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Herzog und Kinski in: Die Freilegung des Menschen

Im Jahr 1972 drehte Wern­er Her­zog mit Klaus Kin­s­ki in der Haup­trol­le den Film Aguirre, der Zorn Gottes. Die Auf­nah­men im peru­anis­chen Dschun­gel glichen der Expe­di­tion, welche die Geschichte erzählt und war für die Film­crew eine Gren­z­er­fahrung. Her­zog aber hat­te genau danach gesucht und fand in Kin­s­ki den ide­alen Schaus­piel­er. Ein Schaus­piel­er, der den Dreh zur Real­ität wer­den liess.

Der Zorn Gottes treibt auf der Suche nach El Dora­do den Fluss hin­unter. Wenn er, Aguirre, will, dass die Vögel tot von den Bäu­men fall­en, dann fall­en die Vögel tot von den Bäu­men. Und er dro­ht seinen Män­nern bei Deser­tion mit 155 Jahren Gefäng­nis und der Teilung in 198 Teile, bis, dass man die Wände mit ihnen stre­ichen könne. Der Zorn Gottes ist wahnsin­nig, ist Kin­s­ki. Klaus Kin­s­ki. Kin­s­ki ist Aguirre und Aguirre ist Kin­s­ki. Und der Wahnsinn ist Genie.

Um jeden Preis nach El Dora­do

Aguirre ist eine his­torische Fig­ur, die sich zur Zeit der Eroberung Südamerikas in der zweit­en Hälfte des 16. Jahrhun­derts gegen die spanis­che Kro­ne auflehnte und auf seinem von Grössen­wahn geze­ich­neten Feldzug keine Mit­tel scheute. Die Über­liefer­un­gen bericht­en von einem wahnsin­ni­gen Tyrann und Mörder. Der Film Aguirre, der Zorn Gottes baut vage auf dieser his­torischen Begeben­heit auf, erzählt im Wesentlichen aber eine fik­tive Geschichte. Es ist die des Lope de Aguirre, der auf ein­er Such­ex­pe­di­tion nach El Dora­do die Macht an sich reisst und schliesslich dem Wahnsinn ver­fällt. Seine gesamte Mannschaft treibt er im Glauben an Macht und Ruhm gewalt­sam den Indi­an­ern, dem Hunger und den Krankheit­en in die Arme.

Was von der Expe­di­tion übrig geblieben ist, treibt auf einem Neben­fluss des Ama­zonas’ immer tiefer ins grüne Herz des Kon­ti­nents. Die vie­len Toten, die den Giftpfeilen und Langspeeren des unsicht­baren Fein­des aus dem Wald erliegen, beschwören eine unkon­trol­lier­bare Reak­tiv­ität der Mannschaft, vor allem aber Aguir­res, her­auf. Statt sich in einem bren­nen­den Indi­an­er­dorf nach Ess­baren umzuse­hen, treibt er seine Leute fanatisch nach Vor­sicht. Er wütet, schre­it, schlägt, verteilt Fusstritte und prügelt mit dem Degen auf seine Leute ein. Und Kin­s­ki ist Aguirre und wütet, schre­it, schlägt, verteilt Fusstritte und prügelt mit dem Degen auf seine Leute ein. Dabei ver­let­zt er einen Sta­tis­ten trotz Helm schw­er am Kopf. Dieser sagt später in dem Doku­men­tarfilm Mein lieb­ster Feind von Wern­er Her­zog über Klaus Kin­s­ki, dass dieser in allen Szenen des Films von ein­er inten­siv­en Aggres­siv­ität geleit­et, dabei kalt­blütig und berech­nend war.

Eine Frage des Fokus’

Kin­s­ki war ein schwieriger Schaus­piel­er. Seine Wutaus­brüche sind ein Youtube-Hit. Aber er war kein Wahnsin­niger in dem Sinn, dass man ihn, einem Löwen gle­ich, im richti­gen Moment aus dem Käfig lassen musste und er zu wüten begann. Kin­s­ki war ein Auto­di­dakt. Und wenn oben von Genie die Rede ist, dann meint dieser Begriff die Fähigkeit zum fast krankhaften Fokus auf eine Sache. Nicht den Musenkuss, nicht die göt­tliche Einge­bung. In Mein lieb­ster Feind schildert Her­zog Kin­skis Übungsaufwand. Zehn Stun­den täglich habe dieser zum Beispiel Sprechübun­gen gemacht. Und genau dieser Fokus auf die Sache ver­band die bei­den, denn, was sie auch immer tren­nte, der verbindende Punkt musste lange Zeit über­wogen haben. Beweis dafür ist die 15-jährige Zusam­me­nar­beit.

