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Ausharren unterm Beobachtungsglas im utopischen Sumpf

Ein haushoher Glas­pavil­lon, umgeben von bepflanzten Teich­pfützen, aus­gestopftem Geti­er und einem Grot­tene­in­stieg, aus dem wabernde Nebelschwaden drin­gen: Mit­ten im sump­fi­gen Nir­gend­wo haben sich sechs Aussteiger und ein Stre­ichquar­tett gegen die Aussen­welt ver­schanzt, um ihren eige­nen utopis­chen Ort der absoluten kreativ­en Frei­heit zu grün­den. Betont langsam und wortkarg gehen sie schwim­men, saunieren, hal­ten Konz­erte ab und lesen Gedichte, während auf ein­er elek­tro­n­is­chen Anzeige das Tage­spro­gramm in gel­ben Let­tern end­los seine Run­den dreht. Willkom­men im «Swamp Club»! Willkom­men in der Utopie des gelebten Müs­sig­gangs.

Das Prinzip der Langsamkeit

In der Tat mutet an dem Stück, das Philippe Quesne und sein Vivar­i­um Stu­dio auf die Bühne brin­gen, vieles wie ein utopis­ches Märchen an. Der franzö­sis­che Regis­seur erschafft einen Woan­ders-Ort, der mit seinen skur­rilen Ausstat­tungs­de­tails und Fig­uren ein biss­chen an schau­rig-schöne Sci­encefic­tion in Zeitlupe erin­nert: Vere­inzelt zis­cht Büh­nen­nebel in den Glaskubus, woan­ders plätschert Wass­er aus einem Rohr in die Moorpfützen, während der Sumpf abwech­sel­nd in grün­er, weiss­er und rot­er Beleuch­tung schim­mert. Da wun­dert es dann auch nicht, wenn sich ein überdi­men­sion­iert­er Maulwurf aus der Grotte schleppt und erschöpft vor den Füssen der Bewohn­er zusam­men bricht. Diese erken­nen darin die Zeichen unbekan­nter Gefahr und begin­nen, sich zur Vertei­di­gung ihres Kul­turzen­trums zu rüsten…

Bis es allerd­ings zu diesem Zwis­chen­fall kommt, müssen die Zuschauer geduldig bleiben, denn erst nach gut 60 Minuten begin­nt die Hand­lung auf der Bühne einem schein­bar drama­tis­chen Höhep­unkt ent­ge­gen zu streben. Aber auch das tut sie in ein­er Gemäch­lichkeit, die der stör­rischen Ruhe der Camp­be­wohn­er angesichts dro­hen­der Gefahr gle­icht:  In gut­mütiger Naiv­ität pack­en sie bedächtig die Flo­ra und aus­gestopfte Fau­na in den gläser­nen Pavil­lon, greifen unge­lenk zu hölz­er­nen Stöck­en und zün­den harm­lose Feuer­w­erk­skör­p­er, bevor sie unter Sub­bassklän­gen in die Grotte ziehen, um bei Drinks und Din­ner auf das, was kom­men mag, zu har­ren.

Die Bühne als Beobach­tungs­be­häl­ter

Doch der Ein­druck, der The­at­er­abend ver­sumpfe in Langeweile, täuscht. Denn das The­ater von Quesne und dem Vivar­i­um Stu­dio lebt von solchen stillen Momenten der Beobach­tung und ver­meintlichen Hand­lungsar­mut. Kein mul­ti­me­di­ales Feuer­w­erk, keine Tanz‑, Gesangs- oder Sprachakro­batik über­flutet die Bühne, kein dra­matur­gis­ch­er Span­nungs­bo­gen wächst rapi­de zum Kli­max. Stattdessen entste­ht eine Abfolge klein­er, (fast) alltäglich­er Sit­u­a­tio­nen, die das Pub­likum mit beina­he kindlichem Inter­esse von ausser­halb der Bühne beobachtet – als sässe es vor einem Vivar­i­um, dem Behäl­ter für lebende Tiere. Belohnt wird diese Neugierde mit feinsin­niger Komik und leis­er Intel­li­genz, die sich aus den skur­rilen Übertrei­bun­gen und den spär­lichen Dialo­gen entwick­eln: Wenn vor Gold­klumpen in Bowl­ingkugel­grösse fürs Foto posiert wird oder wenn ein Ban­ner statt mit «Cen­ter» Besitzansprüche zu vertei­di­gen als «enter» zur Inva­sion ein­lädt.

Plä­doy­er für das Scheit­ern

Es ist diese Mis­chung aus feinsin­nigem Humor und präzis­er, geduldiger Beobach­tung, welche die Kün­st­ler­gruppe um Quesne bere­its in früheren Pro­duk­tio­nen erfol­gre­ich auf die Bühne brachte: So erzählt beispiel­sweise «La Mélan­col­ie des Drag­ons» (EA: 2008) die wun­der­bar absurde Sit­u­a­tion von sechs Heavy Met­al Fans, die – durch eine Autopanne in die win­ter­lich­er Nacht ver­schla­gen – ver­suchen, ihre eigene Ver­sion eines Dis­ney The­men­parks zu entwer­fen. Mit ein­fachen Mit­teln und weni­gen Worten wird auch in diesem Stück unser verge­blich­es Bemühen, die Welt, die Kun­st und die Natur zu ver­ste­hen, ent­larvt. Was sich offen­bart, ist eine Über­forderung des Men­schen, der die erdrück­enden Prob­leme der Gesellschaft zwar erken­nt, ihnen aber nur in seinem Scheit­ern beizukom­men scheint.

Quesne entwirft damit ein The­ater, das auf erfrischende Art ohne den grossen Zeigefin­ger und mul­ti­me­di­ales Spek­takel auskommt; das uns und unseren Sin­nen für einige Zeit erlaubt, der erlah­menden Über­reizung zu ent­fliehen – um sich dem schein­baren Nicht­stun und Scheit­ern hinzugeben.

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