­gen und so grossar­tig tex­ten kann.

Alt sei er gewor­den, das betont er unun­ter­brochen. Manch­mal etwas gar pen­e­trant, aber doch stets mit einem bis­si­gen Sarkas­mus. Die 13. CD der For­ma­tion heisst «Bös­es Alter» und sie zeich­net viele Bilder des Älter­w­er­dens. Zynisch sind diese Bilder, wenn «sturi alti Manne» ihren Opel in Hydran­ten lenken, sie «luege uf d büp­pi, statt uf d ample» («Bös­es Alter»); exis­ten­ziell melan­cholisch nach einem verkaterten Zusam­men­bruch «mit em Flück­iger, mitem Endo u mit mir» («Toti Sigarette»).

Auch alte Lieder lassen sich am Konz­ert neu wieder­ent­deck­en. So der «Pirat», der in sein­er Kar­riere nach und nach alle Kör­per­glieder ver­loren hat, aber «pirat sy isch e zueschtand vo de seel». Ein Gle­ich­nis fürs Altern? Von Glück könne er sprechen, dass so viele Leute den Lift ins Hochhaus zur Kleinkun­st­bühne des Migros-Kul­tur­prozent gefun­den hät­ten,. Gelächter. Aber er wisse nicht, ob sie aus Mitleid oder aus Schaden­freude gekom­men seien. Wieder Gelächter. Man ver­ste­ht sich. Ist das Pub­likum zusam­men mit dem Stillen Has geal­tert?

Kon­ge­nial und beschei­den: Schifer Schafer

Seit der ersten Stunde mit dabei ist René «Schifer» Schafer, Gitar­rist und musikalis­ch­er Leit­er. Dünn und unschein­bar ste­ht er auf der Bühne, oft wird sein Beitrag zum heuti­gen Stillen Has neben dem fül­li­gen Endo Ana­con­da überse­hen. Dabei kom­poniert er kon­ge­nial die beschei­dene Musik, welche die wort­ge­walti­gen Texte nie übertönt, son­dern ihnen blue­sig und rock’n‑rollig erst zur vollen Wirkung ver­hil­ft. Nur in eini­gen Solostellen dreht Schifer Schafer auf – dafür dann so richtig. Die neuen Band­mit­glieder Salome Buser (Bass) und Markus Fürst (Schlagzeug) leis­ten das ihrige dazu. Das ältere Lied «Znüni näh» lässt die Band denn auch so richtig krachen, gut platziert als musikalis­ch­er Fäger am Ende des Konz­erts.

Der Anti-Bün­zli, der gerne Schweiz­er ist

Und doch begin­nt und endet alles wieder bei Endo Ana­con­da, der die Iden­tität von Stiller Has nach aussen prägt. Denn da ist etwas, was auch unvor­ein­genommene (Noch-)Nicht-Fans begeis­tern kön­nte. Es sind diese pointierten Sprüche zur Schweiz und zum Schweiz­er­sein, die wed­er in tranigem Lamen­to noch in bün­zliger Selb­st­glo­ri­fizierung enden. Genau beobachtet und schlau getex­tet. Immer noch grandios ist sein Lied «Mer­ci»: «mer­ci dass mir nie Chrieg hei gha / ussert dä deheime oder uf der Out­o­bahn (…) mer­ci dass i ha dörfe öppis lehre / bruch­sch Matur zum Ghüder­chü­bel lääre (…) mer­ci für ufe mer­ci für abe / mer­ci für nes ewigs gsungs u läng­wiligs Läbe / mer­ci für alles wo ni ver­lore ha». Schön­er wurde die Schweiz­er Zwieges­pal­tenheit nie besun­gen. Und doch: «aber i wott meh / meh als mön­schemöglich isch / i wott nech ändlech lache gseh».

Endo Ana­con­da ist gerne Schweiz­er. Und jet­zt: gerne ein alter Schweiz­er. Als dieser kann er die Eng­stirnigkeit weit­er her­aus­fordern, das Sicher­heits­ge­fühl durch­wirbeln. Von dieser Rei­bung lebt er. Er kommt aus ein­er Gen­er­a­tion, welche die Glob­al­isierung noch nicht mit der Mut­ter­milch getrunk­en hat. Ob es damals schön­er war oder nicht, sei dahin gestellt. Mit dieser eigen­tüm­lichen Schweiz hat er sich bis heute mit bös­er Zunge, aber ohne Arro­ganz und Abschätzigkeit auseinan­der­set­zt. Wohltuend. Wohltuend anders als beispiel­sweise die Diag­nose des ehe­ma­li­gen Aus­lan­dredak­tors der «NZZ am Son­ntag», Christoph Plate, in sein­er Schlussrech­nung (siehe hier).

Endo Ana­con­da ist, so kommt es einem vor, ein Relikt aus alter Zeit. Ein­er Zeit vor dem Kom­men­tarkrieg im Inter­net und der Abwan­derungswelle der deutschen Kreativszene nach Berlin. Doch es gibt keinen Grund zum Pes­simis­mus. Ger­ade in Berlin bildet sich eine Nach­fol­ge­gen­er­a­tion stiller Hasen. Mit einem neuen Blick, einem Blick von Aussen, begin­nen sich aus­ge­wan­derte Kreative wieder mit der Schweiz zu beschäfti­gen, wie jüngst Spiegel Online berichtete (siehe hier). Mögen ihre Stim­men eben­so laut wer­den wie die vom Stillen Has. Sein­er eige­nen, klug überzeu­gen­den, selb­st­be­wussten kann man auf sein­er Tour quer durch die Schweiz zuhören.

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