Her­zogs Fokus war ander­er Natur. Es war seine Fähigkeit an Träume zu glauben. Die Last der Träume heisst ein Doku­men­tarfilm über den Dreh von Fitz­car­ral­do, ein­er späteren Zusam­me­nar­beit von Her­zog und Kin­s­ki. Das Wort Last weist gut auf die Trag­weite von Her­zogs Träu­men hin. Der Film stand auf­grund ein­er Erkrankung des Haupt­darstellers Jason Robards vor dem Ende. Her­zog musste sich auf die Suche nach einem neuen Schaus­piel­er begeben und die Pro­duk­tions­fir­ma begann am Film zu zweifeln. Auf die Frage, ob er denn noch die Kraft und die Energie habe, den Film neu zu drehen, antwortet Her­zog empört: Wenn ich dieses Pro­jekt aufgebe, wäre ich ein Mann ohne Träume. So will ich nicht leben.

Der Film als Expe­di­tion

Aguirre, der Zorn Gottes drehte Her­zog tief im peru­anis­chen Dschun­gel. Der Drehort lag weit abseits grösser­er Sied­lun­gen und auf­grund des schmalen Bud­gets von 320 000 Dol­lar glich der Dreh selb­st der apoka­lyp­tis­chen Expe­di­tion, die der Film the­ma­tisiert. Die Iso­la­tion war allerd­ings von Her­zog bewusst gewählt. Er sagt, dass Men­schen nur unter diesem Druck ihre wahre Natur offen­baren. Seine Vorstel­lung dieser Offen­barung men­schlich­er Tiefe wird noch klar­er, wenn er die Expe­di­tion mit chemis­chen Ver­suchen ver­gle­icht: Es ist das­selbe, was in der Chemie bei der Ent­deck­ung eines neuen Stoffes gemacht wird. Um seine inner­sten Eigen­schaften zu erfahren, set­zt man den Stoff extremen Bedin­gun­gen aus. Extremer Hitze, extremem Druck, extremer Strahlung. Und nur so find­et man die essen­tielle Struk­tur, welche es zu erk­lären, zu ent­deck­en und zu beschreiben gilt. Her­zog ist ein Suchen­der nach dem Realen im Men­schen, das er tief unter der oberen Hülle ver­mutet und her­aus­gear­beit­et wer­den muss. Von ihm her­aus­gear­beit­et wer­den kann. Durch extreme Hitze, extremen Druck und extreme Strahlung. Her­zog unterzieht also nicht nur sich selb­st ein­er Kasteiung, son­dern er fordert dieses Opfer auch von anderen.

Die Löwen – Kinder der Natur

Die Suche nach dem Realen, nach dem Authen­tis­chen war eine Obses­sion Her­zogs. Dies zeigt sich in sein­er Fasz­i­na­tion für die indi­ge­nen Völk­er des Ama­zonas’. Er betont, dass seine Filme keine Ethno­gra­phien, son­dern Spielfilme sind. Denn die Indi­ge­nen, so Her­zog, fol­gen einem Drehbuch. Allerd­ings zeige sich in ihrem Schaus­piel das Authen­tis­che ihrer Kul­tur, ihres Ver­hal­tens, ihrer Bewe­gun­gen, ihrer Sprache. Die Indi­ge­nen ver­gle­icht er mit Löwen und stellt sie an die Spitze der göt­tlichen Schöp­fung.

Her­zog ist ein ver­späteter Roman­tik­er. Er sieht in der Natur das Böse, das Furchter­re­gende. Dies betra­chtet er jedoch mit ein­er gren­zen­losen Fasz­i­na­tion und unter­stellt dem Men­schen der Gegen­wart Degen­er­a­tion und Unter­drück­ung der Sinne. Es sind diesel­ben Gedanken, wie sie die Roman­tik­er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­derts geäussert haben. Das Bild des edlen Wilden ist bei Her­zog tief ver­ankert und ste­ht in argem Gegen­satz zur geisti­gen Entwick­lung der Siebziger­jahre, in denen der amerikanisch-palästi­nen­sis­che Lit­er­atur­the­o­retik­er Edward Said mit seinem Buch Ori­en­tal­is­mus den Beginn der Postkolo­nialen Stu­di­en markierte und die Kon­struk­tion des Frem­den kri­tisierte. Her­zog aber war immun dage­gen, die Löwen real und der West­en verkom­men.

Um seinen Traum von der wahren Natur der Men­schen zu erfüllen, war der Expe­di­tion­scharak­ter in seinem Ver­ständ­nis also unab­d­ing­bar. Wenn wir Her­zog als immun gegen den postkolo­nialen Diskurs annehmen, so ist es möglich, in seinem Zusam­men­hang das Wort ani­malisch zu benutzen. Und das Ani­malis­che, den Löwen, wollte er den Indi­ge­nen gle­ich den Schaus­piel­ern und Sta­tis­ten ent­lock­en. Aus diesem Grund die Expe­di­tion.

