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«Schande» – der Titel ist Programm

Der Rah­men dieser unerträglichen Insze­nierung ist die Post-Apartheid-Gesellschaft. Ein weiss­er Uni-Pro­fes­sor wird wegen ein­er Affäre mit ein­er sein­er Stu­dentin­nen ent­lassen, worauf er sich bei sein­er Tochter Lucy auf dem Lande ein­quartiert. Deren Haus wird jedoch kurz danach von Schwarzen über­fall­en und aus­ger­aubt. Darauf begin­nt eine Auseinan­der­set­zung mit Erniedri­gung und kollek­tiv­en Trau­ma­ta. Eigentlich wichtige The­men, Stoff für bril­lante Umset­zun­gen. Der ungarische Regis­seur Kornél Mundruczó macht daraus bürg­er­liche Schock-Unter­hal­tung mit moralin­saurem Erlö­sungsende. Doch dazu später.

Sex und Gewalt
Als erstes wird Lucy (Orsolya Tóth) minuten­lang verge­waltigt, mit Hun­de­blut beschmiert, gequält. Die Darstel­lung ist drastisch. Nackt rasiert und mäd­chen­haft torkelt Lucy über die Bühne, ist in ihrer hil­flosen Hagerkeit dur­chaus berührend. Die Angreifer jedoch wirken lächer­lich, mit schlecht sitzen­den Afro-Perück­en zum Zeichen ihrer Schwarzheit. Kaspern irgend­wie rum, kom­men nie gegen die Inten­sität von Orsolya Tóths Spiel an.
Auch die Affäre des Vaters mit sein­er Schü­lerin wird expliz­it dargestellt, wenn auch dezent abge­dunkelt. In diesen Rah­men passt, dass die Män­ner ihre Gen­i­tal­ien stets züchtig verdeck­en, während die Frauen in jed­er erden­klichen Form und Posi­tion nackt aus­geleuchtet wer­den. Soll das die Macht der Män­ner über die Frauen demon­stri­eren? Naja, wenn kla­maukige Schwanzver­gle­iche zwis­chen weis­sen und schwarzen Män­nern minuten­lang her­aus­ge­grölt wer­den, sollte man meinen, dass diese cor­po­ra delic­ti beson­ders botschaftswirk­sam gestal­tet wer­den kön­nten. Doch hier über­liess man die kör­per­liche Pro­voka­tion lieber den Frauen, denn die ist man sich ja schon nackt anzuse­hen gewohnt.

Tierisches Leid
Neben dem Ver­hält­nis von Män­nern und Frauen – und undeut­lich her­aus­gear­beit­et auch das zwis­chen Weis­sen und Schwarzen – wird auch das Ver­hält­nis zwis­chen Men­sch und Tier ver­han­delt. Hunde dienen mal als Unter­legene, dann wieder als Aggres­soren und eben­so als Witz­fig­uren. Mis­ch­ka, der dicke Hund, wird clow­nesk vorge­führt – das Pub­likum nimmt den Lach­er gerne ent­ge­gen, das Kerlchen ist zweifel­los äusserst drol­lig. Gut. – Völ­lig sinn­los ist hinge­gen ein Vogelkä­fig, der mit ein­er Unzahl an leben­den Vögeln bestückt und unbeachtet vor sich hin baumelt, während die Tierchen dank tosenden Gesang­sein­la­gen ängstlich einem Herz­in­farkt zu ent­ge­hen ver­suchen. Auch dies ist eine weit­ere zweck­lose Pro­voka­tion, die ablenkt, statt dass sie in den Dienst ein­dringlich­er Aus­sagen gestellt wird.

Läh­mende Wirkung
Der Abend steigert sich in Unerträglichkeit. Der vielfach gelobte Hyper­re­al­is­mus in Mundruczós Stück wird nicht kon­se­quent genug durchge­zo­gen, als dass die Insze­nierung glaub­haft wäre. Der Regis­seur lässt die Schaus­piel­er immer wieder aus ihren Rollen fall­en, zum Pub­likum sprechen, ihre Arbeit­skol­le­gen auf die Bühne winken. Der Grundgedanke mag nobel sein, neben all der ‹hyper­re­al­is­tis­chen› Pro­voka­tion darauf hinzuweisen, dass alles nur The­ater ist. Zum Zuschauen ver­wirrt es jedoch nur und bricht jeden Faden des Inter­ess­es, der zur Bühne ges­pan­nt wor­den wäre.

Nicht unbe­d­ingt platt, aber zögernd, ohne Kraft ver­passt der Regis­seur die Chance nach ein­dringlichen Aus­sagen. Wenn Pro­voka­tion clever gemacht ist, kann sie als Unbe­ha­gen in den Kör­p­er drin­gen, sich dort aus­bre­it­en und von innen her Löch­er in die Haut bohren, durch die Dampf abge­lassen wird. «Schande» von Kornél Mundruczó ist lei­der Pro­voka­tion von der nervi­gen Sorte. Sie pappt sich auf die Haut, nörgelt rum und lässt jedes Auf­nah­me­or­gan sich her­metisch gegen Anre­gung ver­schliessen. Die berechen­baren Schock­mo­mente klatschen sich schmierig auf die Ober­fläche von The­men, die es ver­di­ent hät­ten, in aller Tiefe behan­delt zu wer­den. So erlahmt das Stück jeden Willen zum Ver­ständ­nis und statt Reak­tion erzeugt es Igno­ranz.

Da hil­ft auch die irgend­wie äusserst grossar­tige Erken­nt­nis der Schlussszene im besten Willen nichts mehr: Lucy, in Schande geschwängert und aus­ger­aubt, möchte sich in den Schutz ihres Nach­barn begeben. Dass er ein guter Fre­und ihrer Verge­waltiger ist, macht ihr nichts aus und auch das Kind will sie behal­ten. Denn in diesem Zus­tand, völ­lig würde­los wie ein Hund, könne sie wieder von vorne begin­nen. Kön­nen sich die richti­gen Machtver­hält­nisse wieder ein­renken. Kann das Trau­ma über­wun­den wer­den. – Ach, wenn die Welt bloss so ein­fach wäre.

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