Kin­s­ki der Löwe

Kin­s­ki sagte einst, dass die einzige inter­es­sante Land­schaft, das Gesicht des Men­schen ist. Her­zog würde wohl beja­hend ergänzen: das Gesicht des Men­schen in sein­er unverblümten Natur. Die Stich­worte, die Her­zog durch den Kopf gin­gen, wären wohl Wörter wie rein, ursprünglich, nackt. Und mit densel­ben Wörtern würde er wohl Kin­s­ki beschreiben. Und ja, ani­malisch wäre wohl auch dabei. Instink­t­geleit­et. Die authen­tis­che Energie, die er in Kin­s­ki sah, wollte er durch bewusste Hand­lun­gen für seine Zwecke nutzen.

Und Her­zogs Sucht nach Authen­tiz­ität entsprach Kin­skis Ver­ach­tung für alles Gestellte und Ver­fremdete. Dies zeigt die Ver­ach­tung, die er fast allen seinen Film­rollen, die auf Effek­thascherei baut­en, ent­ge­genge­bracht hat. Dies zeigt aber auch die Sinnlosigkeit, die er in Schaus­pielschulen sah. Er sagt in sein­er Auto­bi­ogra­phie, dass eine Schaus­pielaus­bil­dung kon­trapro­duk­tiv sei, da dadurch der Men­sch ver­loren gehe. Gle­ich­es haben auch andere Auto­di­dak­ten wie etwa Mar­lon Bran­do fast religiös ver­focht­en.

Den Fokus, den Her­zog auf seinen Traum zu leg­en ver­mochte, richtete Kin­s­ki auf seine eigene Per­son. Wie die oben erwäh­nte Szene mit dem ver­let­zten Sta­tis­ten zeigt, unter­schied Kin­s­ki nicht zwis­chen Schaus­piel und Real­ität. Gle­ich­es beweist seine Jesus-Tournee, in der er sich als der neue Erlös­er aus­gab. Er war nicht geis­teskrank und ver­stand die Bedeu­tung von Schaus­piel. Sein Nicht-Unter­schei­den bezieht sich auf die Ern­sthaftigkeit, mit der er die Dinge tat. Der Film, das Darstellen wurde unendlich wichtig, sodass hier der Unter­schied zwis­chen Film und Real­ität ver­schwand. Die Welt, so kön­nte man sagen, wird dabei sehr klein und konzen­tri­ert. Es ist dieselbe Begren­zung, die Her­zog mit der Iso­la­tion im Dschun­gel beab­sichtigte und die die absurde Set­si­t­u­a­tion über­wand. Kin­s­ki hat­te sie per­sön­lich bere­its lange über­wun­den.

Der real insze­nierte Spielfilm

Diese gemein­samen Aus­gangspunk­te führten zu ein­er langjähri­gen Zusam­me­nar­beit zwis­chen Her­zog und Kin­s­ki. Zwis­chen 1972 und 1987 pro­duzierten sie fünf gemein­same Filme. Mit Aguirre, Fitz­car­ral­do, Nos­fer­atu und Woyzeck gehören vier dieser fünf Filme zum Besten, was das deutsche Kino je geschaf­fen hat. Cobra Verde, die let­zte Zusam­me­nar­beit, fällt dann aber deut­lich ab. Die anderen, allen voran Aguirre, heben sich eige­nar­tig von anderen Fil­men der Filmgeschichte ab und kön­nen nur schw­er mit ihnen ver­glichen wer­den. Grund dafür ist der oben skizzierte Expe­di­tion­scharak­ter und dadurch die Über­win­dung des Film­sets. Real insze­niert­er Spielfilm wäre der Ver­such ein­er Beschrei­bung dieses Gen­res. Her­zog würde sagen, eines Gen­res, das den Fokus auf die wahre Natur der Men­schen legt. Kin­s­ki spräche von der Bedeu­tung der men­schlichen Gesichter. Doch eigentlich meinen sie das­selbe und stellen den Plot der Geschichte in den Hin­ter­grund. Es sind vielmehr Stu­di­en über das Authen­tis­che im Men­schen. Doch Lope de Aguirre und seine Leute haben wohl auch nicht dauernd die Entwick­lung ihrer Expe­di­tion über­dacht. Das Ziel war El Dora­do. Das vielbeschworene Gold­land, das aber auf­grund sein­er utopis­chen Exis­tenz nie erre­icht wer­den kon­nte. Genau­so ist die Frei­le­gung des Men­schen eine Utopie. Sofern es eine ursprüngliche men­schliche Natur gibt, ist sie fest mit den sie über­lagern­den Schicht­en verwach­sen. Hem­mungen, Scham, und die Ein­drücke eines ganzen Lebens kön­nen nicht ein­fach so ent­fer­nt wer­den. Im Ver­such, diesem Ziel max­i­mal nahe zu kom­men, sind Aguirre und später Fitz­car­ral­do aber bis heute eine wichtige Mess­lat­te.

 

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